«Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden …» Von Frieden und Krieg

  28.10.2022 Kirche

Und er wird für Recht sorgen zwischen den Nationen und vielen Völkern Recht sprechen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Keine Nation wird gegen eine andere das Schwert erheben, und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen. Jesaja 2,4

Seit nunmehr acht Monaten führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine; die Kämpfe finden rund 1800 Kilometer Luftlinie von der Schweiz entfernt statt. Was hat sich mit diesem Konflikt verändert?
– Nicht die russische Expansionspolitik, die spätestens mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 Realität geworden war.
– Nicht die Rückkehr des Krieges in Europa. Wir erinnern uns an die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Neunzigerjahren in Ex-Jugoslawien.
– Nicht die Ankunft von Kriegsflüchtlingen, welche die Schweiz und Europa schon seit 2015 vor grosse Herausforderungen stellt.
– Nicht eine neue Gegenwart des Krieges, wie die Golfkriege in den 1990er-Jahren, die kriegerischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriege in Afghanistan, Syrien und in vielen Ländern und Regionen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens zeigen.
Also: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist zunächst nur ein weiteres Kapitel in der nicht enden wollenden menschlichen Gewaltgeschichte.

Der Krieg in den sozialen Medien
Neu allerdings ist:
– die Unmittelbarkeit, mit der die Menschen hier von der Gewalt und dem Leid dort berührt werden. In Echtzeit sehen wir ein zerstörtes Land und blicken in die Augen von verängstigten, verzweifelten und wütenden Menschen.
– die durch den Krieg in der Ukraine hervorgerufenen eigenen Bedrohungen. Über lange Zeit war die Strategie, nicht auf gewaltbereite Konfrontation, sondern auf ökonomisch-vertragliche Kooperation zu setzen, erfolgreich; darüber gerieten die schwelenden (geo-)politischen Konflikte ebenso in Vergessenheit wie die weiterhin bestehenden nuklearen Waffenarsenale. Das ist nun nicht mehr so.
– der Richtungswechsel zurück zu militärischer Aufrüstung und Konfliktlösung. Die Lehren aus dem Kalten Krieg, die Überwindung alter Feindbilder und der Aufbau neuer Sicherheitskonzepte und Partnerschaften sind durch den russischen Einmarsch in die Ukraine fundamental in Frage gestellt.
– die Dauerpräsenz des Konfliktes. Kriege wurden schon immer propagandistisch begleitet, aber niemals zuvor wurden Medien, die sozialen zumal, so flächendeckend und strategisch eingesetzt wie heute. So werden auch Unbeteiligte zum Gegenstand von Kriegspropaganda und diese teilt die Welt in Gute und Böse, in Täter und Opfer ein.

Schalom für alle
Im ethischen Zentrum des Christentums stehen die Aufforderung Jesu aus der Bergpredigt «Liebet eure Feinde» (Mt 5, 44) sowie die Verheissung «Selig, die Frieden stiften, sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden» (Mt 5, 9). In beiden Testamenten kommt uns die Ausweitung der Nächstenliebe auf die Feindesliebe als jüdisch-christliche Eigenart gegenüber der kulturellen Umwelt entgegen. Der Gott Israels ist der Gott des Friedens. «Schalom», das hebräische Wort für «Frieden», bedeutet allerdings nicht nur die Abwesenheit von Krieg und Zwietracht, sondern eine heilvolle Ordnung, und zwar für den einzelnen Menschen, die Völkergemeinschaft und die Schöpfung.

Aber auch in der Bibel geht es alles andere als friedlich zu. Schon die erste Gewaltgeschichte, der Mord Kains an seinem Bruder Abel, weist schonungslos auf die menschliche Wirklichkeit hin. In den Schriften des Alten und Neuen Testamentes freilich geht es immer um die Überwindung der Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Denn für die Menschen der Bibel und der entstehenden Kirche steht fest: Gewalt soll nach Gottes Willen nicht sein.

Der «gerechte Krieg»
Dennoch: In einer gefallenen Welt kann es Frieden auf Erden nicht geben, er bleibt eine Verheissung. Deshalb gilt es, willkürliche Gewalt einzuhegen und durch eine rechtliche Ordnung zu kontrollieren. Der Kirchenvater Ambrosius schreibt im 4. Jahrhundert: «Wer nicht gegen das Unrecht, das seinem Nächsten droht, kämpft, soweit er kann, ist ebenso schuldig wie der, der es diesem antut.»

