Spital Zweisimmen im Wandel: Was sich für die Bevölkerung ändert
13.06.2025 GstaadDie Spital STS AG richtet den Standort Zweisimmen neu aus. Operationen werden künftig in Thun durchgeführt, der Notfall wird ausgebaut und die Grundversorgung vor Ort gestärkt. An der Informationsveranstaltung in Zweisimmen präsentierten die Verantwortlichen das neue ...
Die Spital STS AG richtet den Standort Zweisimmen neu aus. Operationen werden künftig in Thun durchgeführt, der Notfall wird ausgebaut und die Grundversorgung vor Ort gestärkt. An der Informationsveranstaltung in Zweisimmen präsentierten die Verantwortlichen das neue Betriebskonzept und stellten sich den Fragen des Publikums. Die Auswahl zentraler Fragen des Abends.
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Was ändert sich konkret am Spital Zweisimmen?
Ziel der Spital STS AG ist es, den Standort Zweisimmen langfristig zu sichern und besser an die heutigen Anforderungen anzupassen, wie die Verantwortlichen an der Informationsveranstaltung vom Mittwochabend in der Simmental Arena in Zweisimmen beteuerten. Der grösste Einschnitt betrifft den Operationsbetrieb: Ab Oktober werden alle chirurgischen Eingriffe nach Thun verlagert. Damit reagiert die Spitalleitung auf die geringe Auslastung vor Ort sowie auf die zunehmende Spezialisierung in der Medizin. Verwaltungsratspräsident Thomas Straubhaar sagte: «Es ist nicht möglich, alle paar Monate einen Eingriff zu machen und gleichzeitig höchste Qualität sicherzustellen. Dafür braucht es Routine.» Dazu kommt: Der Betrieb in Zweisimmen konnte zuletzt nur noch mit viel temporärem Personal aufrechterhalten werden – ein kostenintensiver Punkt, erklärte CEO David Roten.
Auch wirtschaftlich sei dieser Schritt unvermeidlich. «Am Standort Zweisimmen können nicht einmal die direkten Kosten wie beispielsweise die Löhne gedeckt werden. Das Defizit ist gross», erklärte Roten. Im Jahr 2024 lag der Verlust bei sechs Millionen Franken.
Wie wird die Notfallversorgung in Zweisimmen künftig organisiert?
Der Notfall in Zweisimmen soll laut den Verantwortlichen rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr bestehen bleiben. Dr. Rolf Hess, Chefarzt Klinik für Orthopädie, Traumatologie und Sportmedizin, erklärte: «In über 90 Prozent der Fälle geht es nicht um eine sofortige Operation, sondern darum, den Zustand korrekt einzuschätzen und die richtigen Schritte einzuleiten.» Dafür seien in Zweisimmen rund um die Uhr Assistenzärzte im Einsatz. Sie würden von ausgebildeten Notfallmedizinern unterstützt.
Hess dementierte zudem die Aussage eines Wortmelders, der sagte, einfache Eingriffe wie Wunden reinigen und nähen, eine ausgekugelte Schulter einrenken oder eine Thorax-Drainage setzen seien nun aufgrund des Umbaus nicht mehr möglich. «Wir können dies weiterhin gewährleisten.» Bei komplizierteren Fällen könne der Patient an einen Spezialisten überwiesen werden. «Wichtig ist, dass wir genau hinschauen und rasch entscheiden, was der Patient braucht», so Hess.
Unterstützung erhielten die Ärzte in Zweisimmen von einem erfahrenen Kaderarzt, der jederzeit innert 20 Minuten erreichbar sei. Zusätzlich sei das Spital telemedizinisch mit Thun verbunden. So könne in schwierigen Fällen rasch Rücksprache gehalten werden. Wenn eine Operation sofort nötig sei, werde der Patient direkt nach Thun oder in ein Zentrumsspital gebracht.
Dafür stünden Rettungswagen und auch Helikopter bereit.
Auch der Rettungsdienst ist integraler Teil dieses Konzepts. «Die Notfallversorgung in Zweisimmen ist eingebettet in ein dynamisches System mit klaren Prozessen und kurzen Reaktionszeiten», erklärt Beat Baumgartner, Leiter Rettungsdienst Berner Oberland West. Der Rettungsdienst ist flächenmässig der grösste im Kanton Bern und arbeitet mit einem flexiblen System: Ambulanzen werden je nach Bedarf verschoben, sodass eine durchgehende Abdeckung gewährleistet ist.
«Wir setzen zudem auf ein Netzwerk mit Partnerorganisationen, gut geschulten First Respondern und flächendeckenden AED-Geräten in der Region», so Baumgartner. Bei Herz-Kreislauf-Stillständen werde oft bereits innert Minuten Hilfe geleistet, noch bevor die Ambulanz eintreffe.
