Auf Feldvisite mit SolSarine
20.07.2023 WirtschaftDas Solarprojekt SolSarine wird konkreter: Die Planung für zwei Standorte ist weit fortgeschritten, die Baugesuche sollen kommenden Herbst eingereicht werden. Am Dienstag fand auf dem Hornberg eine Feldvisite statt. Ein Blick in einen Teil der Solar-Visionen.
...Das Solarprojekt SolSarine wird konkreter: Die Planung für zwei Standorte ist weit fortgeschritten, die Baugesuche sollen kommenden Herbst eingereicht werden. Am Dienstag fand auf dem Hornberg eine Feldvisite statt. Ein Blick in einen Teil der Solar-Visionen.
JOCELYNE PAGE
Solarstrom vom Berg direkt in die Haushalte, das Gewerbe und den Tourismus: Dies ist die Vision von SolSarine. Ab 2025 wollen die Projektverantwortlichen Solarstrom produzieren: Die ersten Fotovoltaik-Grossanlagen sollen voraussichtlich auf der Alp Schneit und dem Hornberg installiert werden. Die Zeit drängt, denn die Initianten müssen bis 2025 zehn Prozent und bis 2030 das komplette Projekt realisiert haben, um von den Fördergeldern zu profitieren, die der Bund durch ein dringliches Bundesgesetz bereitgestellt hat (wir haben berichtet). Der Zeitplan ist durchgetaktet, weshalb am Dienstag eine Feldvisite mit Interessengruppen auf dem Hornberg stattgefunden hat. Umweltschutzorganisationen waren trotz Einladung nicht vor Ort (siehe Kasten).
Ein Blick in die Projektpläne zeigt: Beim Hornberg soll nicht eine grosse Fläche mit Solarmodulen bestückt werden. Vielmehr entsteht ein Netz aus mehreren kleineren Standorten (Sites genannt), die vereint eine Fotovoltaik-Grossanlage ergeben. So sind beispielsweise neben und unterhalb der Gastronomien auf dem Hornberg Richtung Gstaad kleinere Sites geplant; weitere Sites sollen entlang der Alpstrasse Richtung Parwengen zum Stehen kommen. Am Ende werden es sieben «Felder» sein, die zu einem Netz zusammengeschlossen werden. An den Standorten Hornberg und Schneit sollen auf circa 50 Hektaren FV-Anlagen mit einer Leistung von rund 50 Megawatt Peak (MWp) entstehen, die jährlich 70 Gigawattstunden Strom produzieren, wie Mitinitiant Matthias In-Albon angibt. Das Wannehörli – welches laut einer Medienmitteilung des Kantons Bern auch als möglicher Standort angeschaut wird (wir haben berichtet) – sei nicht Teil ihres Projekts, betonte Matthias In-Albon. «Wir haben Standorte in Betracht gezogen, die eine geringe Einsichtbarkeit haben.»
Vorhandene Infrastruktur nutzen
«Bei unseren Sites haben wir darauf geachtet, dass eine gewisse Infrastruktur vorhanden ist wie beispielsweise Strassen oder Stromnetzwerk», erklärte In-Albon den Anwesenden. Er zeigte auf die Alpstrasse bei den Feldern vom Hornberg: Die Leitungen der Solarmodule sollen darin rund 80 Zentimeter tief verlegt werden bis zur nächsten Transformatorenstation – kurz Trafostation –, die beim heutigen Speichersee positioniert ist. Die Netzhoheit hat die BKW, mit der die SolSarine-Verantwortlichen in Austausch stehen, um ihren Solarstrom über das bestehende Stromnetz einzuspeisen. Die Alpstrassen hätten auch den Vorteil, dass mit Lastwagen das Material an die Standorte transportiert werden könne, so In-Albon. «Wir sind darauf bedacht, eine nachhaltige Bauweise anzuwenden. Dieser Fakt kommt uns entgegen.» Trotzdem werde man auf gewisse Helikopterflüge zurückgreifen müssen. «Es wäre illusorisch zu denken, dass es ohne geht.»