Daraufhin entwickelt sein Schüler Augustinus Kriterien für den «gerechten Krieg»: Er unterscheidet zunächst zwischen dem Frieden Gottes und dem menschlichen Frieden und nennt die folgenden Bedingungen für einen «rechtmässigen Krieg»:
– Die kriegsführende Obrigkeit muss legitimiert sein.
– Es bedarf eines berechtigten Kriegsgrundes (die Verteidigung gegen oder die Vergeltung für erlittenes Unrecht) und eines richtigen Zieles (die Wiederherstellung der gestörten Friedensordnung).
– Die Mittel der Kriegsführung müssen verhältnismässig sein und der zugefügte Schaden darf das erlittene Unrecht nicht übersteigen.
– Der Krieg darf nurmehr das letzte Mittel sein («ultima ratio»).
Diese Kriterien für einen «gerechten Krieg» werden von den mittelalterlichen Theologen sowie den Reformatoren übernommen und bestimmen bis heute die Diskussion. Freilich ist der Ausdruck «gerechter Krieg» missverständlich, denn: Wenn Gewalt nach jüdisch-christlichem Verständnis ein Übel ist, kann auch staatliche Gewalt nicht «richtig» oder «gerecht» sein. Allerdings kann sie unvermeidbar und notwendig sein; sie kann dann als «rechtmässig» gelten, wenn sie von einer legitimen Obrigkeit gemäss geltendem Recht angeordnet und kontrolliert wird. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine freilich ist genau das nicht, sondern stellt einen Bruch des Völkerrechtes dar. Denn: Präventivschläge sind völkerrechtswidrig, wenn sie nicht auf Anordnung des UNO-Sicherheitsrats erfolgen.

Pazifisten und Kriegstreiber
Die ökumenische Spannbreite beim Thema «Krieg und Frieden» ist gross. Einige Täufergemeinschaften, etwa die Mennoniten oder Quäker, sind einem radikalen Pazifismus verpflichtet und lehnen jegliche kriegerische Auseinandersetzungen ab. Andere, darunter etliche protestantische Gemeinden, vertreten eine leicht modifizierte Lehre vom «gerechten Krieg». Verschiedene orthodoxe Kirchen lehnen den Krieg als Mittel staatlicher Politik zwar ab, halten ihn allerdings dann für legitim, wenn er zum Schutz und zur Verteidigung der eigenen Nation dient. Dies dürfte die aktuelle Haltung der russisch-orthodoxen Kirche sein; in ihrer Sozialdoktrin des Jahres 2000 lehnt sie den Krieg als ein «Böses» und «sündhaften Missbrauch der gottgegebenen Freiheit» zwar ab, verbietet aber «ihren Kindern nicht, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen, solange ihr Zweck die Verteidigung des Nächsten sowie die Wiederherstellung verletzter Gerechtigkeit ist». Hinter dieser Position steht die Vorstellung von einer engen und harmonischen Beziehung zwischen der von Gott eingesetzten Obrigkeit und der Kirche.

Krieg ist Sünde
Der Einsatz für den Frieden wird zur zentralen Aufgabe der kirchlichen Ökumene im 20. Jahrhundert. Im Jahr 1914, unter dem Eindruck eines drohenden Krieges, wird der «Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen» gegründet; er formuliert Forderungen, die bis heute gültig sind: die weltweite Abrüstung und die Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichtshofes.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellen Christen aller Konfessionen die herkömmliche Kriegsethik, insbesondere die Lehre vom «gerechten Krieg», in Frage. Die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) – sie findet 1948 in Amsterdam unter dem Motto «Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan» statt – erklärt: «Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Die Rolle, die der Krieg im heutigen internationalen Leben spielt, ist Sünde wider Gott und eine Entwürdigung des Menschen.»

Heute betreibt der ÖRK eine umfangreiche und globale Friedensarbeit. Zu den Überzeugungen und Forderungen der Kirchengemeinschaft gehört u.a., dass Frieden im Sinne einer «ultima ratio» durch gewaltsame Abschreckung, Abwehr und Ahnung von rechtswidriger Gewalt gewonnen, verteidigt oder gefördert werden kann; allerdings ist in jedem Fall und immer auf den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verzichten.

Und wir?
Was können wir als einzelne Christenmenschen tun? Die Kirchgemeinden setzen sich dafür ein, dass die Schatten des Krieges – Anfeindungen, Bedrohungen, diskriminierende Parteilichkeit, Freund-Feind-Bilder – hierzulande nicht überhandnehmen. Deshalb bitten sie im Gebet um Frieden für alle Menschen und leisten Fürbitte für die Menschen in der Ukraine und in Russland. Sie wehren sich, wenn Russen, die in der Schweiz oder in der EU leben, ausgegrenzt, beschimpft oder verunglimpft werden, und organisieren Begegnungen von Menschen, deren Regierungen sich kriegerisch gegenüberstehen.

Zu den drängenden Aufgaben der Kirchgemeinden gehört ebenso, die christliche Friedensbotschaft zu verkünden und Menschen zu begleiten, die jegliche Hoffnung auf Frieden und Versöhnung verloren haben. Und: Um den Horizont zu weiten und Vorurteilen zu begegnen, blicken auch die lokalen Kirchgemeinden stets über den eigenen Zaun, pflegen Kontakte mit anderen Religionsgemeinschaften und unterhalten Patenschaften.

BRUNO BADER

(MIT MATERIAL DER EVANGELISCH-REFORMIERTEN KIRCHE SCHWEIZ)


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote