SolSarine 2.0: Sie haben gefragt, die Verantwortlichen antworten
21.05.2024 PolitikAm 7. Juni stimmt die Saaner Gemeindeversammlung über die Zustimmung als Standortgemeinde und die Beteiligung am Aktienkapital der alpinen Solargrossanlage SolSarine 2.0 ab. Im Vorfeld wollten wir von den Leserinnen und Lesern wissen, welche Fragen sie brennend interessieren. Die ...
Am 7. Juni stimmt die Saaner Gemeindeversammlung über die Zustimmung als Standortgemeinde und die Beteiligung am Aktienkapital der alpinen Solargrossanlage SolSarine 2.0 ab. Im Vorfeld wollten wir von den Leserinnen und Lesern wissen, welche Fragen sie brennend interessieren. Die Verantwortlichen des Projekts haben sie nun beantwortet.
Eine Leserin hat gefragt: Was spricht eigentlich dagegen, im Saanenland zeitnah Solarpanels an bereits bestehende Bauten, Gebäude und Vorrichtungen zu montieren, z.B. Gebäudedächer, Scheunen- und andere Fassaden, Geländer an Strassen und Brücken, Stützmauern etc. anstatt in die zum grossen Teil unberührte Natur einzugreifen?
Die Verantwortlichen von SolSarine 2.0:
Es ist ein klares «sowohl aus auch». Solaranlagen auf Häusern und Infrastrukturen sind wichtig. Aber auch wenn das ganze Potenzial ausgeschöpft würde, kann mit Dächern der nötige Solarstrom nicht abgedeckt werden. Für Saanen wurde dies theoretisch berechnet: Wenn alle Gebäude mit Solarmodulen eingedeckt würden, wäre die Fläche etwa doppelt so gross wie die von SolSarine 2.0. In der praktischen Umsetzung zeigt sich aber, dass sich nicht alle Gebäude und vorhandenen Infrastrukturen für Solarprojekte eignen, z.B. wegen ungünstigem Winkel, wegen zu wenig Sonnenexponiertheit, wegen Schnee etc. Zudem wurden in Saanen zwei Gesuche zu Photovoltaikanlagen (Stirnseite einer Einstellhalle und Balkongeländer) auf bestehender Infrastruktur nicht genehmigt. Um den im Energierichtplan festgelegten Wert von 80 Prozent Photovoltaikstrom bis 2035 zu erreichen, ist eine steilstehende Photovoltaikanlage über der Nebelgrenze notwendig. Die Anlagen würden, auf 30 Jahre befristet, 0,4 Prozent der Gemeindefläche beanspruchen.
Hans Wanner aus Baden/Saanenmöser schreibt, dass die Gemeindeversammlung im Dezember 2023 das erste SolSarine-Projekt abgelehnt hat. «Im Vordergrund der Kritik stand die Beeinträchtigung des Landschaftsschutzes. Die landschaftliche Qualität ist im Saanenland der höchste touristische Wert. Es gab auch finanzielle Fragezeichen. Ist es ein Investorenprojekt? Geht es nur um Bundessubventionen? Wie pro- fitiert die einheimische Bevölkerung bei den Strompreisen?», so Wanner. Nur drei Monate nach diesem politischen Entscheid folgte die Unterschriftensammlung für die Wiederaufnahme des Projekts – «geringfügig reduziert und mit einer leicht veränderten Trägerschaft», am 7. Juni kommt die Vorlage nochmals vor die Gemeindeversammlung. «Dies ist für ein demokratisches Verständnis mehr als problematisch», ist Wanner der Meinung. Man verpasse die Chance, ein ausgewogenes Projekt zu erarbeiten. Was sagen die Projektanten und die Trägerschaft dazu?
Unsere Demokratie lebt von der Debatte, von Kompromissen und unseren demokratischen Werkzeugen. Das neue SolSarine-Projekt ist genau ein solcher Kompromiss, bei dem aus dem ersten gelernt wurde. Das neue Projekt ist um ca. 20 Prozent verkleinert und zeitlich klar befristet. Vor allem wird aber bei dem neuen Projekt die Gemeinde massgeblich mitmachen. Sie wird sich beteiligen und sie wird mitreden. Der Nutzen für die Gemeinde ist damit entscheidend optimiert. Die Bergbahnen und andere grosse Stromverbraucher können zu Vorzugskonditionen Solarstrom aus der Region beziehen. Von diesem Gesamtpaket ist eine namhafte Trägerschaft aus der Gemeinde überzeugt und hat darum per Gemeindeinitiative, die über 500 Unterschriften generiert hat, das Projekt nun noch einmal aufgelegt. Ohne Investitionen – zum Glück sind nach wie vor Private dabei – und Subventionen geht es nicht. Nicht nur im Saanenland, sondern in der ganzen Schweiz.
