Zwei Frauen, zwei Gemeinden, 100 Tage im Amt – und 10 Fragen
11.04.2025 Interview, Saanen, GsteigAm 10. April war es so weit: Die 100-Tage-Marke ist erreicht. Seit Januar stehen mit Barbara Kernen in Gsteig und Petra Schläppi in Saanen zwei neue Präsidentinnen an der Spitze der Gemeindepolitik. Zum kleinen Amtsjubiläum blicken sie zurück – auf neue ...
Am 10. April war es so weit: Die 100-Tage-Marke ist erreicht. Seit Januar stehen mit Barbara Kernen in Gsteig und Petra Schläppi in Saanen zwei neue Präsidentinnen an der Spitze der Gemeindepolitik. Zum kleinen Amtsjubiläum blicken sie zurück – auf neue Verantwortungen und persönliche Aha-Momente.
Schläppi: «Als Präsidentin trägst du eine andere Verantwortung»
Seit 100 Tagen ist Petra Schläppi Gemeindepräsidentin von Saanen. Sie spricht über überraschende Rückmeldungen aus der Bevölkerung, ihre grössten Herausforderungen im neuen Amt – und über eine besondere goldene Geiss.
JOCELYNE PAGE
Wann war der Moment, an dem Sie realisiert haben: Das hier ist jetzt mein neues Amt – mit allem, was dazugehört?
Nach dem Wahlkampf – und ich glaube, so darf ich ihn schon nennen – musste ich zuerst einmal durchatmen, ich fühlte mich etwas leer. Doch schnell kam die Freude, dass mir die Wahl gelungen ist. Als ich dann erstmals im Büro stand, kam der Moment, indem ich realisierte: Boah, jetzt ist es Realität!
Gab es etwas, das Sie in den 100 Tagen überrascht hat – positiv oder negativ?
Positiv überrascht hat mich die Bevölkerung. Die Menschen sind sehr umsichtig. Sie haben wohl das Gefühl, ich sei fast rund um die Uhr für die Gemeinde unterwegs – und die ehrlichen Rückmeldungen berühren mich.
Viele haben gesagt: «Ich habe gehofft, dass du es wirst – endlich mal eine Frau am Steuer.» Dieses Vertrauen spüre ich. Das ist schön. Eine Umstellung war nun sicher die Arbeitsweise, denn vorher hatte ich keinen klassischen Bürojob. Die Umstellung auf den neuen Alltag hat mich gefordert. Jeder Tag ist anders. Ich muss flexibel bleiben und darf keine Pendenzen vergessen. Das war anfangs überraschend. Gleichzeitig finde ich es schön, dass ich zwischendurch meine Nachmittage auch mal anders gestalten kann – etwa mit Behandlungen in meiner Praxis. Das ist ein guter und wertvoller Ausgleich.
Wie unterscheidet sich der Alltag als Präsidentin im Vergleich zur Rolle als Gemeinderätin?
Der Unterschied ist gross. Als Präsidentin trägst du eine andere Verantwortung. Du bist tiefer in den spezifischen Geschäften drin. Als Gemeinderätin konzentriert man sich stark auf sein Ressort, gibt dort alles. Jetzt muss ich aber einen Überblick über alles erhalten und mir auch bei Themen wie Gemeindeabstimmungen und Überbauungsordnungen das nötige Wissen aneignen. Da ist mein eigener Anspruch hoch. Ich will sattelfest sein. Und das ist nicht immer so einfach. So bemerke ich, dass das Bauwesen mir bisher fern war und das will ich ändern. Aber ich lerne stetig dazu.
In welchen Bereichen sehen Sie persönlich noch Entwicklungspotenzial – bei sich selbst oder im Gemeindebetrieb?
