RANDNOTIZ
03.03.2023 KolumneGrüsse aus der Höhle
JENNY STERCHI
Jetzt mal ehrlich, wir sind doch unter uns. «Menschen, die zuhören, gibt es immer seltener», versichert mir ein Sozialwissenschaftler in einem Podcast. Mit anderen Worten: Gute Freunde sind rar ...
Grüsse aus der Höhle
JENNY STERCHI
Jetzt mal ehrlich, wir sind doch unter uns. «Menschen, die zuhören, gibt es immer seltener», versichert mir ein Sozialwissenschaftler in einem Podcast. Mit anderen Worten: Gute Freunde sind rar geworden. Tausend Verpflichtungen, Termine und der Wunsch nach Ausruhen lassen immer weniger Platz, um Freundschaften zu unterhalten und zu pflegen. Hinzu kommt das gnadenlose Abwägen, ob diese Freundschaft nützt oder schadet. Wie oft höre und lese ich Kalenderweisheiten, die mir empfehlen, mich von Menschen zu lösen, die mir nicht gut täten. Aber wohin führt es, wenn sich jeder von jedem löst? Woher soll denn die Erkenntnis kommen, wenn für Gespräche die Zeit und sogar die Lust fehlt? Weil die Meinungen sehr wahrscheinlich hier und da nicht gleich sind. Und einen Konsens zu finden so furchtbar anstrengend und zeitraubend ist. Und sich mit der eigenen Überzeugung zu beruhigen, verspricht auf jeden Fall ersehnte Harmonie. Und wer sagt mir, dass nicht vielleicht ich diejenige bin, die nicht gut tut? Also geht doch jeder wieder in seine Höhle, kümmert sich um sein eigenes kleines Leben, sorgt für Essen, schaut zu sich und – wenns gut läuft – zu seiner Familie. Um dann irgendwann in ferner Zukunft herauszufinden, dass Tauschhandel das Angebot erweitert. Dass die Mühen auf dem Kartoffelacker mit Nachbars Hilfe kleiner und die Ernte sehr wahrscheinlich grösser sein wird. Dass Erfahrungen des einen echt wertvoll für den anderen sein können. Na, mir ists egal. Ich hatte gerade erst Gäste in meiner Höhle. Vier Familien, die sich entgegen der eingangs erwähnten tausend Verpflichtungen, Terminen und dem Wunsch nach Ausruhen Zeit genommen haben, gemeinsam zu essen, zu trinken, zu reden, zu lachen und unterschiedliche Ansichten zu teilen. Deren Kinder unterschiedlicher nicht sein können, die aber vier Stunden lang sehr gut miteinander auskamen. Da wäre das Ablösen doch echt ein Frevel. Finden Sie nicht? jenny.sterchi@anzeigervonsaanen.ch