Umweltverträglichkeitsprüfung im Gange
Für die verlangte Umweltverträglichkeitsprüfung beauftragte SolSarine die Unternehmen Gruner, Geotest und Geoformer, die im Feld eine Bestandesaufnahme tätigten. «Beim Hornberg gibt es Trockenwiesen, die aufgrund von nationaler Bedeutung als schützenswert eingestuft sind, da sie eine grosse Artenvielfalt vorweisen», erklärte Judith Rütsche, UVP-Gesamtkoordinationsleiterin von Gruner. «Bei der Planung wurde darauf geachtet, solche Zonen nicht zu projektieren.» Weiter wurden alle Flächen aufgenommen und kartiert. Dabei seien beispielsweise schützenswerte Orchideen und Alpenrosen wie auch Tagfalter und Heuschrecken erfasst worden. Sollten gewisse Standorte, wo teils schützenswerte Pflanzen vorhanden sind, aufgrund weiterer Vorteile wie Positionierung, Steilheit und Erreichbarkeit zur Diskussion stehen, müssten Ersatzmassnahmen getroffen werden. Am Ende entscheide der Kanton beziehungsweise der Bund zwischen schützenswert und dem erzielten Nutzen. «Es ist immer eine Interessenabwägung.»
Neuland für die Schweiz
SolSarine arbeitet mit Green Energy Venture, welche die technische Projektleitung innehat. Es sei ihr erstes Projekt in der Schweiz, nachdem sie insbesondere im Ausland bereits eine Vielzahl an FV-Grossanlagen geplant hätten, erklärte Matthew Rezek, Head of Energy Advisory. «Es ist für uns ein Novum. Da nun das dringliche Bundesgesetz existiert, ist die Planung von grossen Solaranlagen in der Schweiz realistisch.» Das Besondere am Standort Hornberg sei die «Zerstückelung» der einzelnen Solarmodule. «Dies war nicht so geplant, sondern ist im natürlichen Prozess entstanden, sei es durch Gespräche mit den Landeigentümern, vorhandenen schützenswerten Zonen oder gewissen Hanglagen», erklärte Rezek. So gebe es gewisse Felder, die prädestiniert wären für die Solarstromproduktion, aber andere Interessen höher gewichtet würden. Nach dem Ausschlussverfahren hätten sich die heutigen Sites herauskristallisiert. «Wir sind am Anfang, denn für alle ist es Neuland, auch für den Gesetzgeber. Es wird bestimmt noch Anpassungen geben, aber wir sind definitiv auf dem richtigen Weg», schätzte der Experte das Projekt ein.
Ab August: Prototyp auf dem Hornberg
SolSarine will Ende August einen ersten Prototypen auf dem Hornberg installieren, damit sich Besuchende und Einheimische ein Bild von den Fotovoltaik-Grossanlagen machen können. Es werden zwei Module installiert, die aber auch Messdaten liefern sollen. «Wir wollen durch die Erhebungen unser Projekt und Vorhaben mit Daten untermauern», erklärte In-Albon. Im Herbst 2023 geben die Projektverantwortlichen das Baugesuch beim Kanton ein und hoffen, Ende Jahr die Baubewilligung auf dem Tisch zu haben, damit sie im Sommer 2024 mit dem Bau von SolSarine beginnen und 2025 den ersten Strom ins Netz einspeisen können.
WO WAREN DIE UMWELTORGANISATIONEN?
Bei der Feldvisite auf dem Hornberg waren keine Umweltschutzorganisationen anwesend. Auf Anfrage sagen alle einstimmig: der Mangel an personellen Ressourcen bei über 30 Solarprojekten im Kanton Bern und noch mehr in der Schweiz, die alle zu Begehungen einladen. Er selbst habe am gleichen Tag an einer anderen Feldvisite eines weiteren alpinen Solarprojektes teilgenommen, sagt Etienne Guhl, Projektleiter bei Pro Natura Bern, auf Anfrage. Zum Projekt SolSarine könne er zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen machen, da die Unterlagen für eine fundierte Beurteilung fehlen würden. Grundsätzlich stehe Pro Natura alpinen Solaranlagen in naturnahen Landschaften kritisch gegenüber – so auch die Schweizer Bevölkerung, sagt Guhl und bezieht sich auf eine Befragung vom Herbst 2022 durch Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, bei der ein Grossteil angab, dass für sie Solaranlagen in den unberührten Alpen und Voralpen tabu sind. «Als erste Priorität soll die graue Infrastruktur genutzt werden für die Energieproduktion mit Fotovoltaik. Allein die Schweizer Hausdächer weisen laut Bundesamt für Energie ein Solarstrompotenzial von 50 Terawattstunden (TWh) auf. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Beznau-1 leistet lediglich drei Terawattstunden.» Dazu würden Strassen, Parkplätze und weitere versiegelte Flächen hinzukommen, welche für die Stromproduktion genutzt werden könnten. «Trotzdem zeigen wir uns gesprächsbereit gegenüber den Projektanten, damit bei einer allfälligen Umsetzung die einmalige Schweizer Alpenlandschaft bestmöglich erhalten bleibt», sagt Guhl.
