Schuberts Winterreise und eine Weltpremiere
30.01.2023 KulturDer Auftakt der diesjährigen Ausgabe der Sommets Musicaux de Gstaad war fulminant und vielschichtig. Nachwuchs und etablierte Musiker boten verschiedenste Klangerlebnisse.
JENNY STERCHI
Am Freitagabend war es Renaud Capu- çon, künstlerischer Leiter des ...
Der Auftakt der diesjährigen Ausgabe der Sommets Musicaux de Gstaad war fulminant und vielschichtig. Nachwuchs und etablierte Musiker boten verschiedenste Klangerlebnisse.
JENNY STERCHI
Am Freitagabend war es Renaud Capu- çon, künstlerischer Leiter des Festivals, selbst, der in Begleitung von Paul Zientara, Stéphanie Huang und Guillaume Bellom einen Abend lang Mozart zu Gehör brachte.
Künstlerischer Nachwuchs
Den Nachwuchsreigen des Festivals eröffneten am Samstagnachmittag in der St. Niklaus-Kapelle mitten in Gstaad die junge Pianistin Julia Hamos und der Cellist Edward Luengo.
Beide sind um die 30 Jahre alt und bereits preisgekrönt. Julia Hamos, die in den USA geboren wurde, ist Schülerin des grossen Sir András Schiff und stand bereits auf Bühnen in verschiedenen Ländern. Edward Luengo ist ebenfalls in den USA geboren und hat venezolanisch-amerikanische Wurzeln und musizierte bereits gemeinsam mit renommierten Künstlerinnen und Künstlern sowie Ensembles.
Kein leichtes Programm
Wer sich mit Benjamin Britten auseinandersetzt, dem wird gleichermassen Unverständnis und Bewunderung seitens des Publikums zuteil. Und dieses Wagnis gingen die Nachwuchstalente Julia Hamos und Edward Luengo ein. Mit Beethovens sieben Variationen über «Bei Männern, welche Liebe fühlen» aus Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «Die Zauberflöte» für Klavier und Violoncello (Es-Dur) hatten die beiden die zahlreichen Zuhörenden auf ihre Seite gebracht.
Dann folgte die Suite Nr. 3 für Violoncello, op. 87 von besagtem Benjamin Britten. Das Stück quoll beinahe über vor Atonalität, Disharmonien und gut versteckten Taktwechseln. Zeitgenössische Musik will auch verstanden sein, aber sie macht es einem nicht einfach.
Zeitgenössisch geht auch romantisch
Wie leicht zu verstehen erschien doch dagegen das Stück am Schluss des Konzertnachmittags. Die Sonate für Violoncello und Klavier FP 143 von Francis Poulenc kam mit romantischem Klang und harmonischen Läufen daher und versöhnte die hie und da geforderten Zuhörer. Der französische Komponist Poulenc lieferte mit dem Stück ein Beispiel dafür, dass die Musik zeitgenössischer Komponisten nicht zwangsweise atonal sein muss.
Das Auftragsstück zur Weltpremiere
Ein echtes Erlebnis war das Auftragswerk der noch nicht ganz 40-jährigen Diana Syrse. Die in Mexiko geborene Komponistin schuf mit «Black fire» ein kraftvolles Musikstück, das den beiden Interpreten Julia Hamos und Edward Luengo wunderbar gelang. Bei der Erarbeitung dieses Stücks stand den beiden der Cellist Steven Isserlis zur Seite. er war selbst vor Ort und lauschte dem Ergebnis dieser Zusammenarbeit.
Schuberts Winterreise
Wer kennt es nicht, das Schubert-Lied «Am Brunnen vor dem Tore»? Hin und wieder in Singkontrollen vergangener Schultage kläglich vorgetragen, ist es weitbekannt. Dass es zum Liederzyklus Winterreise op. 89 von Franz Schubert gehört, wussten vielleicht nicht alle, die am Samstagabend in der Kirche in Saanen Platz genommen hatten. Und das waren erfreulich viele.
Dem Bariton Peter Mattei gelangen neben diesem auch alle anderen Lieder, die zu Schuberts Winterreise gehören. In den einzelnen Stücke plante Schubert einen Winterbeschrieb voller Poesie. Und die wurde von Mattei überzeugend und bis ins kleinste Detail dargeboten. Die Zuhörenden hörten in den Liedvorträgen das sehnsüchtige Warten aufs Frühjahr und die gleichzeitige Faszination für die winterliche Natur und Kraft der kalten Jahreszeit. Man glaubte ihm und verstand jedes Wort, dass er sauber artikuliert und schnörkellos in die Kirche entliess. Matteis Mimik und Gestik taten ihr übriges. Auch der Pianist David Fray war ganz und gar in die Winterreise eingetaucht. Er verharrte jeweils in seiner Position, in der er den letzten Ton angeschlagen hatte, bis dieser verklungen war.
Der französische Pianist David Fray komplettierte die Leistung des Baritons, der aus Schweden stammt. Umso erstaunlicher erschien die fehlerfreie Aussprache der deutschen Liedtexte, die zu keinem Zeitpunkt Zweifel an einer vermeintlich deutschen Herkunft liess.