Spital Zweisimmen: Notfall soll ausgebaut, Operationen nach Thun verlegt werden
29.04.2025 ZweisimmenMit einer umfangreichen Medienmitteilung hat die Spital STS AG über die Zukunft des Spitals Zweisimmen informiert. Geplant sind Investitionen von rund drei Millionen Franken, eine Erweiterung des 24h-Notfalls und eine flexible Bettenstation. Gleichzeitig wird der Operationsbetrieb ...
Mit einer umfangreichen Medienmitteilung hat die Spital STS AG über die Zukunft des Spitals Zweisimmen informiert. Geplant sind Investitionen von rund drei Millionen Franken, eine Erweiterung des 24h-Notfalls und eine flexible Bettenstation. Gleichzeitig wird der Operationsbetrieb eingestellt und nach Thun verlegt. Nachfolgend beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um das neue Betriebskonzept.
JOCELYNE PAGE
Geballte Informationen auf zwei A4-Seiten: Kürzlich meldete sich die Spital STS AG mit einer Medienmitteilung, die über das neue Betriebskonzept des Spitals Zweisimmen informiert. Das Wichtigste in Kürze: Der Notfall wird ausgebaut, die Bettenzahl erhöht, der Operationsbetrieb wird jedoch geschlossen und nach Thun verlegt. Nachfolgend haben wir für Sie die wichtigsten Informationen des neusten Updates zusammengefasst.
Was plant die Spital STS AG für den Standort Zweisimmen?
Die Spital STS AG investiert rund drei Millionen Franken in die Infrastruktur des Spitals Zweisimmen. Der Standort bleibt als Akutspital mit einem 24-Stunden-Betrieb erhalten. Die interdisziplinäre Bettenstation wird je nach saisonaler Nachfrage zwischen zwölf und 20 Betten umfassen.
Welche Veränderungen sind beim Notfall vorgesehen?
Der 24h-Notfall wird flächenmässig um 75 Prozent erweitert – von heute 305 Quadratmetern auf neu 535 Quadratmeter, inklusive neuer Triagefunktion. Mit Büroflächen wird der neue Notfalltrakt insgesamt 900 Quadratmeter umfassen. Ziel ist eine Entlastung durch vorgelagerte Triage, eine Trennung der Fälle nach Dringlichkeit und eine effizientere Patientenversorgung, wie die Spital STS AG schreibt.
Was passiert mit dem Operationsbetrieb?
Der bisherige Operationsbetrieb in Zweisimmen wird aufgrund rückläufiger Eingriffszahlen per 1. Oktober 2025 eingestellt. Künftige operative Eingriffe werden am Spital Thun durchgeführt, wo laut Unternehmen durch die Erweiterung um 20 zusätzliche Betten genügend Kapazitäten geschaffen wurden.
Bleibt die chirurgische Versorgung in Zweisimmen erhalten?
Ja. Die chirurgische Grundversorgung bleibe ganzjährig erhalten und werde in den Wintermonaten orthopädisch und traumatologisch verstärkt, schreibt die Spital STS AG.
Was geschieht mit den bestehenden Mitarbeitenden?
Stand heute komme es im Rahmen der Neuausrichtung zu keinen Kündigungen, so das Unternehmen. Direktbetroffene Mitarbeitende erhielten interne Angebote innerhalb der Spital STS AG. Gleichzeitig können Temporärstellen reduziert werden, was zu einer finanziellen Entlastung führe.
Welche medizinischen Angebo te bleiben erhalten?
Sprechstunden von Fachärztinnen und Fachärzten sowie die ambulante Dialyse bleiben ebenso erhalten wie die Diagnostik mit Radiologie (inklusive dem einzigen CT in der Region), Röntgen, Ultraschall, kardiologische Diagnostik und Labor. «Alle Angebote werden durch innovative Konzepte wie zum Beispiel Telemedizin unterstützt», so die STS AG.
Warum wurde das neue Betriebskonzept notwendig?
Die Spital STS AG prüfte verschiedene Szenarien – vom Vollbetrieb bis zum rein ambulanten Zentrum. «Um den Spitalbetrieb in Zweisimmen längerfristig auf eine solide Basis zu stellen, muss das neue Betriebskonzept sowohl personell umsetzbar als auch finanziell tragfähig sein», heisst es in der Medienmitteilung. Im Wissen, dass der Betrieb defizitär bleiben werde, sei die Betreiberin aber bereit, hierfür finanzielle Verantwortung mitzutragen. Mit dem neuen Konzept soll der jährliche Betriebsverlust von derzeit sechs Millionen Franken auf rund vier Millionen Franken reduziert werden.
