Sommer 2023: weniger Schweizer, klimatischer Vorteil
26.09.2023 InterviewEs wird offensichtlich Herbst und somit Zeit für eine Sommerbilanz. Wir haben im Tourismusbereich nachgefragt, wie die Sommersaison gelaufen ist. Sandro Karlen, Leiter Finanzen & Administration bei den Bergbahnen Destination Gstaad (BDG), Michael Ming, Vertreter des ...
Es wird offensichtlich Herbst und somit Zeit für eine Sommerbilanz. Wir haben im Tourismusbereich nachgefragt, wie die Sommersaison gelaufen ist. Sandro Karlen, Leiter Finanzen & Administration bei den Bergbahnen Destination Gstaad (BDG), Michael Ming, Vertreter des Hoteliervereins Gstaad Saanenland, Flurin Riedi, Tourismusdirektor, und Anne-Florence Weissert, Verantwortliche für Aktivitäten und Events beim Alpinzentrum geben Auskunft.
JENNY STERCHI
Rückblickend auf die vergangenen Sommermonate, wie viele Gäste konnten Sie willkommen heissen? Wie sieht die Bilanz im Vergleich mit den Vorjahren aus?
Sandro Karlen: Bis Ende August besuchten rund 54‘000 Gäste unsere Berge. Leider sind wir damit rund 15 Prozent hinter dem Vorjahr und ungefähr sieben Prozent hinter dem Sommer 2021. Demgegenüber entwickeln sich die Septemberzahlen im Vorjahresvergleich positiv, daher sind wir zuversichtlich, dass wir bis zur Schlussabrechnung Ende Oktober noch aufholen.
Michael Ming: Es gibt Anzeichen, dass vermehrt die internationalen Gäste angereist sind und die Schweizer Gäste wieder etwas verreist sind, also sich ins Ausland begeben haben. Grundsätzlich bewegen sich die Zahlen im Rahmen vom Vorjahr. Es ist zu sagen, dass im Drei- bis Vier-Sterne-Angebot viel unternommen werden muss, dass die Gäste kommen. Aufgrund der guten weltwirtschaftlichen Lage haben die Fünf-Sterne-Häuser eine gute Saison gehabt.
Flurin Riedi: Ganz generell betrachtet dürfen wir für die gesamte Ferienregion Gstaad in den Monaten Mai bis August eine gute bis sehr gute Gesamtbilanz ziehen. Bei der Hotellerie, Parahotellerie inkl. Campingbetriebe und den Gruppenhäusern konnte an das Vor-Corona-Niveau angeknüpft werden. Ein Vergleich mit der Kennzahl Logiernächte ist schwierig, da infolge Hotelschliessungen auch weniger Betten im aktuellen Sommer zur Verfügung standen. Fakt ist jedoch, dass die Auslastung gut bis sehr gut war und die generierten Umsätze, welche wir dank dem Tourismusbarometer erheben können, positiv stimmen.
Ebenfalls positive Zahlen durften wir bei den Top Events und Leistungsträgern wie den Freibädern und den Gastrobetrieben verzeichnen. Sehr positiv verläuft auch die Entwicklung respektive die Nachfrage der Gstaad Card mit dem ÖV-Inklusive-Angebot für Übernachtungsgäste. Die neu geschaffenen Produkte wie das Saani’s Familienprogramm für Einheimische & Gäste wie auch z.B. die neue, bereits in der ersten Saison sehr erfolgreiche Postautolinie Saanen-Mittelberg-Abländschen-Jaun fördern natürlich diese Entwicklung.
Gab es besondere Herausforderungen in diesem Sommer für Sie und ihre Branche?
Anne-Florence Weissert: Die Kurzfristigkeit der Buchungen, die sich nach der Covid-19-Pandemie eingestellt hatte, scheint bestehen zu bleiben.
Sandro Karlen: Der Sommer 2022 präsentierte sich durchwegs sonnig und die internationale Reisetätigkeit war aufgrund der noch vorhandenen Unsicherheiten eingeschränkt. Im Sommer 2023 spürten wir hingegen, dass der Flugverkehr seine Renaissance erlebte und der Schweizer Gast seine Ferien wieder vermehrt im Ausland verbrachte. Zudem zeigte sich das Wetter nicht ganz so beständig wie im Sommer 2022.
Michael Ming: Der Sommer ist sicherlich kein Selbstläufer, hält allerdings aufgrund der besonderen klimatischen Veränderungen für uns grosse Chancen bereit. Der Druck gegenüber anderen Destinationen ist durchaus gestiegen aufgrund der höheren Energie- sowie Einkaufspreise. Der Fachkräftemangel macht auch vor unserer Branche nicht halt. Jedoch ist unsere Branche aufgrund der bekannten Krisenanfälligkeit eben für jene Krisen vorbereitet und anpassungsfähig.
