Er hat Charisma und den Blick für die Weite: An der Eröffnung der 25. Sommets Musicaux de Gstaad war der Cellist Yo-Yo Ma die grosse Figur. Die Herzen fielen ihm zu.
SVEND PETERNELL
Sechs Buchstaben. Und eine grosse Welt, die sich öffnet. Yo-Yo Ma ist ...
Er hat Charisma und den Blick für die Weite: An der Eröffnung der 25. Sommets Musicaux de Gstaad war der Cellist Yo-Yo Ma die grosse Figur. Die Herzen fielen ihm zu.
SVEND PETERNELL
Sechs Buchstaben. Und eine grosse Welt, die sich öffnet. Yo-Yo Ma ist ein Phänomen. Nicht nur, weil er wie entrückt spielt. Den Blick hat er gerade zu Beginn von Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll op. 129 himmelwärts gerichtet. Weit schaut er voraus. Zeigt, wie Musik zum Schweben einlädt.
Und wendet sich alsbald dem Cello-Quartett im Lausanner Kammerorchester zu. Mit einem breiten, entspannten Lächeln. Denn er ist hier in der ausverkauften Saaner Mauritiuskirche und freut sich, musizieren zu dürfen. Nicht für sich allein. Sondern mit einem best gelaunten Westschweizer Klangkörper. Und mit einem Dirigenten, der sich sonst als eleganter Geiger hervortut. Renaud Capuçon empfängt viel Wärme von Yo-Yo Ma. Und immer wieder ein ansteckendes Lachen.
An alle gedacht
Der Cellist, der französischer und US-Staatsbürger und Sohn chinesischer Eltern ist, verschenkt viel Empathie. Keine und keinen vergisst er im Orchester. Den Blumenstrauss, den er beim Schlussapplaus erhält, trägt er in die zweitletzte Reihe und übergibt ihn einer Holzbläserin. Und beim Weg zurück durchs Publikum streckt er fast jeder und jedem die Hand entgegen, die er berühren kann. Und betont das Gemeinschaftsgefühl.
Viel Herz verströmt Yo-Yo Ma auch in seinem Spiel. Im höchst anspruchsvollen Werk von Schumann – das dieser 1850 als 40-Jähriger bei vollen Kräften komponierte, ehe ihn eine Krise nach der anderen schwächte, dann Syphilis und der Wahnsinn dahinrafften – bewältigt er mit Souplesse, Wärme und Gespür für Tiefe. Und auch für das Skurrile im letzten Satz, der wie der zweite ohne Zäsur gespielt wird, hat er Sinn.
Intensiv und emotional
Die Tempi bewältigt Ma phänomenal. Wenn er im ersten Satz wie gefordert «nicht zu schnell» spielt, macht er Dunkles und Geheimnisvolles hörbar und Magie spürbar. Der zweite Satz («langsam») wird zur fiebrigen Liebeserklärung. Im dritten Satz («sehr lebhaft») legt Ma schnelle Läufe von höchster Intensität und Emotionalität hin. Und scheut auch Ecken, Kanten und Dezidiertheit nicht. Denn eben: Schumann fordert technisch alles ab.
Das Orchester agiert als gleichwertiger Partner, wie es die Komposition auch vorsieht – damals, bei der Uraufführung 1860, vier Jahre nach Schumanns Tod, war das eine Novität. Die Romands spielen wach und geschmeidig, entfalten in den besten Phasen einen pulsierenden Klangsog, den auch Capuçon als Orchesterleiter immer wieder anstrebt.
Zum Auftakt der 25. Sommets Musicaux de Gstaad steht auch Beethovens dritte Sinfonie («Eroica») von 1805 auf dem Programm. Ein Jubiläum erträgt auch Heroisches. Da wirkt der erste Satz bei aller Dramatik noch etwas verhärtet. Der Zweite steigert sich von der Innenreflexion hin zum Visionären, der dritte bietet viel Vibrierendes, der vierte schliesslich entfaltet regelrechte Klangexplosionen. Dirigent Capuçon – seit 2016 künstlerischer Leiter des Winter-Klassik-Festivals – hat dort seine Stärken, wo er Klangbilder formen und die einzelnen Register fordern kann.
Ma auch bei «Eroica» dabei
Besonders schön bei diesem Beethoven: Cello-Star Yo-Yo Ma ist auch da dabei. Nach seinem Schumann-Solo und einer Zugabe – ein katalanisches Naturlied zusammen mit dem Cello-Quartett des Orchesters – hat er sich nach draussen begeben. Dort ist er fast unbemerkt beim Seiteneingang der Kirche wieder eingetreten und hat sich im Orchester eingereiht. Weil er gerne weiter musiziert. Diesmal ohne Rampenlicht. Aber als Teil der Gemeinschaft, die ihm so viel bedeutet. Ein Phänomen, dieser Mann mit den sechs Buchstaben.