Bei mir selbst vor allem in der Kommunikation. Ich möchte Gespräche besser leiten können – gerade bei schwierigen Sitzungen. Es geht darum, den Faden zu behalten und eine Diskussion auch mal zu stoppen, wenn es nötig ist. Ich will das Gespräch so führen, dass es in die richtige Richtung geht. Auch für die Gemeinde sehe ich Potenzial in der Kommunikation. Ich wünsche mir, dass wir als Verwaltung noch näher an die Bevölkerung rücken. Gut informieren, die Leute mitnehmen – gemeinsam etwas Gutes schaffen. Wir müssen spüren, wo der Schuh drückt.
Wie bleiben Sie mit den Leuten aus der Gemeinde in Kontakt – ganz ohne Amt und Sitzung?
Ich war kürzlich an der Rinderexpo der Jungzüchter eingeladen. Solche Anlässe sind wertvoll, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich durfte sogar die ganz Jüngsten mit ihren «Chälbini» bewerten! Und bin mit vielen ins Gespräch gekommen. Das gefällt mir.
Was ist aktuell das grösste Dossier auf Ihrem Tisch?
Die Entwicklung des Saaner Spitalareals. Ich habe mich entschieden, nicht das Co-Präsidium der Bergregion Obersimmental-Saanen zu übernehmen, sondern mich auf das Dossier Gesundheit zu konzentrieren. Das liegt mir. David Schmid wird als Vizepräsident das Co-Präsidium besetzen.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit im Gemeinderat und mit der Verwaltung?
Im Grossen und Ganzen funktioniert die Zusammenarbeit gut. Man merkt aber: Die Trennung zwischen strategischer und operativer Ebene ist eine Herausforderung. In der letzten Legislatur war der Gemeinderat oft auch operativ tätig. Jetzt versuchen wir, diese Bereiche sauberer zu trennen. Es ist ein Balanceakt – für beide Seiten. Aber notwendig. Zudem war es auch spannend zu beobachten, wie sich nach der Wahl jeder neu im Gemeinderat orientiert hat – fast wie eine Rudelbildung. Jeder fand seinen Platz. Für meine Kolleginnen und Kollegen im Rat war es sicher nicht einfach, mich jetzt als Präsidentin zu sehen. Dieser Rollenwechsel braucht Zeit. Aber sie machen das gut. Es wird engagiert und oftmals auch hart diskutiert, aber das finde ich richtig. Deshalb haben uns die Stimmbürger:innen gewählt, damit wir die Dinge richtig diskutieren und Lösungen suchen.
Was treibt Sie in Ihrer neuen Rolle an?
Es ist mir wichtig, als Petra Schläppi wahrgenommen zu werden – nicht als Präsidentin auf dem Thron. Die Nähe zu den Menschen, der Austausch, auch wenn mal Kritik kommt, das treibt mich an. Wir alle sind nicht perfekt. Aber wenn wir im Dialog bleiben, können wir viel bewegen.
Gab es in diesen 100 Tagen auch einen Moment zum Schmunzeln oder etwas, das Ihnen besonders in Erinnerung bleibt?
Ja, meine Geiss, die ich bei «SRF bi de Lüt» gewonnen habe! (Anm. d. Red.: Im Februar war das Fernsehformat in Gstaad zu Besuch. Im Rahmen dieser Show stellte sich Petra Schläppi live den Quizfragen der Moderatorin, wir haben berichtet) Mir wurde gesagt, es sei kein schweres Quiz, aber es waren meiner Meinung nach schon knackige Fragen versteckt. Viele haben mich danach angesprochen. Einer meinte sogar: «Ich kenne Sie von irgendwoher, waren Sie nicht im Fernsehen?» Das war lustig.
Hand aufs Herz: Würden Sie sich nochmals zur Wahl stellen – jetzt, da Sie wissen, wie der Hase läuft?
Ja. Ich würde es wieder machen. Wie das in vier Jahren tönt – das weiss ich noch nicht. (lacht) Aber nach 100 Tagen: auf jeden Fall.