Flurin Riedi: Nachdem in den letzten drei Jahren die Schweizerinnen und Schweizer infolge der Pandemie vermehrt ihre Ferien auch in unserer Ferienregion verbracht haben, wurden die Prognosen bestätigt, dass die Schweizer Gäste dieses Jahr wieder vermehrt Ferien im Ausland buchten. Die Schlechtwetterphase im Juli hat diesen Trend noch verstärkt, was zu einem doch spürbaren Rückgang der Schweizer Gäste führte. Auch wenn die Gästezahlen aus den Fernmärkten im aktuellen Sommer wieder gestiegen sind, müssen wir uns bewusst zu sein, dass auch wir positive Gästezahlen nicht als selbstverständlich anschauen dürfen und der Binnenmarkt mit rund 70% der bedeutendste bleibt. Eine mit unseren Leistungsträgern abgestimmte aktive Märktebearbeitung bleibt darum zentral. Eine der grössten Herausforderungen und Gefahren, welche unsere gesamte Region beschäftigt, ist der Mitarbeiter- und Fachkräftemangel. Im Wissen, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen wird, bereitet dies nicht nur Bauchschmerzen, sondern fordert ein aktives Wirken im Bereich der Standortentwicklung und Employer Branding.
Haben sich die Ansprüche und Erwartungen der Gäste sichtbar gewandelt?
Anne-Florence Weissert: Die Ruhe der Natur ist immer wieder gefragt bei den Gästen. Mit der Destinationsstrategie sind wir demnach weiter auf dem richtigen Weg. Die Natur ist und bleibt unsere wichtigste «Infrastruktur». Diverse Wasseraktivitäten wie das Canyoning sind sehr gefragt. Hier wird eine Verbindung zu den voraussichtlichen klimatischen Bedingungen deutlich. Öffentliche Infrastrukturen wie der Seilpark in Zweisimmen und das Wake Up auf dem Hornberg wurden ebenfalls gut besucht.
Sandro Karlen: Die Erwartungen sind unterschiedlich. Zum einen gibt es Gäste, die Unterhaltung erwarten. In diesem Bereich versuchen wir mit gezielten Anlässen verschiedene Zielgruppen zu erreichen. Dazu zählen beispielsweise die AHV-Tage, das Saint-Tropez on Eggli, die 1.-Augustanlässe oder das Caprice Festival. Zum anderen suchen unsere Gäste auch unsere wunderbaren Wanderungen vom Rinderberg aufs Horneggli oder von der Wispile an den Lauenensee. Bei Ihnen steht «Ahifahre» im Vordergrund.
Michael Ming: Die Bedeutung von Nachhaltigkeit und authentischen Angeboten ist sichtlich gestiegen.
Flurin Riedi: Die Ansprüche und Erwartungen haben sich nicht gewandelt. Vielmehr zeigte sich auch in den vergangenen Monaten, dass die Ansprüche an die Qualität und einen hohen Servicegrad tendenziell eher zunehmen. Die heutigen Vergleichsmöglichkeiten über die verschiedenen digitalen Plattformen und Kanäle forcieren diese Entwicklung, was nicht nur unsere Arbeit unter anderem auch im Bereich der Digitalisierung fordert, sondern auch unsere Leistungsträger mit ihren Angeboten. Dabei zahlen sich unsere strategischen Grundsätze, wie sie in der Destinationsstrategie festgehalten sind, einmal mehr aus. Das Motto Qualität vor Quantität führt unter anderem dazu, dass tendenziell ein höherer Preis durchgesetzt werden kann, was wiederum laufende Investitionen in das Produkt und die Qualität ermöglicht.
Wie zufrieden oder eben nicht zufrieden sind Sie mit der Sommersaison 2023?
Anne-Florence Weissert: Wir blicken positiv auf den Sommer zurück. Wir konnten viele zufriedene Gäste empfangen. Uns begegneten sowohl Chaletgäste, die die Region und ihr Angebot kennen und schätzen, als auch Individualgäste, welche die Destination und deren Natur neu entdeckten.
Sandro Karlen: Aus der Zahlenperspektive sind wir natürlich unzufrieden. Allerdings haben wir im Eventbereich Erfahrungen gesammelt. Wir sind zuversichtlich, dass wir darauf aufbauen können.
Michael Ming: Grundsätzlich sind wir zufrieden dank der Rückkehr der internationalen Gäste sowie der Firmenanlässe.
Flurin Riedi: Wie bereits erwähnt, dürfen wir als Tourismusorganisation eine positive Gesamtbilanz für die gesamte Ferienregion ziehen. Positiv ist dabei auch zu erwähnen, dass im Gesamttotal die Wertschöpfung der Sommersaison (Mai-Oktober) inzwischen praktisch gleiche Werte erreicht wie die Wintersaison (November – April). Wobei es darauf hinzuweisen gilt, dass die Wertschöpfung im Winter innerhalb der drei Hauptwintermonate generiert wird. Die positive Entwicklung im Sommer ist insbesondere auf die Investitionen im Bereich Saisonverlängerung der letzten Jahre zurückzuführen.