Mit neuer Resilienz gestärkt durch den Winter

  25.11.2022 Kirche

Oder: Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über die Finsternis zu klagen.

In diesem Jahr leuchten vielerorts die Weihnachtsbeleuchtungen nur auf Sparflamme. Die Strommangellage verdunkelt uns die Weihnachtsfreude. Aber auch ohne Strommangellage können die Weihnachtsfreude und die Lebensfreude plötzlich verdunkelt oder getrübt werden. Denn im Laufe eines Lebens kann immer etwas passieren, sodass man plötzlich nur noch schwarz sieht und manchmal sogar das Gefühl hat, die Welt höre auf sich zu drehen. Ursachen für solche Verdunkelungen und deprimierenden Empfindungen gibt es viele – nicht nur in der Adventszeit. Zum Beispiel die Diagnose eines unheilbaren Leidens, der Tod eines geliebten Menschen, das Ende einer Liebesbeziehung, der Verlust des Arbeitsplatzes, die unbezahlbaren Rechnungen und vieles andere. In solchen Krisensituationen braucht es oft sehr viel innere Kraft, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und um vorwärts zu schauen und den Alltag bewusst zu gestalten. In der Psychologie wird diese innere Kraft als Resilienz bezeichnet. Und weil die Resilienz, die seelische Stärke, so wichtig ist für die Gesundheit, wurden auch schon eine ganze Menge Sach- und Ratgeberbücher über die Resilienz geschrieben.

Resilienz ist jedoch kein psychologischer Begriff. Der Begriff kommt aus der Physik. Material, das resilient ist, ist so elastisch, dass es sich nach einer Verformung immer wieder in seinen Ursprungszustand zurückverwandelt. Der Begriff «Resilienz» trifft aber auch auf Menschen zu, die in schwierigen Lebenssituationen immer wieder das Gleichgewicht finden und nicht liegen bleiben, wenn sie aus der Bahn geworfen werden. Resilienz wird in der Psychologie als das «Immunsystem der Seele» bezeichnet.

Auch im christlichen Glauben hat diese seelische Stärke einen Namen. Resilienz heisst im christlichen Glauben «Gottvertrauen». Es gibt Menschen, denen wurde das Gottvertrauen oder die seelische Widerstandskraft bereits in die Wiege gelegt, andere müssen es im Laufe des Lebens lernen. Als Lernhilfe kennt man in der Psychologie sieben Säulen, auf denen eine starke Resilienz, eine tragende seelische Widerstandskraft aufgebaut werden kann. Und je mehr von diesen Eigenschaften sich ein Mensch im Laufe des Lebens aneignen kann, desto besser wird er auch mit möglichen Lebenskrisen fertig.

Die sieben Säulen der Resilienz
1. Säule:
Im Leben nie vergessen, dass alle Wolken weiterziehen. Das heisst: Es ist wichtig, optimistisch zu bleiben und zu versuchen aus allem immer wieder das Beste zu machen. Optimisten sind jedoch keine Utopisten. Optimistische Menschen schauen nicht durch eine rosarote Brille, sondern sie sehen, was wirklich ist. Sie konzentrieren sich dabei auf das, was gut und schön ist, und erkennen, was sich verändern lässt. Sie sehen das Glas nie halb leer, sondern immer halb voll.

2. Säule: Unterscheiden zwischen dem, was man verändern kann, und dem, was man annehmen muss, weil es sich nicht verändern lässt. Das heisst: Versuchen, Situationen, die sind, wie sie sind, und Personen, die man nicht einfach auswechseln oder ihnen nicht aus dem Weg gehen kann, anzunehmen. Weil Jammern und Klagen nichts bringen. Es gibt in jedem Leben Situationen, die sich nicht ändern lassen, und die man als das sehen muss, was sie sind: Etwas, das gerade schwierig ist, aber etwas, das im idealen Fall auch wieder vorüber gehen kann.

