Viel Gefühl mit wenig Strichen
06.02.2025 KulturDer Comiczeichner Zep, Vater der Kunstfigur Titeuf, wagt sich in seinem neuen Programm «L’Odyssée de Doublecroche» an das sinfonische Zusammenspiel von Zeichnen und Musik. Begleitet wird er vom Violinisten Renaud Capuçon und dem Pianisten Guillaume Bellom. Das ...
Der Comiczeichner Zep, Vater der Kunstfigur Titeuf, wagt sich in seinem neuen Programm «L’Odyssée de Doublecroche» an das sinfonische Zusammenspiel von Zeichnen und Musik. Begleitet wird er vom Violinisten Renaud Capuçon und dem Pianisten Guillaume Bellom. Das Stück feierte im Rahmen der Sommets Musicaux de Gstaad am Dienstag in der Kirche Saanen Premiere.
KEREM S. MAURER
Zep, alias Philippe Chappuis, setzt seinen Stift an und beginnt runde schwarze Noten zu zeichnen. Renaud Capuçon, seit 2016 künstlerischer Direktor der Sommets Musicaux de Gstaad, streicht dazu sanft über die Saiten einer Geige und Guillaume Bellom schlägt die Tasten auf dem Flügel an. Sofort wird es in der gut besuchten Kirche in Saanen – die Schulkinder sitzen vorne, die «grossen Kinder» hinten – still. Schnell wird klar: Titeuf, das Strichmännchen mit dem Eierkopf, der vorwitzigen Haartolle und den dünnen Beinchen, ist der heimliche Star des Stücks mit dem Titel «L’Odyssée de Doublecroche», zu Deutsch «Die Odyssee der Sechzehntelnote». Zeps Zeichnen wird für das ganze Publikum gut sichtbar auf eine grosse Leinwand projiziert.
Titeuf und die Emotionen
Zep zeichnet mit flinker Hand einen Notenschlüssel, der sich durch das Hinzufügen weniger Striche vor den Augen des Publikums in eine Schlange verwandelt. Daneben zeichnet er Titeuf. Sekunden später, auf der fertigen Zeichnung, berührt Titeuf die Zunge der züngelnden Schlange mit seiner Fingerspitze. Vorsichtig, freundlich, neugierig. Auf einem anderen Blatt zeichnet Zep die Tastatur eines Klaviers, darüber Titeuf und zum Schluss verleiht eine gezeichnete Wellenlinie hinter der Comicfigur der Szene jene Dynamik, die alle begreifen lässt, dass Titeuf über die Tasten tanzt. Lebensfroh, ausgelassen, abenteuerlustig. Kurze Zeit später steht Titeuf traurig und allein im Regen oder er fällt am Regenschirm hängend auf den Regenbogen. Vertrauensvoll, aufgehoben, behütet.
Gelebte Symbiose
Zep schafft es auf erstaunlich einfache, möglicherweise kindliche Art, Gefühle auszudrücken. Liebe, Freude und Hoffnung, aber auch Angst, Schrecken und Einsamkeit. Renaud Capuçon entlockt dazu seiner Geige die passenden Klänge und versteht es, die Emotionen, welche Zep in seinen Zeichnungen darstellt, gefühlvoll zu untermalen. Zusammen mit Guillaume Belloms Klavierspiel erwacht jede einzelne Zeichnung zum Leben, erzählt eine Geschichte und erzeugt den Wunsch, noch mehr davon sehen und hören zu wollen. Philippe Chappuis nutzt die Zeit und zeigt die verschiedenen effektvollen Techniken, mit denen er arbeitet. Dreizehn Zeichnungen sind es bis am Schluss, eine knappe Stunde dauert der wortwörtliche Zauber, dann schreibt Zep «fin». Fertig.
Der Applaus am Dienstagnachmittag war anhaltend, ehrlich und fordernd, doch auf Zugaben hoffte das Publikum vergebens. Man soll dann aufhören, wann es am schönsten ist, heisst es im Volksmund. Und auch das ist den drei Künstlern mit ihrer magischen Symbiose aus Musik, Emotionen und Comics gut gelungen.
ZEP UND TITEUF
Im Jahr 1991 entwirft der 1967 geborene Genfer Philippe Chappuis seine Comicfigur Titeuf. Der Name könnte sich vom französischen «petit oeuf» ableiten, was so viel wie kleines Ei bedeutet und eine Anspielung auf Titeufs Eierkopf wäre. Andernorts ist zu lesen, dass Titeufs Name gar keine Bedeutung hätte. Weil Chappuis keine Haare zeichnen wollte, habe Titeuf bloss eine blonde Tolle bekommen, schreibt der «Tagesanzeiger» in einem Porträt über den Künstler. Titeuf selbst stelle einen zehnjährigen Jungen dar, der die Welt und die Liebe entdecke. Für seine Comicfigur erhielt Philippe Chappuis, dessen Künstlername schlicht Zep lautet, 1996 den von einer Kinderjury vergebenen Preis Alph’Art Jeunesse und 2003 den Alph’Art du Public beim internationalen Comicfestival in Angoulême. In deutscher Übersetzung sind achtzehn Bände erschienen.
KMA