Eine Leserin fragt: Wird vor der Gemeindeversammlung vom 7. Juni 2024 im«Anzeiger von Saanen» eine Karte abgedruckt, auf welcher alle in der Natur geplanten Solaranlagen im Gemeindegebiet von Saanen sowie alle erforderlichen Leitungen für den Stromtransport ins Tal respektive ins Stromnetz ersichtlich sind?
Sämtliche Planungsdokumente sind auf der Website www.solsarine.ch publiziert.
«Werden die Kühe unter die Solaranlage gehen und das Gras fressen?», fragt Gertrud Raaflaub aus Saanen.
Die Solarmodule werden so gebaut, dass die Fläche weiterhin für die Landwirtschaft und die Sömmerungsbetriebe genutzt werden können. Die Module befinden sich auf einer Höhe von 3 bis 3,5 Metern ab Boden, die Tiere können sich also zwischen und unter den Solartischen frei bewegen. Ob die Kühe dann effektiv unter die Solaranlagen gehen, können wir nicht voraussagen. Jedoch gibt es schon Solarprojekte, bei denen eine parallele Viehhaltung sich sogar als profitabel erweist. Beispielsweise beim Sonnenkraftwerk Mont-Soleil im Jura, die seit 1992 besteht und sich bewährt: Dort wird eine Herde Schafe gehalten, welche das Gras kurz hält und somit eine teure Landschaftspflege der Anlage ersetzt.
Auch Michael Zwygart aus Saanen hat sich mit einer Frage gemeldet. Er möchte wissen, wer welche wirtschaftlichen Interessen verfolgt. «Wenn schon Saaner Boden hergegeben werden sollte, warum investiert nicht die Gemeinde Saanen möglichst viel und macht selber ein Business damit?»
Mit dem Kompromissprojekt SolSarine 2.0 beteiligt sich die Gemeinde mit 30 Prozent zu maximal drei Millionen Franken am Aktienkapital der Betreibergesellschaft (SolSarine AG). Somit investiert die Gemeinde in dieses Projekt. Zusätzlich kann sich jeder Bürger/jede Bürgerin und jedes Gewerbe am Projekt beteiligen. Es gibt schweizweit kein einziges Projekt, bei dem die öffentliche Hand der Hauptinvestor ist. Das ist schon nur aus beschaffungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Indes sind die meistakzeptierten Projekte diejenigen, in welchen die Gemeinden mit Privaten mit lokalem Bezug zusammenarbeiten, so wie es nun auch der Plan ist im Saanenland.
Werner Plüss aus Gstaad hat eine Frage in Bezug auf die alternative Stromquelle bei erneuerbaren Energieproduktionen: «In Anbetracht der Tatsache, dass eine moderne Gesellschaft wie die Schweiz Strom rund um die Uhr braucht, warum wird bei der Präsentation von intermittierend produzierenden Sonnen- und Wind-Projekten meistens verschwiegen, dass, um Strom unterbrechungsfrei und sofort zur Verfügung zu haben, eine permanente alternative Stromquelle von ebensolcher Leistung vorhanden sein muss?» Er möchte deshalb wissen, inwiefern diese beim SolSarine-Projekt eingeplant ist und welche finanziellen Konsequenzen dies habe.
Das Hauptziel der alpinen Photovoltaikanlagen ist die Schliessung der Winterstromlücke in der Schweiz. Zu diesem Zweck wurde der sogenannte Solarexpress vom Schweizer Parlament beschlossen. Da die Solaranlagen in den Alpen oberhalb der Nebelgrenze liegen und einen optimierten Winkel haben, können die Anlagen einen wesentlichen Beitrag zur Schliessung der Lücke beitragen. Richtig ist auch, dass die Anlagen Teil des gesamten Stromsystems der Schweiz sind, wo weitere Technologien und insbesondere die Wasserkraft mit ihrer Flexibilität die unterbruchfreie Lieferung von Strom ermöglichen. In der Zukunft soll das Stromsystem dezentraler und intelligenter werden und die Integration von grossen Mengen erneuerbaren Stroms ermöglichen.
André-Claude Godet aus Thun/Grischbach interessiert die Positionierung der Solarpanels. So schreibt er: «Wäre es eventuell prüfenswert, die Solarpanels so aufzustellen, dass die Solaranlage von Weitem wie eine Chaletsiedlung aussieht, dies aus der Haupteinblicksrichtung?» Er sähe darin eine grössere Akzeptanz, weil das Ganze nicht mehr flächig wirke. «Zudem entstünde mehr Platz zwischen den Chaleteinheiten, was für die Alpwirtschaft günstig sein könnte.» Er sehe aber auch die Nachteile, denn die Stromproduktion wäre geringer wegen der Abstände und die Baukosten könnten höher ausfallen.