3. Säule: Sich nicht fragen: «Warum trifft es gerade mich?» Der erste Schritt in die richtige Richtung gelingt meistens erst dann, wenn man sagen kann: «Jetzt hat es mich getroffen. Was kann ich jetzt machen, um möglichst ohne grossen Schaden und mit neuem Lebensmut aus dieser Situation herauszukommen?» Das ewige Grübeln und das ständige Wälzen der Probleme helfen nicht. Hilfreich ist jedoch die Frage: «Wie soll meine Zukunft nun aussehen?» Und sehr oft bekommt man auf diese Frage erst dann eine Antwort, wenn man sich auch fragt: «Wer kann mir helfen, die Zukunft neu zu gestalten?»

4. Säule: Sich nicht zu schnell als Opfer sehen und sich selbst bedauern. Das Selbstmitleid, das sich manchmal sehr schnell in unser Denken und Fühlen hineinschleicht und unser Handeln bestimmt, hindert einen oft daran, vorwärts zu schauen. Wer immer nur in die eigene Westentasche weint, sieht nicht, was wichtig ist im Leben. Das, was man beim Spielen erleben kann, gilt auch im Alltag: Man kann nicht jeden Tag gewinnen, aber man kann jeden Tag etwas Neues lernen.

5. Säule: Verantwortung übernehmen für das, was man zu der gegenwärtigen Krise selber beigetragen hat oder sogar selber verschuldet hat. Wer Verantwortung für sich selbst oder für die eigene Situation übernehmen kann, ohne zu denken, dass die anderen schuld sind, stärkt sein seelisches Immunsystem und erlebt, wie die Wahrheit frei machen kann.

6. Säule: Sich in guten und schweren Zeiten anderen Menschen anvertrauen und wenn nötig auch um Hilfe bitten. Wer Freunde und Freundinnen hat, die zuhören, denen man vertrauen darf und die zu einem stehen, wird innerlich und äusserlich gestärkt. Einsamkeit dagegen führt zu einem immer stärkeren Rückzug und kann letztlich seelisch krank machen. Hilfe suchen und Hilfe annehmen ist kein Akt der Schwäche, sondern in den allermeisten Fällen ein Akt der Vernunft.

7. Säule: In guten Zeiten an die Zukunft denken und sich Gedanken machen, welche zukünftigen Wege offen stehen und möglich sind. Planung, die offen lässt, dass es auch anders kommen könnte, als man geplant hat, ist ein wichtiger Teil des Lebens. Mögliche Lebensentwürfe, die man in weiser Voraussicht bereits durchdacht hat, helfen gerade in Krisensituationen schneller wieder einen Weg zu finden, der aus der Tiefe herausführt. Wer vorausschaut, ohne sich dabei unnötig Sorgen zu machen, verliert auf schwierigen Wegstrecken nicht so schnell den Boden unter den Füssen.

Resilienz dank Gottvertrauen
Der christliche Glaube kennt keinen solchen Sieben-Säulen-Plan, den man durchchecken kann und der aufzeigt, was alles man lernen und versuchen sollte, um in Krisenzeiten nicht ins Bodenlose zu fallen. Aber die sieben Säulen der Psychologie können auch für glaubende Menschen sehr hilfreich sein. Auch glaubende Menschen können jeden Tag etwas Neues lernen, bevor es Abend wird.

Das Gottvertrauen, die seelische Widerstandskraft im Glauben, kann man jedoch nicht lernen wie das Autofahren oder das Kuchenbacken. Wir haben aber die Möglichkeit, jeden Tag ganz neu Gott zu begegnen und das Vertrauen in seine Güte und Liebe zu stärken. Wir sind jeden Tag eingeladen, die Worte des 62. Psalms ernst zu nehmen: Vertrau auf Gott, dann findest du Ruhe! Er allein gibt dir Hoffnung, er ist der Fels und die Burg, wo du in Sicherheit bist. (Psalm 62, 6 – 7). Diese Verheissung im 62. Psalm ist keine Garantieerklärung, dass mit Gottvertrauen immer alles einfach gut kommt. Das Psalmwort ist vielmehr eine Einladung, auch in stürmischen Zeiten bei Gott Kraft zu tanken. Das Gottvertrauen – auch wenn es noch so gross ist – bewahrt einen nicht vor Lebenskrisen und schwierigen Zeiten, auch nicht vor Leiden und Niederlagen. Aber je grösser das Vertrauen in die Liebe Gottes ist, desto stärker kann die seelische Widerstandskraft wirken und desto tragender erfährt man die Hoffnung, die aus dem Gottvertrauen kommt.

