Jährlich erleiden Arbeitnehmer:innen in der Schweiz über 33’000 Schneesportunfälle, einige mit schweren Folgen, manche enden sogar tödlich. Die Suva setzt sich für die Prävention von solchen ein. Letzte Woche kam sie im Rahmen des Firmenskirennens der STI Gruppe aus Thun nach Zweisimmen und veranstaltete einen Sensibilisierungsanlass.
NICOLAS GEISSBÜHLER
Wie schnell bin ich, wenn ich einen normalen Carveschwung ziehe? Wie lange sind meine Reaktions- und Bremswege? Wie hoch ist die Belastung meines Körpers während einer Abfahrt? Solche Fragen stellen sich die meisten Skifahrer – mich eingeschlossen – wohl eher selten. Nun kann ich sie beantworten, doch fahre ich mit diesem Wissen nun sicherer Ski?
Es beginnt, bevor man auf den Skiern steht
Die STI Gruppe aus Thun, die dort für den Busverkehr verantwortlich ist, veranstaltete vergangene Woche ihren Skitag mit Rennen am Rinderberg in Zweisimmen. Mit dabei war die Suva, um für Verletzungsgefahren im Schneesport zu sensibilisieren. Laut Christian Kernen, Leiter Qualität, Umwelt und Sicherheit der STI, seien solche Sensibilisierungen wichtig: «Ein Grossteil der Ausfälle durch Freizeitunfälle ist auf Ball- oder Schneesport zurückzuführen», sagt er. Die Prävention beginnt bereits beim korrekten Aufwärmen vor den ersten Schwüngen. Die Gruppe der STI wird durch eine Mitarbeiterin der Suva beim Gruppenaufwärmen begleitet. Es sah aus wie eine Aerobic-Klasse in Skikleidern, einige trugen bereits die Startnummern für das Rennen.
Slopetracking mit App
Zentrales Instrument der Suva ist ihre Gratis-App «Slope Track». Sie zeigt verschiedene Aufwärmübungen, zeichnet die Fahrten auf, rechnet die Geschwindigkeit und die Körperbelastung aus und gibt den Fahrer:innen Tipps, wie sie ihre Fahrweise körperschonend optimieren können. Ich startete das Tracking und fuhr zur Mittelstation. Als ich unten angekommen war, staunte ich nicht schlecht: Obschon ich eher gemütlich fuhr, hatte ich knapp 55 Stundenkilometer erreicht – schneller als man mit dem Auto innerorts fahren darf. Die Belastung meines Körpers stieg mit den engen Radien des Carveschwunges auf über 110 Kilo.
Diese Belastung kann auch im Stehen simuliert werden, die Suva hatte dazu Gewichtsrucksäcke mitgebracht. So war erfahrbar, wie viel anstrengender eine Abfahrt in der Hockeposition mit 25 Kilo mehr ist.
65 Meter Bremsweg
Die Suva hatte auf der Piste eine Tempomessung installiert. Ich stellte mich bei der Startmarkierung hin, wartete auf das Signal und liess die Skier laufen. Die Radarmessung ergab gut 86 Stundenkilometer. Auch der Bremsweg wurde gemessen: Über 40 Meter brauchte ich für den Vollstopp. «Dazu kommt im Normalfall noch die Reaktionszeit von einer Sekunde. Mit diesem Tempo wären Sie also 25 Meter gefahren, bevor Sie mit Bremsen begonnen hätten», erklärte mir der Präventionsbotschafter der Suva. Also satte 65 Meter vom Bemerken einer Gefahr – etwa einem anderen Skifahrer auf der Piste – bis zum Stillstand. «Und dann gibt es noch Skifahrer, die wesentlich schneller unterwegs sind», gab der Präventionsbotschafter zu bedenken.
Wissen statt Moral
“Wir setzen darauf, die Menschen durch Wissensvermittlung und Sensibilisierung zu erreichen und nicht durch Moral», erklärte mir Natascha Obermayr, Mediensprecherin der Suva. Die grösste Schwierigkeit sei das Umsetzen des Wissens in die Praxis, weswegen solche praktischen Erfahrungen wichtig seien. «Es geht um Eigenverantwortung», fügte sie an. Jährlich gebe es laut der Suva über 33’000 Schneesportunfälle von Arbeitnehmenden, 90 Prozent davon seien selbst verschuldet.
Die STI hat ihr Skirennen dieses Jahr also ganz bewusst mit dem Präventionsanlass der Suva zusammen organisiert. «Wir arbeiten in einem Arbeitsumfeld, das viele Auflagen und Sicherheitsregeln mit sich führt, aber auch ein hohes Mass an Konzentration im Strassenverkehr verlangt», erklärte Christian Kernen. Da sei es wichtig, dieses Bewusstsein auch in der Freizeit zu haben. Laut Kernen gehe es bei solchen Anlässen vor allem darum, die richtige Kultur zu vermitteln: «Während die Arbeitssicherheit in unserem Umfeld ständig ein Thema ist, setzen wir immer stärker auf das Vermitteln von Freizeitsicherheit. Zwei Drittel der Unfälle geschehen in der Freizeit.» Sie hätten 2014 mit solchen Kampagnen begonnen und konnten seither eine massive Senkung der Unfälle verzeichnen.
Was nützten solche Anlässe?
Die meisten Schneesportler:innen denken wohl, ihre Fahrweise zu kennen und die Geschwindigkeit kontrollieren zu können. Es war umso eindrücklicher, Dinge wie den langen Bremsweg oder die hohe Belastung des Körpers aufgezeigt zu bekommen. Ich werde nun – vor allem an schönen Sonntagen, wenn die Pisten voller Leute sind – bewusst langsamer fahren und ab und zu eine Tempomessung von mir selbst machen. Das würde sich wohl für alle Schneesportler:innen empfehlen, um sich bewusst zu machen, welche Kräfte hier wirken und dass man damit auch andere gefährden kann. Ausserdem verinnerlichte ich nochmals die FIS-Regeln. Besonders der Blick den Hang hinauf vor der Weiterfahrt ist nach wie vor sinnvoll – erst recht, so lange noch andere Leute auf der Piste unterwegs sind, welche die Gefahren weniger gut kennen.
Gratis-Download der App «Slope Track» unter www.suva.ch/slopetrack