Saanen: Der Solar-Express ist vorerst abgefahren

  11.12.2023 Politik

Klare Abfuhren für die Photovoltaik-Grossanlage der SolSarine und die Wortmeldung eines Kantonsvertreters, der sich zum Projekt äussern wollte. Aber grünes Licht für den Erwerb des Eisbahnareals und die Landabtretung für den gemeinnützigen Wohnungsbau auf der Ebnitmatte und für Steuersenkungen.

KEREM S. MAURER
Sie dauerte lange und sie war gut besucht. 598 Stimmberechtigte, was einer Stimmbeteiligung von 15,3 Prozent entspricht, drängten sich am Freitagabend in die Kirche Saanen und blieben bis die Versammlung vom Versammlungsvorsitzenden Louis Lanz um 23:15 Uhr geschlossen wurde.

Erneuerbare Energie ja, aber nicht so
Gemeinderat Thomas Frei stieg mit den Worten «Ich habe das Gefühl, jetzt gehts los und ja – ich bin nervös» in die Präsentation des Projektes SolSarine ein. Er betonte die Bedeutung dieser alpinen Photovoltaikgrossanlage für die Region hinsichtlich mehr Unabhängigkeit in Sachen Strom und sagte, dass Solarzellen auf den Dächern dafür allein nicht ausreichen würden. Zudem gebe es für die Landwirtschaft weder Einschränkungen noch Ausfälle. SolSarine, schloss Frei seine engagiert vorgetragene Präsentation, sei der Schlüssel zum Erfolg.

Nach Frei empfahl Gemeinderat Martin Hefti, als Gemeinderatsminderheitsvertreter, das Projekt zur Ablehnung. Hinsichtlich Landwirtschaft nähme es ihn wunder, wie Sömmerungsflächen, auf denen zahlreiche Solarzellen stünden, noch gedüngt werden könnten, sagte er und betonte, dass einmal ins Netz eingespeister Strom möglicherweise nach Wimmis abfliesse und fort sei. Im schlimmsten Fall opfere das Saanenland seine wunderbare Natur zugunsten von Solarzellen, welche Strom für das Unterland lieferten. Und er bezweifelte, dass das bestehende Stromnetz in der Lage sei, die prognostizierte jährliche Produktion von 66,4 Gigawattstunden aufzunehmen. «Ja, wir brauchen künftig mehr Strom, aber nicht auf diese Weise», schloss Hefti.

Ähnlich äusserte sich auch Flurin Riedi, der sich an der Gemeindeversammlung als Tourismusdirektor zu Wort meldete. Nachdem er vorausgeschickt hatte, dass Gstaad Saanenland Tourismus (GST) keine Stimmempfehlung zu SolSarine abgegeben habe, sagte er, dass aus touristischer Sicht für solche Anlagen wenn möglichst Standorte gewählt werden müssten, die ausserhalb der Wandergebiete lägen. «Die gewählten 13 Standorte befinden sich mitten im schönsten und wertvollsten Natur- und Wandergebiet, das vor allem im für uns immer wichtiger werdenden Sommer von ganz grosser Bedeutung ist», sagte Riedi.

Ulrich Nyffenegger, Vorsteher des Amts für Umwelt und Energie (AUE)war eigens angereist, um sich aus Sicht des Kantons zum Projekt zu äussern. Da er in Saanen nicht stimmberechtigt ist, bedurfte es dafür die Zusteimmung der Gemeindeversammlung. Diese wurde mit 328 Nein- gegen 230 Ja-Stimmen nicht erteilt.