Auf Anfrage des AvS, wie die Spital STS AG gedenke die restlichen vier Millionen Franken Defizit finanziell zu tragen, antwortet Thomas Straubhaar, Verwaltungsratspräsident der Spital STS AG: «Die Spital STS AG muss am Hauptstandort Spital Thun einen beachtlichen Gewinn erwirtschaften, um die Verluste aus dem Betrieb des Standortes Zweisimmen tragen zu können. Der Verlust wird sich mit den Angebotsanpassungen nicht signifikant verringern, der Verwaltungsrat übernimmt hierzu aber die Verantwortung und bekennt sich mit dem Versorgungsauftrag zum Spitalstandort Zweisimmen – mit aller Konsequenz, trotz wirtschaftlicher Risiken.»
Wie wird der Patientenfluss künftig organisiert?
Durch die neue Triage im Notfallbereich werden Patientinnen und Patienten effizienter nach Schweregrad ihres Falles sortiert (ESI-Kategorie). ESI bedeutet Emergency Severity Index (ESI) und ist eine Einstufung, die hilft, Patienten in der Notaufnahme schnell nach Dringlichkeit und dem benötigten Aufwand einzuteilen. Dadurch werde der Patientenfluss optimiert und die Barrierefreiheit verbessert, so die STS AG.
Wie wird der Transport von Patienten organisiert?
Die Spital STS AG will mit einer zusätzlichen Rettungsequipe sowie mit Partnern wie der easyCab medical AG sicherstellen, dass genügend Kapazitäten für Patientenverlegungen zur Verfügung stehen.
Welche Rolle spielt die integrierte Versorgung in Zukunft?
Im Rahmen des Transformationsprozesses soll das Thema integrierte Versorgung weiter vertieft und gemeinsam mit Partnern in der Region entwickelt werden. Auf Nachfrage des AvS, welche konkreten Massnahmen für die integrierte Versorgung in der Region geplant seien, erklärt Verwaltungsratspräsident Thomas Straubhaar: «Das Thema integrierte Versorgung wird im Rahmen des Transformationsprozesses, also ab Sommer 2025, im Detail angegangen. Wie politisch bekannt, werden bis Ende 2025 sechs Teilstrategien erarbeitet, in denen pro Leistungsbereich spezifische Ziele und umsetzbare Massnahmen formuliert sind, die auf der Gesundheitsstrategie des Kantons Bern 2020 – 2030 basieren. Diesbezüglich stehen wir mit der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) des Kantons Bern in Kontakt.»
Was sagen die Verantwortlichen der Spital STS AG?
Verwaltungsratspräsident Thomas Straubhaar betont: «Wir suchen seit bald 20 Jahren für die Region nach einer Spitallösung. Jetzt haben wir eine, indem wir Zweisimmen mit einem neuen Betriebskonzept als Akutspital bedarfsgerecht weiterbetreiben.» Er hoffe auf eine breite Akzeptanz und Nutzung der neuen Angebote.
Wann genau sollen die Bauarbeiten für den neuen Notfallbereich abgeschlossen sein?
«Wird das vorgesehene Betriebskonzept Spital Zweisimmen umgesetzt, hängt das vom Zeitplan der baulichen Massnahmen ab, mit allem was dazugehört», erklärt David Roten, CEO Spital STS AG, auf Anfrage des AvS. Laufe alles nach Plan, könne die Spital STS AG voraussichtlich vor der Wintersaison 2025/26 die neuen Räumlichkeiten beziehen. «Der Umzug der Demenzabteilung der Alterswohnen STS AG vom ersten Stock ins vierte Obergeschoss – inklusive bauliche Massnahmen – dürfte problemlos sein. Die Umbauarbeiten während des laufenden Betriebs im Bereich 24h-Notfall werden indes etwas anspruchsvoller sein», so Roten.
DAS SAGEN DIE GEMEINDEPRÄSIDENTINNEN UND -PRÄSIDENTEN DES OBERSIMMENTALS UND SAANENLANDS
Die Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Obersimmentals und Saanenlands verfassten eine gemeinsame Stellungnahme. Seit Jahren bemühe sich die Region gemeinsam mit ihrer politischen Vertretung um den Erhalt des Akutspitals Zweisimmen inklusive Chirurgie. Die Projekte «Gesundheitsnetz Simme Saane» sowie die Übernahme des Spitals durch die Medaxo AG hätten ebenfalls chirurgische Eingriffe vorgesehen, seien jedoch aus bekannten Gründen gescheitert.
