Reise durch Zeit und Raum
18.02.2025 GstaadEin gleissender Lichtstrahl und meditative Klänge strömen aus dem Kapälli. Dahinter steckt eine Kunstinstallation von Emilio Ferro, die zur Meditation anregt.
SONJA WOLF
Es ist Freitagabend. Gespannt steht eine kleine Gruppe Kunstbegeisterter vor dem ...
Ein gleissender Lichtstrahl und meditative Klänge strömen aus dem Kapälli. Dahinter steckt eine Kunstinstallation von Emilio Ferro, die zur Meditation anregt.
SONJA WOLF
Es ist Freitagabend. Gespannt steht eine kleine Gruppe Kunstbegeisterter vor dem Kapälli Gstaad. Die Temperaturen sind unter Null, doch das Publikum ist gut mit wärmendem Glühwein versorgt. Ein paar einführende Worte von den Organisatoren und vom Künstler Emilio Ferro selbst, die Spannung steigt – und dann geht endlich die Kirchentür auf.
Ein gleissender Lichtstrahl scheint den Besuchenden von vorne aus dem Chorraum entgegen. Er zieht sich durch das ganze Kirchenschiff, leuchtet hinaus bis ins Dorf, bis er von der nächsten Hausmauer durchbrochen wird. Wie in einer Prozession gehen die Besuchenden langsam und fast ehrfürchtig durch die Kirche dem intensiven weissen Licht entgegen. Nebelschwaden machen den Lichtstrahl sichtbarer und auch ein wenig geheimnisvoller. Daneben ertönt kraftvoll sphärische Musik aus vier Lautsprechern.
Eine Schwellenerfahrung
«Der Lichtstrahl symbolisiert eine Schwellenerfahrung, wie es der englische Titel ‹liminal journey› umschreibt», erklärt Valentina Locatelli, die Kuratorin der Ausstellung, im Gespräch mit dieser Zeitung. «Das Licht überschreitet die physische Schwelle der Kirchentür und ist sozusagen die Verbindung zwischen Kapelle und Dorf, zwischen dem Heiligen und dem Alltäglichen.» Valentina Locatelli liebt es, solche Ausstellungen ausserhalb des «white cube» zu präsentieren, also ausserhalb der offiziellen, weiss gestrichenen Ausstellungsräume: Das kann in einem Schloss sein oder wie in diesem Fall in einer Kirche. «Denn so wird Kunst einem breiteren Publikum zugänglich wie zum Beispiel Familien mit Kindern.»
Töne aus dem Saanenland
Damit ist sie ganz auf einer Linie mit dem Künstler Emilio Ferro, der es genauso liebt, Kunst mit natürlichen Elementen und speziellen Orten zu verknüpfen. Seine aktuelle Installation hat er komplett auf die St.-Niklaus-Kapelle zugeschnitten. «Ich habe die Geschichte der Kapelle studiert», sagt er dem interessierten Publikum. Der Heilige Nikolaus als Schutzpatron der Reisenden fliesst auch in die Installation ein. Sie unterstreicht die Dimension der Reise als Weg zu Bewusstsein und Transformation. «Ich habe mit Unterwassermikrofonen die Geräusche der Flüsse und Bäche hier im Saanenland aufgenommen und wiederum mit anderen speziellen Mikrofonen die Magnetfelder in der Kapelle», erklärt der Künstler den Entstehungsprozess der halbstündigen Klangkomposition, die in Dauerschleife zu hören ist. «Der Sound ist mit dem Raum verbunden und das Licht mit der Zeit.» So versucht Ferro, die Betrachtenden zu meditativen Zeitund Raumreisenden zu machen.
Gelungene Verbindung von Kunst und Kirche
«Ich habe grosse Freude an der Installation», findet auch Pfarrerin Marianne Kellenberger, die sehr viel zur Organisation beigetragen hat. «Zuerst war ich sehr zurückhaltend, denn Kunst sollte eine Kirche nicht konkurrenzieren. Eine Kirche an sich ist ja schon Kunst. Man denke nur an das Gebäude selber oder die Fensterbilder», sagt sie auf Anfrage. Bisher wurden in der St.- Niklaus-Kapelle tatsächlich auch noch keine Kunstinstallationen aufgebaut. Dann habe sie aber von der Kuratorin und dem Künstler vom Projekt erfahren und die Idee fantastisch gefunden. «Das Projekt ist kein Kontrapunkt, sondern kann auch theologisch gedeutet werden, als Licht der Welt, das aus der Kirche in die Welt hinausstrahlt», findet sie. Besonders schätzt die Pfarrerin das verbindende Element, denn der Lichtstrahl, der die Kirche mit dem Dorf verbindet, führt die Menschen in den Raum der Kirche, bringt sie zusammen und eventuell sogar zum Meditieren.
Geöffnet noch bis zum 2. März, 8-12 Uhr und 16-20 Uhr.
EMILIO FERRO
Der Künstler ist 1988 in Alba/Italien geboren. Er liebt es, seine Kunst mit Licht, Ton, moderner Technik und der Natur zu verbinden.
ART+CHATEAU
Der Verein art+château hat die Installation zusammen mit Espace Muraille konzipiert und realisiert. Es ist ein gemeinnütziger Verein in Bern, der zeitgenössische Kunst in historischen Räumen ausserhalb des «white cube» präsentiert, um Kunst einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Präsidentin ist Valentina Locatelli.
ESPACE MURAILLE
Espace Muraille ist ein Ausstellungsraum in der ehemaligen Befestigungsanlage der Genfer Altstadt, mitgegründet von der Kunstsammlerin und Mäzenin Caroline Freymond, die auch die Galerie «Menus Plaisirs» in Gstaad unterhält.
SWO