Was bedeutet die Verlagerung der Chirurgie nach Thun für die Patienten?
Alle chirurgischen Operationen werden künftig nicht mehr in Zweisimmen, sondern im Spital Thun durchgeführt. Patientinnen und Patienten, die operiert werden müssen, werden künftig nach Thun oder direkt in ein Zentrumsspital verlegt. Die Betreuung prä- und postoperativer Patientinnen und Patienten bleiben in Zweisimmen allerdings weiterhin möglich.
Auch medizinisch sei die Zentralisierung sinnvoll, sagte Chefarzt Rolf Hess – insbesondere in der Fragerunde, als ein ehemaliger langjähriger Chirurg aus Zweisimmen die Verlagerung kritisch hinterfragte. Hess würdigte dessen Arbeit als enorme Leistung unter den damaligen Bedingungen, machte jedoch deutlich, dass sich die Anforderungen und Rahmenbedingungen seither grundlegend verändert hätten. «Früher war man als Arzt oft allein. Heute ist es gar nicht mehr möglich, so breit ausgebildete Leute zu finden wie damals.»
Die moderne Medizin sei auf Spezialisierung und Teamarbeit angewiesen. Chirurgen benötigten heute eine hohe Fallzahl, um ihre Kompetenzen auf dem neuesten Stand zu halten. Die Entwicklung verlaufe rasant, die Spitalaufenthalte würden immer kürzer und ambulante Behandlungen würden zunehmen. Sein Fazit: Die Verlagerung der Chirurgie nach Thun sei kein Rückschritt, sondern eine notwendige Reaktion auf den medizinischen Fortschritt und eine Investition in die sichere, zukunftsfähige Versorgung der Bevölkerung.
David Roten betonte: «Das ist kein Abbau, sondern ein Umbau. Wir investieren gezielt in die Stärken von Zweisimmen, vor allem in die Notfall- und Grundversorgung.» So soll die Bevölkerung in der Region auch künftig wohnortsnah betreut werden.
Wer trägt die Transportkosten der Patienten von Zweisimmen nach Thun?
Dieses Thema sorgte für Kritik in der Bevölkerung, wie mehrere Fragen und Wortmeldungen aus dem Publikum zeigten. Die Sorge: Mehr Transporte bedeuten nicht nur mehr Verkehr und Aufwand, sondern auch höhere Kosten
– für das Spital und potenziell für die Gesellschaft. SVP-Grossrätin Anne Speiser-Niess sprach von einem zunehmenden «Patiententourismus», ein Votant stellte die Frage nach den Auswirkungen auf Umwelt und Finanzen.
Die Verantwortlichen hielten fest: Die Verlegungen seien Teil eines Gesamtkonzepts, das langfristig die Behandlungsqualität verbessere und gleichzeitig das Defizit des Standorts Zweisimmen senke. «Ja, es wird mehr Transporte geben», räumte die Spitalleitung ein. «Aber sie sind notwendig, um eine nachhaltige, spezialisierte Versorgung sicherzustellen.» Die Verantwortlichen gaben zudem an: Wenn Patientinnen und Patienten künftig für eine Operation von Zweisimmen nach Thun verlegt werden müssen, übernimmt die Spital STS AG die Kosten. Allerdings gebe es noch vereinzelte Fälle, in denen der Transport nicht übernommen werde, ausser man sei spezifisch dafür versichert, räumten die Verantwortlichen ein. Sie stünden deshalb in Kontakt mit dem Kanton, um einen Härtefallfonds einzurichten. Auch an der nötigen Infrastruktur solle es nicht fehlen. Es werde sichergestellt, dass jederzeit ausreichend Verlegungskapazitäten auf der Strasse und in der Luft bereitstünden.
Was passiert mit der Demenzstation?
Die Demenzstation im Spital Zweisimmen müsse verlegt werden, so CEO David Roten. Grund dafür sei der geplante Ausbau des Notfalls, der mehr Platz benötige. «Für den vergrösserten Notfall müssen die Demenzstationen Platz machen. Für sie bieten wir einen gleichwertigen Ersatz innerhalb des Spitals», so Roten. Die Abteilung werde künftig im vierten Stock untergebracht.
Eine Frau aus dem Publikum erkundigte sich, ob der Zugang zum Demenzgarten noch gewährleistet sei, der insbesondere ebenerdig sein sollte. Roten antwortete, dass auf dem Dach des heutigen OP-Traktes ein Ersatz des Demenzgartens eingerichtet werde, wenn auch in einer kleineren Dimension.
Was erhofft sich die Spitalleitung vom neuen Betriebskonzept in Bezug auf das Betriebsdefizit?