In der Folge wurde heftig debattiert. Mit der zunehmenden E-Mobilität brauche man künftig deutlich mehr Strom, meinte ein Befürworter. Diesen aus deutschen Kohlekraft- oder französischen Atomkraftwerken zu beziehen, sei keine Lösung, wenn man eine Möglichkeit wie SolSarine habe. «Ja, die Solaranlagen sind sichtbar, na und?», fragte er. Schliesslich sei es doch gerade für Touristen interessant und wichtig zu sehen, dass das Saanenland einen grossen Teil seines Strombedarfs selbst produziere. Ein anderer sagte, dass man den Strom im Saanenland nicht für Bern produziere, speziell im Winter würde die Bergbahnen Destination Gstaad AG (BDG) den Strom selbst nutzen. Und ein Weiterer bezeichnete das Projekt SolSarine als gute Sofortmassnahme, welche kurzund mittelfristig helfe, etwaige Stromengpässe zu überbrücken. Sollte man in zehn oder zwanzig Jahren nicht mehr auf den Solarstrom angewiesen sein, könne man die Solarzellen ohne Probleme und Rückstände in der Natur wieder zurückbauen. Die Befürworter waren sich einig: Ein Versuch sei es allemal wert. Die Solarzellen seien zwar nicht hübsch anzuschauen, aber man müsse zugunsten von mehr Energieunabhängigkeit in den sauren Apfel beissen, weil es schlicht an sinnvollen Alternativen fehle. Dazu befürchtete noch ein Landwirt, es könnten Kühe von Blitzen – angezogen durch die Metallstangen der Solartische – erschlagen werden.

Nach kontrovers geführter Diskussion lehnte die Stimmbevölkerung den Antrag der Gemeinde als Standortgemeinde für das alpine Photovoltaik-Grossprojekt mit 369 Nein- gegen 203 Ja-Stimmen ab. Damit ist der Solar-Express im Saanenland vorerst abgefahren.

SolSarine-Initianten sind enttäuscht
Obwohl ein Grossteil der Bevölkerung das Potenzial der alpinen Solarenergie erkenne, führten vor allem Bedenken zur optischen Beeinträchtigung der Landschaft, der Anzahl an Teilstandorten sowie Fragen zur Finanzierung eines potenziellen Rückbaus zur Ablehnung des Projekts, schrieb die Impact Gstaad Association in einer Medienmitteilung im Anschluss an die Gemeindeversammlung. «Natürlich sind wir von diesem Ergebnis sehr enttäuscht», erklärt Lorenz Furrer, Mitinitiant von Sol-Sarine. «In das Projekt SolSarine sind in den letzten Jahren viel Herzblut, Knowhow und Kapital geflossen. Trotz des klar positiven Umweltverträglichkeitsberichts gelang es uns aber nicht, die Bevölkerung vollends zu überzeugen.» Sol-Sarine sowie die Organisation Impact Gstaad, welche als Mitträgerin des Projekts fungierte, würden die Gründe für die Ablehnung nun detailliert analysieren. Nach der Ablehnung an der Gemeindeversammlung werde das Projekt Sol-Sarine nicht mehr weiterverfolgt. Bereits reservierte Beteiligungstickets verfielen. Es entstünden keinerlei weitere Verpflichtungen, wie es weiter heisst.

Impact Gstaad will dranbleiben
Um unabhängig der Vereinstätigkeiten Grossprojekte umsetzen zu können, wurde im Frühjahr 2023 die Impact Gstaad AG gegründet, welcher Manuel Blanco als Verwaltungsratspräsident und Lorenz Furrer als Vize-Verwaltungsratspräsident vorstehen, wie Impact Gstaad zum Abstimmungsergebnis schreibt. Die SolSarine AG wiederum sei als erstes Grossprojekt unter dem Dach von Impact Gstaad entstanden. Auch wenn Impact Gstaad als Mitträgerin des Solarprojekts SolSarine den negativen Ausgang der Abstimmung an der Gemeindeversammlung äusserst bedauere, habe dieser keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Arbeit der Initiative. «Impact Gstaad wird sich auch weiterhin für die nachhaltige Entwicklung der Destination Gstaad einsetzen und sich als einzigartige Impact-Investing-Plattform positionieren», schreibt sie.