ZUR PERSON
Petra Schläppi (SVP) war vor ihrem Amtsantritt als Saaner Gemeindepräsidentin bereits Mitglied der Exekutive. Während der vergangenen vier Jahre kümmerte sie sich um das Ressort Soziales. Bei den Wahlen vergangenen Herbst setzte sie sich gegen David Schmid (FDP) und Martin Göppert (parteilos) durch. Schläppi ist 1972 geboren, ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Sie ist ausgebildete Pflegefachfrau und Komplementärtherapeutin. Sie führt eine eigene Praxis, in der sie sich der Craniosacral-Therapie widmet.
JOP
Kernen: «Ob Präsidentin oder Barbara Kernen – ich bleibe die Gleiche»
Seit 100 Tagen steht Barbara Kernen an der Spitze der Gemeinde Gsteig. Im Interview spricht sie über Verantwortung, Organisation, ihre Motivation – und über einen Moment, in dem sie sich fragte, ob das nun ein Aprilscherz sei.
JOCELYNE PAGE
Wann war der Moment, an dem Sie realisiert haben: Das hier ist jetzt mein neues Amt – mit allem, was dazugehört?
Als ich die erste Gemeinderatssitzung geleitet habe. Zwar hatte ich als Vizegemeindepräsidentin bereits einige Verantwortlichkeiten, aber nun trage ich die gesamte Verantwortung. Das ist schon eine andere Hausnummer – und ja, ich war auch nervös. Vorher hat man sich gezielt auf seine eigenen Dossiers vorbereitet. Jetzt brauche ich den Überblick über alle Geschäfte und muss die Sitzung souverän führen. Da darf ich den Faden nicht verlieren. Es ist definitiv eine grössere Aufgabe als zuvor.
Gab es etwas, das Sie in den 100 Tagen überrascht hat – positiv oder negativ?
Überrascht im eigentlichen Sinne wurde ich nicht. Aber ich habe zwei, drei E-Mails erhalten, die eigentlich an die Verwaltung gerichtet gewesen wären. Es ist spannend zu beobachten, wie gewisse Personen meine Rolle wahrnehmen. Als Vorsitzende der Exekutive bin ich ja nicht operativ tätig.
Wie unterscheidet sich der Alltag als Präsidentin im Vergleich zur Rolle als Gemeinderätin?
Als Vizepräsidentin hatte ich bereits einen guten Einblick erhalten. Ich war auch bei den zweiwöchentlichen Treffen mit dem damaligen Gemeindepräsidenten und dem Gemeindeschreiber dabei. Und alle zwei Wochen haben wir Gemeinderatssitzung. Das hat mir geholfen, mich gut auf meine neue Rolle vorzubereiten. Aber zu behaupten, ich sei auf alles vorbereitet gewesen, wäre übertrieben. Die vielen Dossiers, die Bürokratie – das ist schon Arbeit. Ich muss vieles absegnen und unterschreiben, und da wird mir manchmal bewusst, wie gross die Verantwortung ist, die ich jetzt trage. Aber grundsätzlich bereitet mir die Aufgabe Freude. Ich habe mich auch als Mensch nicht verändert – das sagen mir auch Freundinnen und Freunde. Und das will ich auch so beibehalten: Ob als Präsidentin oder als Barbara Kernen – ich bleibe die Gleiche.
In welchen Bereichen sehen Sie persönlich noch Entwicklungspotenzial – bei sich selbst oder im Gemeindebetrieb?
Bei mir selbst liegt das Potenzial vor allem in der Organisation. Ich will sicherstellen, dass ich keine Pendenz vergesse. Die Aufgaben sind vielfältig und dazu arbeite ich bei der Saanen Bank, bei der ich mein Pensum auf 90 Prozent reduzieren konnte. Ich bin gerade daran, ein eigenes System zu erarbeiten, um meine Aufgaben sauber zu strukturieren. Was mich sehr freut: Mein Arbeitgeber unterstützt mich. Die restlichen zehn Prozent kann ich flexibel gestalten, ich habe keine fixen Bürozeiten. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wie bleiben Sie mit den Leuten aus der Gemeinde in Kontakt – ganz ohne Amt und Sitzung?
