In Deutschland kursiert das fatale Wort «Remigration». Gemäss dem journalistischen Netzwerk «Correctiv» gab es kürzlich ein geheimes Treffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremisten. Dabei soll es um Pläne zur Remigration (d.h. Abschiebung) von Millionen Menschen in ihre Herkunftsländer gegangen sein. Seither protestierten in Deutschland tagelang Hunderttausende gegen rechtsextreme Bewegungen wie die Alternative für Deutschland.

Und in der Schweiz? «Die Identitäre Bewegung Schweiz» startet gemäss ihrer Website zum zehnjährigen Bestehen 2024 eine Kampagne mit dem Hauptthema «Remigration». Der grosse europäische «Bevölkerungsaustausch» erfordere eine «Umkehr der Migrationsströme im Sinne der Bewahrung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in allen Ländern». Für letzteres ist die Schweiz seit 1848 beispielhaft. Warum?

Die neuere Geschichte unserer Asylpolitik beginnt mit Oscar Schürch, dem Chef der Polizeiabteilung im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement. Er schrieb 1956 in einer Aktennotiz mit dem Titel «Aufnahme ungarischer Flüchtlinge aus Oesterreich» an Bundespräsident Markus Feldmann: «Die Schweiz nimmt alle auf, die kommen wollen und hat keine Auslesekriterien.» Unser Land war noch bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einigermassen gastfreundlich. Aber danach sprach man bald von «Überfremdung». Im Jahr 1961 schien die Schweiz völlig überfüllt mit Immigrantinnen und Immigranten. Es gab zwar auch schon damals viele Grenzwächter und eine Fremdenpolizei – doch deren Wirkung war offensichtlich bescheiden. Es war dann die «Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat», welche uns die vermeintliche Tatsache der angeblich hoffnungslosen Überfremdung über Flugblätter und Plakate kundtat. «Die sind halt gegen die vielen Italiener», sagte mein Vater. Auch in Zürich-Höngg, wo wir wohnten, gab es auf den Baustellen zahlreiche sogenannte Fremdarbeiter aus dem Süden. Meine Mutter indessen schien das keineswegs zu stören – im Gegenteil. Als wir einmal zusammen einkaufen gingen und an einem Rohbau eines grossen Wohnblocks vorbeikamen, stellte gerade ein schöner junger Italiener seinen Pressluftbohrer ab… und pfiff meiner Mutter melodiös hinterher. Sie lächelte, grüsste flüchtig und wir gingen weiter. Abgesehen davon war aber in unserem Quartier gegenüber den Fremdarbeitern schon eher Misstrauen und Angst zu verspüren.

Im Jahr 1964 lancierten die Zürcher Demokraten die erste Volksinitiative gegen die Überfremdung. Sie wurde 1968 aus unbekannten Gründen zurückgezogen.

Am 7. Juni 1970 kam die zweite Überfremdungsinitiative (Urheber James Schwarzenbach) zur Abstimmung und wurde mit 54 Prozent Neinstimmen verworfen.

Am 20. Oktober 1974 kam die Initiative «gegen die Überfremdung und Überbevölkerung der Schweiz» (Urheber Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat) zur Abstimmung und wurde mit 65,8 Prozent Neinstimmen verworfen.

Am 13. März 1977 kam die Volksinitiative «zum Schutze der Schweiz» (Urheberin Schweizerische Republikanische Bewegung) zur Abstimmung und wurde äusserst knapp mit 51,1 Prozent abgelehnt.

1987 scheiterte eine Überfremdungsinitiative bereits in der Unterschriftensammlung.

Und 1988 scheiterte schliesslich die Initiative «für die Begrenzung der Aufnahme von Asylanten» nochmals im Sammelstadium.

Am 4. Dezember 1988 wurde die Volksinitiative «für die Begrenzung der Einwanderung» der «Nationalen Aktion für Volk und Heimat» mit 67,3 Prozent Neinstimmen abgelehnt. Diese Reihe kann mit einigen weiteren Überfremdungsinitiativen fortgesetzt werden, welche schon in der Unterschriftensammlung oder spätestens bei der Abstimmung scheiterten. Und der vorläufige Schlusspunkt der ausländerfeindlichen Abstimmungen wurde am 9. Februar 2014 mit der Volksabstimmung über die «Masseneinwanderungsinitiative» gesetzt. Im Initiativkomitee sassen 27 alphabetisch aufgeführte Mitglieder – die Elite der SVP: Adrian Amstutz, Caspar Baader, Christoph Blocher, Toni Brunner, Walter Frey und weitere. Der letzte unter den Initianten mit Nummer 27 war Walter Wobmann.

Der erste Satz in der Volksinitiative mit dem Titel «Gegen Masseneinwanderung» lautete: «Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.»

Und noch ein letztes Detail: Die Initiative «Gegen Masseneinwanderung» wurde mit 50,33 Prozent Jastimmen angenommen. (Fortsetzung folgt)

OSWALD SIGG

JOURNALIST, EHEMALIGER BUNDESRATSSPRECHER oswaldsigg144@gmail.com

Remigration (Teil 1)

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