Erheblichkeitsanträge
Zu vorgerückter Stunde informierte Louis Lanz über den an der letzten Gemeindeversammlung gestellten Erheblichkeitsantrag betreffend Kieswege auf dem Friedhof. Dann wurden deren drei neue gestellt. Thematisiert wurde einmal mehr die Ortsdurchfahrt in Schönried. Der Gemeinderat soll beauftragt werden, betreffend der Ortsdurchfahrt dem Stimmvolk eine Vorlage zu unterbreiten, wobei die Durchfahrtsgeschwindigkeit bei Tempo 50 beibehalten werden müsse. Ein anderes Begehren verlangte das Prüfen alternativer Energiegewinnung und das Dritte wollte eine Vorfrankatur des Abstimmungskuverts. Die Versammlung erklärte sämtliche Anträge als erheblich.

Am Ende der Versammlung richtete Louis Lanz einige Worte an Kantonsvertreter Ulrich Nyffenegger. Man habe hier oben grosse Probleme wie beispielsweise die Gesundheitsversorgung, die Erhöhung der amtlichen Werte oder der Lastenausgleich, unter dem Saanen leide, sagte Lanz. Doch oft, wenn solche Themen beim Kanton angesprochen würden, stosse man auf kein Gehör. Vielleicht habe es ja daran gelegen, dass man heute dem Kanton auch nicht zuhören wollte. Dafür erntete der Vorsitzende der Gemeindeversammlung lauten Beifall.

Protokoll der Gemeindeversammlung Saanen auf den Seiten 6, 7 und 9


WEITERGEHENDE STEUERSENKUNG DANK FDP

Die FDP Saanen stellte den Antrag, die Steueranlage der einfachen Steuer für die Gemeindesteuern von natürlichen und juristischen Personen (bisher: 1,2) auf 1,1 (Antrag der Gemeinde: 1,15) sowie die Steueranlage des amtlichen Wertes für Liegenschaften (bisher 0,75 Promille) auf 0,5 Promille (Antrag Gemeinde: 0,7 Promille) zu senken. Beide Steuersenkungsanträge der FDP wurden vom Souverän gutgeheissen. Damit steigt der budgetierte Aufwandüberschuss im Gesamthaushalt von 6,5 Millionen auf über 10,3 Millionen Franken an. Dennoch wurde das Budget von den Stimmberechtigten wortlos durchgewunken, nachdem sie auch den Finanzplan von 2024 bis 2028 zur Kenntnis genommen hatten.

KMA


GEMEINNÜTZIGER WOHNRAUM EBNITMATTE UND ERWERB EISBAHNAREAL

Der Abstimmung zu «Gemeinnütziger Wohnungsbau Ebnitmatte Gstaad: Landabtretung und Mitfinanzierung» gingen zwei Fragen aus der Mitte der Versammlung voraus. Der Erste, ein – wie sich der Votant selbst bezeichnete – einfacher Bauer, wollte wissen, wer die Bauarbeiten übernehme und ob dafür lokale Unternehmungen vorgesehen wären. Und der Zweite wollte wissen, was «bezahlbarer» Wohnraum bedeute und wie teuer diese Wohnungen letztlich werden. Gemeinderat Martin Hefti, der das Projekt vorstellte, antwortete, das Ziel sei, dass möglichst viele einheimische Unternehmungen berücksichtigt würden. Allerdings werde es keine «sehr billigen» Wohnungen geben aber genaue Beträge könnten heute nicht genannt werden. Dennoch stellte sich eine überwältigende Mehrheit der Stimmberechtigten mit 481 Ja- gegen 81-Nein-Stimmen hinter das Projekt, inklusive Kredit über 3,6 Millionen Franken zur Mitfinanzierung.
Zuvor stimmte die Versammlung dem Erwerb des Grundstücks GBB 453 Eisbahnareal Gstaad durch die Gemeinde zu. Dafür bewilligte der Souverän mit 561 Ja- gegen 13 Nein-Stimmen einen Kredit in der Höhe von 3’050’000 Franken. Gemeindepräsident Toni von Grünigen, der das Geschäft präsentierte und dies als «eines der wichtigsten Grundstücke im Saanenland» bezeichnete, sagte, er wisse, dass es einigen Aktionären der Eisbahn Gstaad AG wehgetan hätte, diesem Verkauf zuzustimmen und er bedankte sich, dass die Gemeinde das Grundstück übernehmen kann.