Die anstehende Energiewende ist sichtbar – wie das auch bei Wasserkraftwerken der Fall ist. Die Projektträger von SolSarine sind überzeugt, dass die Anlage in erster Linie einen hohen Ertrag bringen muss. Alle Optionen, die sich auch an optischen Zielen orientieren, führen zu Leistungseinbussen. Von den Bewilligungsbehörden wird zudem gefordert, dass eine flächige Anlage gebaut wird, um eine Verzettelung der Anlage zu verhindern.
Ein weiterer Leser hat sich bei uns gemeldet. Er sehe die Problematik, dass wir vom Ausland abhängig seien, beispielsweise bei Gas, Eisen und vielen weiteren Materialien. Alternative Energieproduktion unterstütze er deshalb, weil damit die Autonomie unserer Region steigen würde. «Wir haben aber grosse Brücken, Stützmauern und weitere Infrastrukturen, die wir mit Solarpanels bestücken könnten», ist seine Meinung. Zudem seien diese Infrastrukturen innerhalb der Siedlungen, wo bereits Stromnetze eingebaut seien. Er sehe keinen Sinn darin, grosse Solarparks in unsere Bergwelt zu installieren und die ganzen Leitungen einzubauen, die vom Berg bis ins Tal neu gelegt werden müssten. Er fragt deshalb, wie gross der landschaftliche Schaden beim Einbau der Stromleitungen werde und wie viel dieser Einbau koste.
Wo bestehende Infrastruktur genutzt werden kann, um Photovoltaik zusätzlich zu montieren, soll das gemacht werden, wie z.B. bei der Axpo-Muttsee-Staumauer. Das wird aber nicht reichen und ist oft auch nur bedingt profitabel. Anlagen auf bestehender Infrastruktur werden auch nicht überall bewilligt. So sind beispielsweise Solaranlagen auf bestehenden Lawinenverbauungen nicht erlaubt. Die Anlagen im Saanenland sind in bestehende Infrastrukturen eingeplant, bestehende Leitungen werden genutzt und wo nötig verstärkt.»
BE- UND VERARBEITET VON JOCELYNE PAGE
Eine Chance für eine ausgewogene Debatte
JOCELYNE PAGE, CHEFREDAKTORIN
Die geplanten Solargrossanlagen in den Alpen heizen die Debatte an – und das ist gut so. Denn nur durch kontroverse Diskussionen können wir als Gesellschaft fundierte Entscheidungen treffen, die sowohl ökologische als auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. In der Vergangenheit verlief die Diskussion über diese Anlagen alles andere als ideal. Bei der ersten Abstimmung kamen die Kritiker erst in letzter Minute auf den Plan. Die Debatte war anschliessend unausgewogen und emotional. Anstatt sachlich zu diskutieren, zeigte man gegenseitig mit dem Finger aufeinander und tauschte Schuldzuweisungen aus. Dieses Verhalten war weder politisch noch demokratisch zielführend. Doch nun, bei diesem zweiten Anlauf, scheint sich das Blatt zu wenden. Die Diskussion wurde frühzeitig gestartet. Die Bürger:innen äussern ihre Meinungen, tauschen sich aus, fragen nach. Kritiker und Befürworter melden sich zu Wort, beispielsweise durch Leserbriefe in unserer Zeitung. Diese breite Beteiligung an der öffentlichen Diskussion ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Besonders erfreulich ist, dass sich so viele Leser:innen auf unseren Aufruf gemeldet haben, um ihre Fragen an die Verantwortlichen des Projekts zu stellen. Diese direkte Kommunikation zwischen Bürger:innen und Projektverantwortlichen ist essenziell, um Missverständnisse auszuräumen und transparent über die Vor- und Nachteile der Solargrossanlage zu diskutieren.
Ob die Gemeindevorlage angenommen wird oder nicht, wird sich zeigen. Wichtig ist, dass die Diskussion stattfindet und damit der Volkswille abgebildet wird – sei es für oder gegen Sol-Sarine 2.0. Mit dieser Einstellung – einem offenen und respektvollen Austausch – können wir gemeinsam Entscheidungen treffen, die für oder gegen ein Projekt ausfallen mögen, aber stets auf einem soliden Fundament basieren. Es ist diese Art von Dialog, die unsere Demokratie stärkt und sicherstellt, dass die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden. Die Diskussion um die alpine Solargrossanlage zeigt, dass wir als Gesellschaft in der Lage sind, aus der Vergangenheit zu lernen und bessere Wege zu finden, um miteinander zu kommunizieren. Lassen wir uns diese Chance nicht entgehen und nutzen wir die Debatte, um zu einer gut informierten und gemeinschaftlich getragenen Entscheidung zu gelangen. jocelyne.page@anzeigervonsaanen.ch