Die Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten zeigen sich erfreut, dass sich der im Juli 2024 neu eingesetzte Verwaltungsrat der Spital STS AG zum Standort Zweisimmen bekannt habe – und dies grundsätzlich weiterhin tue. «Wir nehmen das klare Bekenntnis der Spital STS AG zum Weiterbetrieb des Spitals Zweisimmen als Akutspital mit 24h-Notfalldienst positiv zur Kenntnis», heisst es weiter. Damit werde einem wichtigen Anliegen der Region entsprochen, nämlich dass die Notfallversorgung für die einheimische Bevölkerung und die Gäste weiterhin gewährleistet und sogar ausgebaut werden solle. Die Investitionsbereitschaft der Spital STS AG in Höhe von rund drei Millionen Franken sei ein wichtiges Signal, dass der Standort langfristig bestehen solle. Auch dass die stationäre medizinische Versorgung erhalten bleibe, werde ausdrücklich begrüsst.
Die angekündigte Einstellung des Operationsbetriebs schmerze hingegen die Region sehr, schreiben die Gemeindevertretenden. «Noch im Juli 2024 wollte die Spital STS AG die bedarfsgerechte Operationstätigkeit sicherstellen – nun nicht mehr.» Dies habe in der Bevölkerung heftige Reaktionen ausgelöst, wie zahlreiche Beiträge in sozialen Medien belegten.
Kritisiert wird, dass die Bevölkerung nicht frühzeitig und aus erster Hand informiert worden sei. Es bestehe Informationsbedarf, insbesondere zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung während der touristischen Hochsaison und zu möglichen Auswirkungen auf die Maternité Alpine. «Nur umfassende Information schafft Vertrauen und bindet letztlich Bevölkerung und Gäste an das Spital Zweisimmen», heisst es in der Stellungnahme.
Weiter wird betont, dass die Entwicklungen im Gesundheitswesen die Schwächen einer privatisierten medizinischen Grundversorgung deutlich gemacht hätten. Es brauche ein grundlegendes Umdenken auf nationaler und kantonaler Ebene. Aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen könnten die Gemeinden politisch nicht direkt auf das Konzept Einfluss nehmen.
Gleichzeitig fordern die Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten, dass die Spital STS AG in den kommenden Monaten das Betriebskonzept in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit allen Leistungserbringern weiterentwickelt und präzisiert. Zudem erwarten sie, dass die Spital STS AG halbjährlich ein Reporting durchführt, um Anliegen aus der Bevölkerung aufzunehmen.
PD/JOP
PETITION FÜR DEN ERHALT DER CHIRURGIE AM SPITAL ZWEISIMMEN
Die Einstellung der Operationstätigkeit in Zweisimmen kommt nicht bei allen in der Bevölkerung gut an, so auch nicht bei SVP-Grossrat Nils Fiechter (Oberwil). Er sieht die Schliessung als «Katastrophe»: Ohne chirurgische Eingriffe sei das Spital langfristig nicht überlebensfähig, und auch die privat organisierte Geburtshilfe, die Maternité Alpine, wäre stark gefährdet. Die Möglichkeit, bei Komplikationen schnell operieren zu können, gilt als unverzichtbar. Um gegen die Schliessung vorzugehen, lancierte er die Online-Petition «Chirurgie erhalten – Spital Zweisimmen nicht beerdigen!». Er ruft die Bevölkerung auf, die Petition zu unterzeichnen und weiterzuverbreiten, um politischen Druck auf den Regierungsrat, Gesundheitsdirektor Schnegg und den Verwaltungsrat der Spital STS AG auszuüben. Die Petition sieht die geplante Schliessung auch als Teil einer bedenklichen Entwicklung: der schrittweisen Schwächung der ländlichen Regionen im Kanton Bern, ähnlich wie bei der Schliessung der Geburtenabteilung in Frutigen. Ziel der Petition: Die chirurgische Abteilung soll erhalten bleiben, damit Operationen weiterhin möglich sind und das Spital Zweisimmen als wichtige medizinische Anlaufstelle bestehen bleibt.
PD/JOP
«Wir brauchen keine Luxusvariante, aber eine bedarfsgerechte Versorgung»
INTERVIEW: JOCELYNE PAGE
Die Spital STS AG plant, den Operationsbetrieb nach Thun zu verlegen. Was bedeutet dies konkret für das Geburtshaus Maternité Alpine?
Anne Speiser-Niess: Das ist keine gute Nachricht, auch nicht für uns als Maternité Alpine. Wir müssen nun die ganze Ausgangslage sorgfältig analysieren. Eine rasche Einschätzung wäre unseriös.
Kann das Geburtshaus auch ohne Geburten weiter bestehen, indem es beispielsweise das Wochenbett, Geburtsvorbereitungen etc. anbietet?