KMA


TONI VON GRÜNIGEN, SAANER GEMEINDEPRÄSIDENT, IM INTERVIEW

«Ich bedauere es, dass wir die Solarenergie nicht auf diese Weise nutzen können»

JOCELYNE PAGE

Toni von Grünigen, was sagen Sie zum Resultat von SolSarine?

Lang hatte ich den Eindruck, dass wenig Kritik und Opposition diesem Projekt gegenüberstehen. Da hätte ich vorgängig mehr Reaktionen erwartet. Wiederum hat mich die starke kurzfristige Kritik und Gegnerkampagne, eine Woche vor der Gemeindeversammlung, überrascht. Dies hätte ich so nicht erwartet. Als schliesslich die anwesenden Stimmbürger den nicht Stimmberechtigten keine Redeerlaubnis gewährten, habe ich die Ablehnung des Projekts schon ein wenig erwartet.

Wie beurteilen Sie diese Reaktion der anwesenden Stimmberechtigten, dass sie die Redeerlaubnis an nicht Stimmberechtigte nicht erteilt haben, unter anderem auch nicht an den Vorsteher des kantonalen Amts für Umwelt und Energie?

Dies bedauere ich. Denn ich schätze die Saaner Bevölkerung als offen ein und dass wir Gäste zu Wort kommen lassen. Ich bin der Ansicht, die Stimmbürger:innen hätten immer noch die Wahl gehabt, was sie aus den Worten von Herr Nyffennegger herausnehmen und wem oder was sie Glauben schenken.

Wie wichtig war dieses Projekt für die Gemeinde Saanen?

Im Prinzip war es ein privates Projekt, welches die Gemeinde unterstützt hat. Wir standen von Anfang hinter dem Projekt und haben deshalb auch eine Empfehlung für die Abstimmung abgegeben. Ich bedauere es, dass wir die Solarenergie nicht auf diese Weise nutzen können. Aber ich verstehe die Kritik, dass der Landschaftsschutz hier höher gewertet wird.

Wie will der Gemeinderat nun weiter vorgehen im Thema erneuerbare Energie?

Wir haben einen klaren Energierichtplan, in dem gewisse Vorgaben und Massnahmen definiert sind. Zudem hat die Gemeindeversammlung den Erheblichkeitsantrag angenommen, der die Prüfung verschiedener erneuerbarer Energiequellen verlangt. Wir werden dies vertieft prüfen. Aber auch so sind wir dran, wie auch meine Gemeinderatskollegin Patricia Matti an der Gemeindeversammlung erklärt hat, verschiedene Optionen zu prüfen, beispielsweise Solaranlagen (Richtlinien Kaskadenmodel) oder Nutzung von Wasserkraft bei Quellfassungen. Die Gemeinde hat mit diesem Erheblichkeitsantrag auch gezeigt, dass sie nicht grundsätzlich gegen erneuerbare Energien ist, sondern vielmehr gegen Solaranlagen in diesem Ausmass.

Wo sieht der Gemeinderat das meiste Potenzial?

SolSarine wäre ein Projekt gewesen, mit der wir mit einer einzigen Massnahme sehr viel erneuerbare Energie hätten gewinnen können. Nun steigen wir auf eine Vielzahl von einzelnen Massnahmen um. Hier sind die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls gefragt, bei sich ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Wir prüfen, wie wir sie dabei als Gemeinde besser unterstützen können.

Wie dringlich schätzt der Gemeinderat den Handlungsbedarf in Sachen erneuerbaren Energien ein?

Der Handlungsbedarf ist dem Gemeinderat bewusst, darum hat er auch das SolSarine-Projekt unterstützt. Wir sind uns auch bewusst, dass es schönere Projekte gibt als die Solarpanels in der Landschaft, doch es wäre ein effizienter Weg für erneuerbare Energien gewesen. Nichtsdestotrotz haben wir uns im Energierichtplan klare Ziele gesetzt, woraus wir nun neue Massnahmen erarbeiten und auf die Unterstützung der Stimmbevölkerung hoffen.


DIE INITIANTEN VON SOLSARINE – MATTHIAS IN-ALBON, LORENZ FURRER UND ANDREA SCHERZ – IM INTERVIEW

SolSarine-Initianten: «Es war eine klare Haltung ‹Not in my backyard› feststellbar.»

JOCELYNE PAGE

Wie geht es Ihnen nach der Gemeindeversammlung?

Andrea Scherz (AS): Die Stimmung ist im Keller. Nicht nur, weil das Projekt abgelehnt wurde, sondern ich verstehe das egoistische Denken in unserer Region nicht. Der Klimawandel ist so ein zentrales Problem der ganzen Welt. Ich habe mich intensiv damit befasst und es macht mir sehr Angst, wenn ich an die extremen Wettersituationen und an unsere Nachkommen denke. Der Klimawandel lässt sich nur stoppen, wenn wir alle am gleichen Strick ziehen.

Lorenz Furrer (LF): Der aktuelle Ausgang ist meiner Meinung nach nicht repräsentativ, eine Urnenabstimmung wäre dies allerdings schon. Einerseits haben wir schnell festgestellt, dass eine grosse Opposition für die Gemeindeversammlung mobilisiert wurde. Andererseits war die Diskussion meiner Meinung nach nicht fair. Die Präsentation von Gemeinderat Martin Hefti hatte inhaltliche Mängel, beispielsweise der Vergleich mit dem Strom, der seiner Meinung nach direkt nach Wimmis fliesst. Und auch die Tatsache, dass Ulrich Nyffenegger, Vorsteher des kantonalen Amts für Umwelt und Energie, weder als Redner noch als Beantworter von Fragen zugelassen wurde, fand ich eines demokratischen Prozesses unwürdig.

Was war Ihrer Meinung nach der ausschlaggebende Punkt, dass Ihr Projekt abgelehnt wurde?

Matthias In-Albon (MI): Es war eine klare Haltung «Not in my backyard» – nicht in meinem Hinterhof – feststellbar. Per se war die Mehrheit der anwesenden Saaner Stimmbevölkerung nicht gegen erneuerbare Energien, sie will einfach ihre eigene Landschaft nicht für diesen Ausbau hergeben.

AS: Für den Landschaftsschutz haben wir grosses Verständnis, jedoch wären nur 0,6 Prozent der Gemeindefläche mit viel Sorgfalt und Liebe zur Natur für das Projekt mit Solargrossanlagen bestückt worden, was aus unserer Sicht ein kleiner Preis gewesen wäre. Hätten wir dieses Projekt realisiert, bin ich mir sicher, dass wir mehr Lob als Kritik von aussen geerntet hätten.

LF: Dies war schon damals beim Ausbau des Autobahnnetzes ein Problem und ist es bei allen grossen Infrastruktur-Projekten. Gerade letztens hat die NZZ auf diese Periode zurückgeschaut und den damaligen bernischen Regierungspräsidenten Samuel Brawand zitiert, der 1962 an der Eröffnung des Autobahnabschnitts Grauholz sagte: «Das ganze Volk schreit nach Autobahnen und von dem Moment an, in dem es gilt, dafür einen Quadratmeter Land zur Verfügung zu stellen, will niemand etwas geben.»

Weshalb wäre das SolSarine‑Projekt wichtig für die Region gewesen?