Die Spital STS AG will rund drei Millionen Franken in den Umbau des Standorts Zweisimmen investieren. Gleichzeitig erhofft sich die Spitalleitung, das Betriebsdefizit deutlich zu senken – von heute sechs auf künftig vier Millionen Franken. Davon trägt der Kanton Bern zwei Millionen, wie Verwaltungsratspräsident Thomas Straubhaar ausführte. Er betonte jedoch, dass ein vollständiger Abbau des Defizits unrealistisch sei: «Ein 24-Stunden-Notfall und eine Bettenstation mit vergleichsweise wenigen Patientinnen und Patienten sind nie kostendeckend. Das ist gar nicht möglich.» Die STS AG sei finanziell gut aufgestellt und könne ein gewisses Defizit tragen.
DAS NEUE BETRIEBSKONZEPT IN ZWEISIMMEN – DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Operationsbetrieb wird eingestellt
Seit dem 1. Juni wird der OP-Betrieb an Wochenenden, Feiertagen und nachts eingestellt. Ab 1. Oktober finden in Zweisimmen keine Operationen mehr statt. Künftig werden sämtliche Eingriffe im Spital Thun vorgenommen. Der Entscheid basiert auf der geringen Auslastung: 2024 wurden laut der Spital STS AG im Schnitt nur ein stationärer Eingriff pro Tag (rund 360 jährlich) sowie etwa 350 ambulante Operationen durchgeführt. Für das spezialisierte Fachpersonal ist dies langfristig nicht tragbar. Zudem würden sich viele Patientinnen und Patienten eine Behandlung in Zentrumsspitälern mit hoher Routine und Qualität wünschen.
Notfall und Bettenstation bleiben
Der 24-Stunden-Notfall wird ausgebaut – mit mehr Fläche, zusätzlichen Kojeplätzen und optimierten Abläufen. Die Bettenstation mit zwölf bis 20 Plätzen bleibt bestehen. Sie wird saisonal angepasst und deckt die internistische Grundversorgung sowie prä- und postoperative Pflege ab.
Ambulante Versorgung gesichert
Das breite Sprechstundenangebot bleibt erhalten: Allgemein- und Viszeralchirurgie, Orthopädie, Kardiologie, Urologie, Gastroenterologie, Psychiatrie und mehr. Auch Dialyse, Infusionstherapien und kleinere Eingriffe vor Ort sind weiterhin möglich.
Diagnostik rund um die Uhr
Röntgen, CT, Ultraschall und weitere Untersuchungen sind wie bisher durchgehend verfügbar. Auch ein breites Laborangebot und eine telemedizinische Anbindung an Thun stehen zur Verfügung.
Verlegungen bei Bedarf
Für komplexere Eingriffe werden Patientinnen und Patienten nach Thun oder andere Zentrumsspitäler verlegt – bei Bedarf auch per Helikopter. Die Kosten trägt die Spital STS AG.
Von 120 auf 110 Vollzeitstellen
Von rund 120 Vollzeitstellen entfallen rund 10. Den betroffenen Mitarbeitenden werden interne Alternativen angeboten. Kündigungen sind keine vorgesehen.
PD/JOP
Unter spitalthun.ch findet sich die aktuelle Informationsbroschüre, die im Vorfeld der Informationsveranstaltung an alle Haushaltungen versendet wurde.
Regierungsrat Schnegg: «Es braucht jetzt eine Zeit der Ruhe»
«Es braucht nun eine Zeit der Ruhe. Es braucht nun eine Zeit, in der sich das Spital Zweisimmen auf seine Hauptaufgabe konzentrieren kann, nämlich auf die Gesundheitsversorgung», sagte Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, Vorsteher der kantonalen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern. Er betonte am Informationsanlass zur Zukunft des Spitals Zweisimmen die Notwendigkeit einer klaren Neuausrichtung. Seit fast 20 Jahren werde über die Zukunft des Standorts diskutiert. Es gebe keine Zeit mehr, um über Projekte zu reden. Das neue Betriebskonzept sei ein wichtiger Schritt, jetzt brauche es Entscheidungen, um den Standort langfristig als Akutspital mit Notfall- und Grundversorgung zu sichern. Die Einstellung des OP-Betriebs sei angesichts der tiefen Fallzahlen und der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin unumgänglich. Schnegg rief zu einem gemeinsamen Engagement auf: Der Kanton investiere in Hausarztmedizin und Weiterbildung, aber auch die Region müsse ihren Teil zur medizinischen Versorgung beitragen. Die Zukunft liege in einer vernetzten, integrierten Versorgung – das sogenannte «Hub-and-Spoke»-Modell: ein Netzwerk aus zentralen, hochspezialisierten Einrichtungen (Hubs) und dezentralen, wohnortnahen Versorgungsstellen (Spokes).
JOP