Reise durch eine kontrastreiche Gefühlswelt
19.08.2025 KulturWas die Klangfarbe und der Klangcharakter für den Schweizer Pianisten Francesco Piemontesi bedeutet, beschrieb er im Interview mit dem «Anzeiger von Saanen» vom vergangenen Dienstag, und in seinem Klavierrezital am Freitag in der Kirche Saanen nahm er sein Publikum in die ...
Was die Klangfarbe und der Klangcharakter für den Schweizer Pianisten Francesco Piemontesi bedeutet, beschrieb er im Interview mit dem «Anzeiger von Saanen» vom vergangenen Dienstag, und in seinem Klavierrezital am Freitag in der Kirche Saanen nahm er sein Publikum in die musikalische Tiefe mit.
LOTTE BRENNER
Die Grazer Fantasie C-Dur, D 605a von Franz Schubert bezeichnete kürzlich ein Pianist als «die selten Gespielte, etwas Widerspenstige, aber Wunderschöne». Sie wurde erst in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Graz wiederentdeckt, danach von Lily Kraus aufgenommen und geriet wieder in Vergessenheit. Piemontesi bekennt: «Es lohnt sich total, dieses kleine, aber sehr charakteristische Stück zu entdecken.»
Auf diesen kurzen, reizvollen Konzertauftakt folgten die Klaviersonate Nr. 18 G-Dur D 804 von Franz Schubert und die Sonate h-Moll S.178 von Franz Liszt sowie die zwei Zugaben «Au Lac de Wallenstadt» von Liszt und ein Choral von Bach.
Schuberts Sonaten schlummerten fast 100 Jahre vor sich hin, bis sie von den Pianistinnen und Pianisten des 20. Jahrhunderts ins Repertoire aufgenommen worden sind. Francesco Piemontesi sagt über sie: «Sie gehören zur existenziellsten Musik, die je für Klavier geschrieben wurde – voller Schönheit und Traurigkeit, voller Leben und der Vorahnung des Todes. Vor allem sind sie von tiefer Menschlichkeit erfüllt. Sie zählen zu den persönlichsten Werken, die Schubert komponiert hat.» Der wunderbar sensible Pianist tauchte musikalisch in diese Gefühle und Stimmungen ein und verstand es, die Zuhörerschaft völlig in den Bann dieser Musik, in eine fast heilige Sphäre, zu ziehen.
Der pianistische Mount Everest
Auch zur Liszt-Sonate drückte sich Francesco Piemontesi klar aus: «Obwohl für mich Franz Liszt immer einer der wichtigsten musikalischen Bezugspunkte war, habe ich mir mit der Sonate Zeit gelassen. Sie ist so etwas wie ein musikalischer Mount Everest, den ich nicht zu früh in meinem Leben besteigen wollte. In diesem Stück begegnet uns Franz Liszt von verschiedenen Seiten: Als kühn konstruierender Visionär, als sensibler Lyriker, als mitreissender Klaviervirtuose.»
Über die Tonempfindung aus seinem Innern heraus sagt Francesco Piemontesi, dass er jeden Ton instrumental erlebe und die Werke jeweils orchestriere. Spürbar wurde dies in der zweiten Zugabe, dem Bach-Choral, der im Finale komplett orchestral wirkte und die Konzertbesuchenden würdevoll hinausbegleitete.