LF: Gstaad und das Saanenland allgemein haben einen riesengrossen CO2-Fussabdruck. Das Fünfsternesegment in der Hotellerie ist ausgeprägt, der Luxusmarkt stark präsent, der private Luftverkehr durch den Gstaad Airport leistet ebenfalls seinen Beitrag dazu. Ich verurteile das überhaupt nicht, zumal sich Nachhaltigkeit primär an dem misst, was man tut und nicht an dem, was man nicht tut. Es wäre dahingehend ein Pionierprojekt gewesen, um die Region in eine nachhaltigere Zukunft zu führen. Es ist geradezu ein Hohn, dass Saanen in dem Moment ein Solargrossprojekt ablehnt, indem die Weltklimakonferenz läuft und zum Handeln aufruft.

MI: Genau. Dort sind alle der gleichen Meinung, dass nun unglaubliche gemeinsame Bestrebungen stattfinden müssen, damit nicht alles aus dem Ruder läuft.

Im Rückblick: Hätten Sie etwas anders machen sollen, um den notwendigen Rückhalt in Saanen zu erhalten?

MI: Wir hatten 16 öffentliche Veranstaltungen, waren bei allen Parteien vorstellig, auch bei den Vereinen wie Gewerbeverein und landwirtschaftlicher Verein. Alle politischen Parteien haben das Projekt offiziell unterstützt. Überall haben wir mehrheitlich positive Rückmeldungen erhalten. Deshalb passt das aktuelle Bild nicht mit unserem zusammen.

LF: Ja, es irritiert. Wir dachten auch, dass die Saaner Bevölkerung es schätzt, dass kein grosser Energiekonzern dahintersteckt und dass die lokale Bevölkerung beim Beteiligungsprogramm mitmachen kann. Am Ende konnten wir die Mehrheit in Saanen nicht mobilisieren. In Zweisimmen hingegen hatten wir einen Ja-Anteil von rund 70 Prozent. Das macht es für uns auch schwer nachvollziehbar.

Somit ist das Projekt vom Tisch, auch wenn Zweisimmen und St. Stephan dem Projekt zugestimmt haben?

LF: Genau, es ist vom Tisch, das müssen wir akzeptieren. Die Gemeinde Saanen muss nun schauen, wie sie ihr Ziel im Energierichtplan erreichen will. Dort ist definiert, dass bis 2035 der Anteil der selbst produzierten erneuerbaren Energien auf 80 Prozent des Stromverbrauchs erhöht werden soll, ausgehend von heute 92 Gigwattstunden Stromverbrauch pro Jahr. Auch mit vielen Solardächern, wie das Christian Hoefliger propagiert, wird dies unmöglich erreichbar sein.

Lorenz Furrer, gegenüber dem Regionaljournal SRF haben Sie gesagt, Ulrich Nyffenegger sei von der Versammlung ausgebuht worden, dies habe sie schockiert. Die anwesenden Stimmberechtigten hingegen sind verärgert, weil diese Aussage nicht der Tatsache entspricht: Die Anwesenden haben zu den Voten des Präsidenten der Gemeindeversammlung Louis Lanz zwar applaudiert, Buhrufe waren allerdings nicht zu hören. Was sagen Sie dazu?

LF: Ich finde, dass Louis Lanz als Präsident der Gemeindeversammlung Ulrich Nyffenegger abgekanzelt hat. Er beschwerte sich, dass der Kanton nur vorbeikomme, wenn er etwas brauche. Dazu haben die Stimmberechtigten geklatscht und gejohlt. Nyffenegger konnte sich ja nicht wehren. Dies habe ich als eine Wertung empfunden, die gegen mein demokratisches Verständnis verstösst. Lanz hat seinen Job sonst sehr gut gemacht, aber in diesem Bezug war es unfair und undemokratisch. Das habe ich ihm so im Nachhinein geschrieben.