Sollten die Geburten wegfallen, werden uns wichtige Einnahmen fehlen. Zudem müsste auch die Bereitschaft der Mitarbeitenden geklärt werden. Da wir leider nicht in den Prozess eingebunden waren, hatten wir keinen Vorlauf, um eben seriöse Varianten auszuarbeiten. Wir werden alles daransetzen, damit wir das bestmögliche Angebot für die Schwangeren und Familien bereitstellen können. Vermutlich würde das die Spital STS AG ja nicht übernehmen wollen. Nach der Schliessung der Geburtsabteilung im 2015 in Zweisimmen hatte die STS AG den geburtshilflichen Dienst eingesetzt. Das generierte Defizit dieses Dienstes wurde damals in der Höhe von 700’000 Franken kommuniziert. Die Maternité Alpine hat ab dem 1. Januar 2017 diesen Dienst übernommen, somit hat die STS AG bis Ende 2024 5,6 Millionen Franken eingespart. Dieser Aspekt wurde nie erwähnt. Ohne Operationssaal und Anästhesie fallen zudem auch sämtliche gynäkologischen Eingriffe in der Region weg.
Hat der Vorstand der Maternité Alpine geplant, in den Dialog mit der Spital STS AG zu treten? Falls ja, was erhofft sich dieser?
Ja sicher. Wir sind schon seit dem letzten Herbst mehrmals auf die STS AG zugegangen und aktuell ist ein Termin fixiert für Verhandlungen. Es liegt auf der Hand, die STS AG kann uns eine vernünftige Zusammenarbeit ermöglichen, damit wir ein noch zu definierendes Angebot umsetzen können. Wir erhoffen uns ebenfalls, dass die STS AG sich bewusst ist, dass die Maternité Alpine gut verankert ist in der Region. Ihr Angebot kann entweder Vertrauen schaffen oder eine weitere Empörung auslösen.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich von Politik und Bevölkerung, um das Geburtshaus zu erhalten?
Wir brauchen eine verlässliche Zusammenarbeit mit dem Spital Zweisimmen. In der Vergangenheit wurden wir oft zurückgebunden, mit unverständlichen Entscheiden, die eine konstruktive Zusammenarbeit zum Teil verunmöglichte. Die Bevölkerung muss sich bewusst sein, dass ohne die Maternité Alpine nicht nur die stationären Geburten, sondern auch die ambulanten Dienstleistungen wegfallen. Wer diese dann in Zukunft erbringen würde, ist unklar. Die Politik muss endlich einsehen, dass eine wohnortsnahe Grundversorgung nicht mit den schon jetzt überlasteten Dienstleistern in den Zentren abgedeckt werden kann. Eine Tourismusregion wie unsere hat Bedürfnisse, die abzudecken sind. Eine Region mit 40’000 bis 50’000 Personen in der Hochsaison und mit über zwei Millionen Übernachtungen zählt in dieser Zeit mehr Leute als die Stadt Thun. Welche Vertreter:innen der Stadt Thun im Grossen Rat würden der Bevölkerung und den Gästen der Stadt Thun zumuten, dass sie in Zukunft für sämtliche chirurgischen Eingriffe und Geburten entweder nach Aarberg oder Biel «reisen» müssten? Wohl keiner. Wir brauchen keine Luxusvariante, aber eine bedarfsgerechte Versorgung für jung und alt, für Einheimische und Gäste, die dem Begriff wohnortsnahe und integrierte Versorgung gerecht wird.
Ihr aktuelles persönliches Fazit zur Situation?
Unheilige Allianzen, regionale wie kantonale, haben unsere Region in eine desolate Situation gebracht. Die Finanzkontrolle hat – aus meiner Sicht – ihre Kompetenz überschritten, indem sie ihren Bericht zur Variante Medaxo voreilig der STS AG zugespielt hat. Nun müssen wir einen weiteren Abbau in den Dienstleistungen am Spital Zweisimmen «ausbaden». Wer bezahlt nun den Preis? Die Bevölkerung und die Gäste, die mit Zusatzkosten im Bereich von Transporten zur Kasse gebeten werden. Die Hausarztmedizin, die als ambulante Dienstleistung eingestuft ist, wird dann weder Aufgabe der STS AG noch die vom Kanton sein, sondern die der Region. Somit werden wir in Zukunft weitere Finanzen für unsere Grundversorgung freigeben müssen. Fazit: Die STS AG und der Kanton sparen und wir setzen kommunale Steuergelder für eine ausgedünnte Versorgung ein.
Anne Speiser-Niess ist Präsidentin der Genossenschaft Geburtshaus Maternité Alpine, sitzt für die SVP im Grossen Rat und ist Gemeinderätin von Zweisimmen, zuständig für das Ressort Bildung.
Das Interview wurde schriftlich geführt.