Auch Maren Kern von Mountain Wilderness Schweiz gibt telefonisch an, dass ihre Organisation Solaranlagen primär auf bestehender Infrastruktur befürworte und die Wildnis und die naturnahen Landschaften geschützt werden müssten. Projekte wie «Grengiols-Solar» im Oberwallis beispielsweise lehnt Mountain Wilderness klar ab. «Wenn allerdings Solaranlagen bei bereits touristisch genutzten Flächen zu stehen kommen, ist oftmals eine gewisse Infrastruktur vorhanden. Dies wäre eine realistischere Strategie, die näher angeschaut werden kann», sagt Kern. Konkret zu Sol-Sarine wollte aber auch sie nicht Stellung nehmen aus den gleichen Gründen wie Guhl: Es müssen zuerst die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Baugesuche vorliegen, um das Projekt zu beurteilen. Auch die Schweizer Bevölkerung hat bei den Standorten eine dezidierte Meinung, wie ebenfalls aus der gleichen Befragung von WSL hervorging: Für Standorte in Bergregionen, die schon über touristische Infrastruktur verfügen, ist die Akzeptanz für Fotovoltaik-Anlagen hingegen massiv gestiegen seit 2018, als die Erhebung erstmals stattfand.
«Seit dem das dringliche Bundesgesetz in Kraft getreten ist, herrscht eine gewisse Goldgräberstimmung. Es sind enorm viele Projekte im Umlauf», sagt Raimund Rodewald, Geschäftsleiter von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Er begrüsse die Vorgehensweise des Kantons Bern sehr, indem er alle Interessengruppen und Projektinitianten an einen Tisch hole, um mit allen Beteiligten zu diskutieren. Am Ende werde das Projekt die Nase vorne haben, welches sich am meisten an den vorhandenen Infrastrukturen orientiere, die kürzeste Erschliessung benötige und wo das Stromnetz gegeben sei, so Rodewald. «Wir haben einen Katalog von Anforderungen für Freiflächen-Fotovoltaikanlagen im Alpenraum mit Fokusthema Landschaftsschutz auf unserer Website aufgeschaltet, an dem sich die Projektierenden orientieren können.» Am Ende ist Raimund aber trotzdem der gleichen Meinung wie seine Fachkolleginnen und -kollegen: Solaranlagen auf Dächern machen Sinn. «Ein Tourismusgebiet wie Gstaad muss sich überlegen, was es tun kann, damit die Hauseigentümer:innen ihre Dächer mit Solaranlagen ausstatten.» Neuigkeiten von Swissolar, dass im Jahr 2022 ein Fotovoltaik-Zubau um 58 Prozent stattgefunden hat und damit der neue Rekordwert auf 1083 Megawatt angestiegen ist, freut Rodewald sehr. «Bei Solar-Grossanlagen geht es um einen Eingriff als solches. Es ist nicht nachhaltig, den Alpenraum zu verbauen. Wir sollten vielmehr schonender und sorgfältiger damit umgehen.»
JOP
Worum geht es bei SolSarine?
Das Projekt SolSarine sieht mehrere Fotovoltaik-Grossanlagen in der Alpwirtschaft vor, die in bestehenden Infrastrukturen bzw. an Sömmerungsstandorten fix installiert werden und einheimischen Solarstrom produzieren (wir haben berichtet). SolSarine ist als AG konzipiert und eingebettet im Verein Impact Gstaad. Die Gemeinde Saanen unterstützt das Projekt finanziell, indem sie sich an den Projektplanungskosten beteiligt. Laut Projektinitianten reichen zwei Quadratkilometer beziehungsweise 0,6 Prozent der vier Gemeindeflächen Gsteig, Lauenen, Saanen und Zweisimmen aus, um 100 Prozent des gesamten Energiebedarfs der Grundversorgung und des Gewerbes inklusive Bergbahnen zu decken. Für 100 Hektare haben die Projektverantwortlichen bereits Zusagen von Landbesitzern und Gemeinden, so auch auf der Alp Schneit, dem Hornberg und weiteren Standorten.
Wird die Alpwirtschaft, das Landschaftsbild und Biodiversität beeinträchtigt??