Wie geht es nun weiter? Haben Sie andere Projekte im Köcher?

MI: Nein, es gibt keine weiteren Projekte mehr und auch keinen Plan B. Der Weg bis hierher war sehr aufwendig und hat uns weit über 1,5 Millionen Franken gekostet.

Hätte das Projekt in einer kleineren Dimension mehr Chancen erhalten?

LF: Ich weiss nur, dass Raimund Rodewald, Präsident der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, unser Projekt kritisiert hat, weil es auf mehreren Flächen verteilt war, zeitgleich aber auch das alpine Solarprojekt auf der Alp Morgeten und Grengiols bemängelte, weil es nur eine grosse Fläche vorsah. Es stimmt uns ratlos.

Nun steht das Abstimmungsresultat fest. Welche Ziele verfolgen Sie nun?

MI: Das Bedürfnis und der Tatendrang ist immer noch da, dass wir gegen den Klimawandel ankämpfen müssen, denn er macht vor Saanen keinen Halt. Ich möchte an dieser Stelle auch ein Kränzchen winden an alle Landeigentümer:innen, die uns unterstützt haben.

LF: Dem stimme ich zu. Einer der Landeigentümer hat mir geschrieben: Die Schlacht ist verloren, doch der Kampf ist noch nicht vorüber. Wir wollen weiterhin nach Lösungen und Alternativen suchen, damit wir erneuerbare Energien anbieten können. Die Region darf sich dem nicht verwehren.


MARTIN HEFTI, SAANER GEMEINDERAT UND GEGNER DES SOLSARINE-PROJEK TS, IM INTERVIEW

«Für unsere Region ist die Landschaft und die Natur unser wichtigstes Gut»

JOCELYNE PAGE

Martin Hefti, Sie waren die Opposition in der Saaner Exekutive. Wie beurteilen Sie das Resultat?

Ich beurteile das Resultat so, dass die Stimmberechtigten die Nachteile auch so aufgezeigt bekommen haben, dass sie sich ihre eigene Meinung bilden konnten. Dass eine Mehrheit gegen das Projekt bestand, hat sich bei der negativen Abstimmung über die Redeerlaubnis für die nicht Stimmberechtigten herauskristallisiert.

Weshalb war das Projekt Ihrer Meinung nach nicht tragbar für die Gemeinde Saanen?

Zum einen haben wir in unserer Tourismusregion grossen Erfolg mit unserem Baustil und unseren strengen Baureglementen, weshalb ich mich an der Einsicht in der Landschaft gestört habe. Aus meiner Sicht ist es für uns Einheimische ein grosser Eingriff in unseren Lebensraum und unsere Landschaft, wenn wir derart grosse Solarpanels verbauen. Zum anderen schien mir die Finanzierung fast schon wie ein Kapitalprojekt und nicht wie ein Energieprojekt.

Sie sprechen von grossen Solarpanels in der Landschaft, jedoch wäre es laut Initianten gerade mal 0,6 Prozent der Saaner Gemeindefläche gewesen. Hätten Sie dem Projekt zugestimmt, wenn die Flächen an einer anderen Stelle angedacht gewesen wären?

Vielleicht eher Ja gesagt. Es waren schon hauptsächlich die Standorte, an denen ich mich gestört habe, die touristisch genutzt werden und auch für die Einheimischen ein wichtiges Erholungsgebiet sind. Zudem waren die Solaranlagen auf eine ganze Länge verteilt geplant und nicht an einem Standort zentriert, dies hätte ich als realistischer betrachtet. Dies an einem Standort natürlich, der passender wäre. Ich hatte auch Bedenken, dass diese Solargrossanlagen nach zehn Jahren wachsen könnten, wenn man einmal mit der Erstellung dieser Anlagen begonnen hat.

Dass sukzessiv neue Solaranlagen hinzu gebaut worden wären?

