Mini-Gstaad: «Hier regieren wir Kinder!»
30.07.2025 SaanenMini-Gstaad: «Hier regieren wir Kinder!»
Rohre verlegen, eine Gemeindepräsidentin wählen, ein Spital betreiben oder im eigenen Friseursalon (Spiel-)Geld verdienen – was in Kinderohren wie ein Traum klingt, wird im ...
Mini-Gstaad: «Hier regieren wir Kinder!»
Rohre verlegen, eine Gemeindepräsidentin wählen, ein Spital betreiben oder im eigenen Friseursalon (Spiel-)Geld verdienen – was in Kinderohren wie ein Traum klingt, wird im Saanenland gerade Realität. In Mini-Gstaad übernehmen die Kinder das Kommando: Sie regieren, arbeiten und gestalten ihr eigenes Dorf.
SONJA WOLF
Ein Mädchen rollt im Rollstuhl durchs Zelt, um im nächsten Moment wieder hochzuspringen, ihren Verband abzunehmen und von der zehnjährigen Ärztin mit dem Stethoskop abgehört zu werden. Gleichzeitig japst ein Junge auf der Matte am Boden nach Luft und wird sogleich höchstprofessionell unter einer Sauerstoffmaske beatmet.
Nein, wir sind nicht etwa im Spital Zweisimmen, sondern im Spital des Kinderdorfs «Mini-Gstaad», wo die Jüngsten endlich mal «das machen, was eigentlich die Erwachsenen immer machen!», erklärt die sechsjährige
Ladina.
Das dreiwöchige Ferienprojekt macht die Welt der Erwachsenen für Kinder erlebbar: mit Berufen, Wahlen, Spielgeld, Medien und Regeln. Ursprünglich für 50 Teilnehmende pro Tag geplant, musste schnell aufgestockt werden: Der Andrang war gross: «In der ersten und zweiten Woche nahmen täglich etwa 60 Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren teil», sagt Lara Pichler, die Betriebsleiterin der Kinder- und Jugendfachstelle Saanenland-Obersimmental (Juga), die für das Projekt verantwortlich ist. «In der letzten Woche kommen zudem die Kinder aus der Ferienbetreuung hinzu – mit weiteren 13 bis 24 Kindern im Vorschulalter.» Die kleineren werden vom Juga-Team und besonders tatkräftig auch von den älteren Teilnehmenden im Mini-Gstaad mitbetreut. Denn hier sind alle zusammen eine gut funktionierende Gemeinschaft und sorgen füreinander.
Das Projekt vermittelt spielerisch, wie eine Gesellschaft funktioniert: Die Kinder wählen ihre eigene Regierung, stimmen über relevante gesellschaftliche Themen ab, legen Preise fest oder eröffnen eigene Betriebe – vom Friseursalon über den Kiosk bis hin zur Miniredaktion. «Wir möchten, dass die Kinder erleben, wie Politik und Gemeinschaft funktionieren – und dass jede Stimme zählt», erklärt Lara Pichler.
Die Idee für Mini-Gstaad stammte ursprünglich von Rosa Reiter, der langjährigen Leiterin der Jugendarbeit, die das Konzept aus Deutschland kannte. 13 Jahre lang verfolgte sie das Herzensprojekt, bis es nun Realität wurde – vor allem auch dank der breiten Unterstützung von Sponsoren, den Gemeinden und den Betrieben aus dem Saanenland. «Einige Betriebe schicken uns Fachpersonen vorbei, die den Kindern auf spielerische Weise ihren Beruf zeigen. Andere Betriebe, die eher unter Personalmangel leiden, haben uns dennoch mit Material unterstützt», sagt Lara Pichler. Andere wiederum boten finanzielle Unterstützung oder halfen tatkräftig mit beim Aufbau des Zelts, das die Kinderstadt beherbergt. Für die Abstimmungen und Wahlen kommen sogar Gemeinderäte der drei Gemeinden vorbei, die sich dann noch beim Mittagessen mit den Kindern austauschen. Das Projekt wurde dank seiner ausgefeilten Konzeption sogar im Vorfeld von der Stiftung für Demokratie mit dem «Prix pour l’engagement citoyen» ausgezeichnet und ist schweizweit das erste seiner Art.
Für ihre Arbeit erhalten die Kinder natürlich auch Lohn – in der Spielwährung Misa (von Schweizerdeutsch «mys Sackgäld»). Davon kaufen sie ihr Eis am Kiosk, bezahlen Werbeaufwände für ihr Geschäft oder leisten sich eine extravagante Maniküre im Nagelstudio. «Richtig» arbeiten dürfen einige Kinder täglich in der Coop-Küche, wo sie bei der Zubereitung des Mittagessens helfen, das sie dann eigenhändig in ihr Minidorf bringen und mit den Kolleg:innenen zusammen verspeisen.
Gehen einem Kind die Materialien in seinem Betrieb aus, muss es abwägen: «Wie teuer soll ich meine gerade hergestellte Lampe verkaufen, um mit dem Gewinn beim Ersatzteillager neue Materialien zu kaufen? Reicht mein Einkommen nach Steuerabzug noch fürs Leben?» Schwierige Entscheidungen!
Und wenn einem Kind das Geld ausgeht? «Wer kein Geld mehr hat, erhält dennoch ein Mittagessen», lacht Lara Pichler. «Oder in Zukunft vielleicht sogar Unterstützung aus der Sozialhilfekasse.» Denn eine solche hat die Dorfgemeinschaft gerade der frisch gewählten Gemeindepräsidentin vorgeschlagen. Also auf zur Abstimmung und Umsetzung!
Mini-Gstaad kann noch bis zum 8. August besichtigt werden.