«Es ist eine Umstellung, aber die Landeigentümer profitieren auch», argumentieren die Projektverantwortlichen Matthias In-Albon und Lorenz Furrer. Der Betrieb auf der Alpwirtschaft werde wenig beeinträchtigt, weil sich die Unterkante der Solarmodule auf rund 2,7 Meter über dem Boden befände: Kühe könnten ungehindert zwischen und unter der Anlage grasen und elektrische Kabel und Apparaturen seien ausser Reichweite von Tieren und Maschinen. Es sei unbestritten, dass solche Anlagen das Landschaftsbild beeinflussen und sich auch auf die Biodiversität auswirken könnten. Auf beides will SolSarine Rücksicht nehmen. «Die ausgewählten Flächen sind aus dem Siedlungsgebiet kaum einsehbar. In Bezug auf die Biodiversität besteht die Möglichkeit, dass diese im Vergleich zur derzeitigen Alpbewirtschaftung sogar vielfältiger wird», so Lorenz Furrer. Erste wissenschaftliche Langzeituntersuchungen an den geplanten Anlagen würden Aufschluss darüber geben. «Darüber hinaus ist nicht jeder menschliche Eingriff zwangsläufig negativ für die Natur, wie das Beispiel der einst als hässlich angesehenen Panzersperren zeigt, die sich zu wichtigen Biodiversitäts-Oasen entwickelt haben», argumentiert Furrer.
Können diese FV-Anlagen auch über Winter Strom liefern?
Diese Anlagen seien speziell für den alpinen Winterstrom konzipiert, erklärt Matthias In-Albon. «Oft geht man davon aus, dass Solarstrom keinen wesentlichen Beitrag zur Verkleinerung der Winterlücke leisten kann.» Nebel und Bewölkung beschränken sich im Winter häufig auf das Mittelland, während in den Bergen die Sonne scheint. Das Gebirge sei deshalb klar im Vorteil: Die Module dieser Anlagen seien so geplant, dass sie selbst bei maximaler Schneehöhe – die bis zu drei Meter betragen kann – Strom liefern könnten. Um die tief stehende Wintersonne optimal zu nutzen, sollen die Solarmodule steil geneigt werden. «Dadurch wird der Boden während der kalten Jahreszeit stark beschattet, was dazu führt, dass die Schneedecke etwas später abschmilzt.» Die Schneedecke reflektiere die Sonnenenergie vom Boden und liefere so einen zusätzlichen Beitrag zur Stromproduktion. Typische Umgebungstemperaturen wie die Kälte und Windgeschwindigkeiten in Höhenlagen hätten somit im Vergleich zum Flachland einen positiven Effekt auf die Stromproduktion.
Wie viel kostet das Projekt und wie wird es finanziert?
Die Initianten rechnen mit einem Kostenmantel für die ersten zwei Standorte von 100 bis 150 Millionen, von denen bis zu 60 Prozent durch den Bund mit einem einmaligen A-fondsperdu-Beitrag finanziert wird. Dies ist möglich, weil die Bundesversammlung vergangenen Herbst ein dringliches Bundesgesetz unter Dach und Fach gebracht hat («Solarexpress»), um eine Stromversorgung mit erneuerbarer und heimischer Energie zu gewährleisten. Das Parlament hat damit Fördergelder von rund 3,4 Milliarden Franken bereitgestellt: Mit den beschlossenen Änderungen des Energiegesetzes erleichterte das Parlament die Bewilligung von Fotovoltaik-Grossanlagen und legte für diese eine Förderung mit einer Einmalvergütung von bis zu 60 Prozent der Investitionskosten fest. Die restlichen 40 Prozent sollen privat bzw. aus dem Umfeld von Impact Gstaad finanziert werden. Es sollen auch Einheimische die Möglichkeit erhalten, in das Projekt investieren zu können», erklärt Lorenz Furrer.
Kann überschüssig produzierter Strom gespeichert werden?
Matthias In-Albon sieht es realistisch: «Der Strom aus erneuerbaren Energiequellen fliesst nur, wenn die Sonne scheint oder der Wind bläst.» Deshalb müsse er gespeichert werden können, etwa für die Nacht oder als Winterstromreserve. Bereits heute gebe es zahlreiche innovative Möglichkeiten, Energie effizient zu speichern und weitere würden stetig hinzukommen. «Die bekanntesten langfristigen Stromspeicher der Schweiz sind die Stauseen. Eine weitere Option ist Power-2-Gas, bei welcher Energie aus grossen Solaranlagen zu Wasserstoff transformiert und so gespeichert wird.»
Werden die Strompreise für die Verbraucher steigen?
Um den Strom zu verkaufen, muss er den Marktpreisen entsprechen. «Der Solarstrom ist leicht teurer als Standardgraustrom pro Kilowattstunde. Dies ist heute auch bereits der Fall», so Furrer.