Genau, wenn einmal eine Stromleitung besteht, dass der Kanton durch einen Mantelerlass mehr Solarflächen ausscheidet. Die Erweiterung liesse sich wohl nicht mehr stoppen. Das wäre aus meiner Sicht noch schlimmer gewesen.

Was hätte sich am Projekt ändern müssen, damit Sie diesem zugestimmt hätten?

Ich habe das Gefühl, die Initianten haben sich sehr Mühe gegeben, um mit den Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Jedoch war für mich die Transparenz nicht immer vorhanden. Und ich war insbesondere ein Kritiker der Visualisierungen, die meiner Meinung nach nicht ehrlich gestaltet waren und eher als Marketingstrategie genutzt wurden. In Bezug auf die Zahlen haben sie Fakten genannt, diese sind meiner Meinung nach aber immer um die Entschädigung gegangen und nicht um den Profit, der damit erzielt wird.

Sind Sie grundsätzlich gegen Solargrossanlagen?

Grundsätzlich bin ich kein Gegner der Energiewende, den Handlungsbedarf sehe ich. Ich bin deshalb auch nicht gegen Solargrossanlagen und ich verstehe die Argumente der Befürwortenden voll und ganz. Ich verstehe auch das Prinzip des Winterstroms und die positiven Vorteile von alpinen Solaranlagen. Ich bin auch der Meinung, dass alpine Solargrossanlagen an bestimmten Standorten vollkommen Sinn ergeben. Für unsere Region ist die Landschaft und die Natur jedoch unser wichtigstes Gut. Ich bin somit der Letzte, der sich vehement gegen alpine Solaranlagen ausspricht. Dieses Projekt hatte allerdings eine Dimension mit grossen Flächen, hinter dem ich nicht stehen konnte.

Wo sehen Sie Lösungsansätze und Alternativen, damit die Region schnellstmöglich erneuerbare Energie erhält?

Ich sehe das Potenzial in kleinen Projekten bei den Häusern. Jedes neugebaute Dach soll wenn möglich mit Solarpanels bestückt werden. Ich bin auch der Meinung, dass der Bund und der Kanton mehr Fördergelder sprechen sollten. Dies könnte auch der Ansatz unserer Gemeinde sein, dass wir private Umbauten und Sanierungen in angemessener Form fördern, damit Private den Finanzaspekt nicht berücksichtigen müssen. Weil wenn es finanziell nicht tragbar ist, realisieren sie keine Solaranlage. Das Autarke bei Gebäuden muss deshalb stark forciert werden. Damit soll ein wesentlicher Beitrag bei erneuerbaren Energien geleistet werden und nicht grosse Projekte wie SolSarine. die unsere Landschaft sehr beeinträchtigen.

Wie kann die Gemeinde Saanen Hilfestellung geben, damit die Energiewende schneller umgesetzt werden kann?

Das Potenzial sehe ich bei den Gebäudehüllen, besonders bei Gewerbebauten, allgemein grösseren Immobilien und Scheunen. Es ist sinnvoller, die Bundesgelder dort zu investieren, im kleineren Rahmen. Somit können wir Schritt für Schritt erneuerbare Energiequellen dazu bauen. Zuletzt störe ich mich an der aktuellen Debatte: Letztens wird nur noch von Strom produzieren gesprochen, aber nicht von Strom sparen. Dies ist meiner Meinung nach ein falscher Ansatz. Wir müssen uns in beide Richtungen bewegen.

Wie dringlich schätzen Sie den Handlungsbedarf in Sachen erneuerbaren Energien ein?

Ich schätze ihn als dringlich ein, finde jedoch, dass wir das Thema nicht mit einer grossen Hysterie angehen sollten. Wir sollten mit Bedacht einen Weg finden und nicht mit der Brechstange ein Grossprojekt realisieren. Dass wir einen Bedarf decken müssen und dafür immer weniger Zeit haben, um die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, dessen bin ich mir bewusst. Wir müssen dieses Thema aber mit einem gewissen Menschenverstand angehen.


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