Ich bin gerne unterwegs, in der Gesellschaft, mit Freunden – das war ich schon immer. So treffe ich ganz natürlich auf Leute, kriege ehrliche Rückmeldungen und komme ins Gespräch. Zudem sind wir ein Gremium von neun Personen. Wir können uns gut aufteilen, wenn bei Anlässen eine Gemeinderatsvertretung gewünscht ist. Das gibt mir etwas Freiheit, aber auch den anderen die Möglichkeit, direkt mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Das ist mir wichtig. Denn wir haben keine grosse Hierarchie – ich sehe uns alle in der Exekutive auf Augenhöhe.
Was ist aktuell das grösste Dossier auf Ihrem Tisch?
Aktuell gibt es mehrere Dossiers, die ähnlich arbeitsintensiv sind. Es gibt aber keines, das heraussticht.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit im Gemeinderat und mit der Verwaltung?
Sehr gelungen, es «fägt». Wir führen gute, lebendige Sitzungen im Gemeinderat. Der Austausch ist angeregt und kollegial. Auch die Zusammenarbeit mit der Verwaltung funktioniert hervorragend.
Die Mitarbeitenden dort sind sehr kompetent. Es erstaunt mich immer wieder, wie breit und fundiert das Wissen sein muss – die Dossiers sind komplexer geworden. Zu Beginn meines Amts habe ich das Gespräch mit den vier Verwaltungsangestellten gesucht, um besser zu verstehen, worum sie sich kümmern. Das hat mir sehr geholfen. Teil des vierköpfigen Teams ist auch Paul Reichenbach, unser Gemeindeschreiber. Er ist seit bald 40 Jahren im Amt. Auf sein enormes Wissen können wir jederzeit zählen. Es ist kaum auszumalen, wie es sein wird, wenn er irgendwann in Pension geht.
Was treibt Sie in Ihrer neuen Rolle an?
Der Einsatz fürs Gemeinwohl. Und dass ich ein offenes Ohr habe für die Anliegen der Menschen.
Gab es in diesen 100 Tagen auch einen Moment zum Schmunzeln oder etwas, das Ihnen besonders in Erinnerung bleibt?
Wir hatten am 1. April eine Sitzung, bei der wir ein Thema behandelten, das uns schon länger beschäftigt. Nun brachte ein Mitglied neue Erkenntnisse ein und plötzlich sah das Thema ganz anders aus. Ich fragte dann lachend: «Ist das jetzt euer Ernst oder ein Aprilscherz?» (lacht)
Darf man wissen, um welches Thema es sich handelt?
Nein, das bleibt noch Sache des Gemeinderats.
Hand aufs Herz: Würden Sie sich nochmals zur Wahl stellen – jetzt, da Sie wissen, wie der Hase läuft?
Nach 100 Tagen würde ich nicht behaupten, dass ich schon genau weiss, wie der Hase läuft (lacht). Aber ich bereue nichts – und ja, ich würde mich wieder zur Wahl stellen.
ZUR PERSON
Barbara Kernen ist seit 2017 Mitglied des Gsteiger Gemeinderates, seit 2022 war sie Vizepräsidentin. Vergangenen Sommer gewann sie die Wahlen als Gemeinde(rats)präsidentin, ihr Kontrahent war Michael Gehret. Kernen ist 1973 geboren und wohnt mit ihrem Lebensgefährten in Gsteig. Sie ist ausgebildete kaufm. Angestellte, dipl. Sport- und Eventmanagerin HF und arbeitet bei der Saanen Bank in der Führungsunterstützung und im Marketing.
JOP