Im 62. Psalm wird uns ebenfalls verraten, wie man das Gottvertrauen stärken kann: Zu Gott allein ist still meine Seele, von ihm kommt meine Hilfe (Psalm 62, 2). Das heisst: Das Gottvertrauen wird gestärkt, wenn wir ab und zu ein paar Minuten frei halten von allen Ablenkungen und Aufgaben, Gott Raum geben in unseren Gedanken und Herzen und mit ihm das Gespräch suchen. Denn gerade in stillen Augenblicken kann man am besten spüren, dass Gott da ist, wo wir gerade sind, und dass Gott die Menschen nie alleine lässt. Das Reden mit Gott gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten. In solch stillen Augenblicken kann man vielleicht sogar hören, wie Jesus Christus sagt: Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch aufrichten. (Mt 11,28)

Menschen, die wieder aufrecht gehen können, weil sie dank dem Gottvertrauen die Gewissheit spüren, dass es nichts gibt, das sie von der Liebe Gottes trennen kann, können sich auch in den grössten Lebenskrisen immer noch einen Funken Hoffnung bewahren. Und diese Hoffnung ist seelische Stärke, die hilft, optimistisch zu bleiben, wo man resignieren könnte, und den Kopf hoch zu halten, wenn alles falsch läuft. Die Hoffnung ist seelische Stärke, die hilft, Niederlagen und Rückschläge zu ertragen, und die Zukunft trotzdem nicht dem Zufall zu überlassen. Und die Hoffnung ist seelische Stärke, die hilft, im Leben trotz allem immer wieder das Gute und Schöne zu sehen und – das ist wichtig – für das Gute und Schöne auch dankbar zu sein.

Planung ist nur ein Teil des Lebens
Im Leben verläuft manchmal nicht alles so, wie wir es gerne hätten. Erfolge und glückliche Zeiten können sich abwechseln mit Niederlagen und schweren Zeiten. In der Ratgeberliteratur heisst es darum: Planung ist das halbe Leben. Doch was passiert, wenn die andere Hälfte nicht mitmacht und es trotz guter Planung anders kommt, als man denkt. Dann kommt es darauf an, ob die seelische Widerstandskraft, die Resilienz stark genug ist und ob es gelingt, mit Gott im Gespräch zu bleiben. In diesen Lebenslagen ist das feste Vertrauen, dass man im Glauben nie tiefer fallen kann als nur in Gottes Hand, eine wahre Kraftquelle. Man bekommt die Kraft, das anzunehmen, was man nicht ändern kann, und das zu ändern, was man ändern kann oder vielleicht schon seit langer Zeit hätte verändern müssen. Und im Vertrauen auf die Liebe Gottes findet man sogar die Gelassenheit, das eine vom anderen zu unterscheiden (nach Reinhold Niebuhr). Diese Gelassenheit oder Weisheit hilft auch zu erkennen, wo und wann man selber verantwortungsvoll und achtsam handeln sollte, und wann es gut wäre, Hilfe oder Unterstützung von aussen anzunehmen.

Gestärkt mit neuer Resilienz und mit lebendigem Gottvertrauen ist es auf jeden Fall wesentlich leichter, am Ende eines Winters oder am Ende eines Jahres einzustimmen in das Lied von Arno Pötzsch:

Das weiss ich wohl zu sagen von meines Lebens Fahrt:
Wie hat an allen Tagen mich Gottes
Hand bewahrt!
Trotz Ängsten, Last und Sorgen und
wo ich’s nicht gedacht,
fand ich mich doch geborgen in
Gottes Hut und Wacht.

ROBERT SCHNEITER


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