Goodbye Christoph Müller – welcome Daniel Hope
09.09.2025 Kultur«Heute Nacht schliesst sich der Kreis.» Schon als kleiner Junge habe er die ersten Konzerte in der Kirche Saanen verfolgt und nun, rund 50 Jahre später, dürfe er die Leitung des Menuhin Festivals Gstaad übernehmen. So eröffnete der 53-jährige ...
«Heute Nacht schliesst sich der Kreis.» Schon als kleiner Junge habe er die ersten Konzerte in der Kirche Saanen verfolgt und nun, rund 50 Jahre später, dürfe er die Leitung des Menuhin Festivals Gstaad übernehmen. So eröffnete der 53-jährige Weltklasseviolinist und zukünftige Intendant des Menuhin Festivals Gstaad, Daniel Hope, den Abschlussabend des diesjährigen Festivals und präsentierte den Zuhörenden im Anschluss ein stimmungsvolles, grenzenüberschreitendes Konzert.
TINA DOSOT
Hope hätte seinen eigenen Stil, der aus der Bewunderung zum Menschen und Musiker Yehudi Menuhin und seinem Schaffen gewachsen ist, nicht besser präsentieren können. Darüber hinaus kreierte er eine Atmosphäre, in der man den Spirit des 1999 verstorbenen Festivalgründers deutlich spüren konnte.
Es war ganz offensichtlich nicht Daniel Hopes Ziel, die herausragende Leistung des nach 24 Jahren scheidenden Intendanten Christoph Müller in irgendeiner Form zu schmälern – im Gegenteil. Respekt und Bewunderung für Müllers grossartige Arbeit brachte er gleich zu Beginn zum Ausdruck. Vielmehr liess er das Publikum während des ganzen Konzerts von ganzem Herzen seine eigene, ehrliche Intention für diesen «Job» spüren. Nur schon, weil er mit dem Festivalgründer aufwachsen durfte, kann Hope seinen Spirit weiterleben und dadurch das Festival bereichern.
Komplettes Crossover
Deshalb also zum Einstieg ein Konzert ohne klassisches Konzept. Kein Programmblatt mit genauer Beschreibung der Stücke. Kein durchgetakteter Ablauf. Der in einem Interview als «Bühnenmensch» bezeichnete Hope präsentierte das Programm mit seiner einnehmenden Persönlichkeit selbst – und gab dem Publikum damit gleich Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen. Der Ausnahmeviolinist präsentierte aber auch direkt, wie er Musik wohl am liebsten versteht. Crossover im Stil, Crossover über Landesgrenzen und über Mentalitäten. Menuhin hätte den Abend wohl geliebt!
Weltklasseunterstützung – jeder auf seinem Gebiet
Vier Musikerfreunde halfen Hope dabei, eine grenzenlose Verbindung von Klassik, Tango und Jazz zu schaffen und die Übergänge so weich zu gestalten, dass man sich konzentrieren musste, das Crossover überhaupt zu erfassen: Der herausragende Jazzgitarrist Joscho Stephan, der Kontrabassist Stéphane Logerot – heute bekannt durch sein einzigartiges Konzept der Verbindung zwischen Klassik, Pop und Weltmusik –, Pianist Jacques Ammon, den eine enge künstlerische Zusammenarbeit mit Daniel Hope verbindet und – last, but not least – der argentinische Bandoneonvirtuose Omar Massa, führender Botschafter des modernen «Tango Nuevo».
Von Bach bis Chick Corea
Hope informierte das Publikum jeweils selbst, wohin die Reise ging. Kaum zu glauben, welche Kombinationen gewählt wurden. Bachs für Cembalo bearbeitetes Oboenkonzert von Marcello führte zum «Odessa Bulgar», einem Lied aus der ukrainischen Heimat der Mutter Menuhins, oder BartÓks Divertimento für Streichorchester ging fliessend in seine rumänischen Volkstänze über. Dies war aber nicht genug.
Die Verbindung Menuhins zur spanischen Königin Sofia, woraus sich der Kontakt mit der spanischen Flamencotänzerin Blanca de las Heras ergab, motivierten ihn zur Kombination von Flamenco mit Chick Coreas Song «Spain» – dies mit einem beeindruckenden Gitarrensolo von Joscho Stephan.
Für Daniel Hope ist die Musik von Bach der Inbegriff des Friedens und Irland eine Quelle der Tiefe und Menschlichkeit, wo er seinen Wurzeln folgt. Zwei Welten prallten buchstäblich aufeinander, als er deswegen den Bogen schlug vom Solo mit Bach pur zu «Danny Boy», dem Song des amerikanischen Musikers Keith Jarrett – mit herausragender Unterstützung von Pianist Jacques Ammon. Das Publikum war so fasziniert, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
«Wer sich abgrenzt, verpasst die Begegnung und das Leben»
Dieses Zitat Menuhins kam ihm in den Sinn, als er Joseph Kosmas «Les feuilles mortes» mit Swing von Duke Ellington kombinierte. Der farbige Ellington und Menuhin hatten um 1950 zusammen musiziert – mit Absicht! Denn damals war Amerika voller Vorurteile.
Soli von Gitarrist Joscho Stephan und vom Bandoneonvirtuosen Omar Massa, aber vor allem des Kontrabassisten Stéphane Logerot liessen ein umwerfendes Stück entstehen! Ganz pur auch die Interpretation von Hope, Ammon und Massa zu Carlos Gardels bekanntem Tango «Por una cabeza».
Hope und seine Freunde beenden ihr eindrucksvolles Konzert mit drei Stücken des argentinischen Komponisten Astor Piazzolla, der auch selbst schon am Gstaad Menuhin Festival konzertiert hat. Das bekannte «Escualo» war nur eines davon.
«Wer sich abgrenzt, verpasst die Begegnung und das Leben», habe Menuhin gesagt. Das Crossover war offensichtlich beim Publikum angekommen. Die fünf Ausnahmemusiker hatten eine ganz besondere Stimmung und Atmosphäre erzeugt und tosender, nicht endender Applaus liess die Kirche vibrieren!
Ein Geschenk für Müller à la Hope
Zum Abschied beschenkte Daniel Hope den scheidenden Christoph Müller mit einer persönlichen Premiere. «Etwas, was Christoph in 24 Jahren nie gemacht hat», sagte Hope, und holte den Intendanten – und Cellisten – Christoph Müller auf die Bühne, damit er einmal selbst vor dem Menuhin-Festival-Publikum musiziert. Omar Massa hatte eigens für den Abend das Stück «Tango Legacy» komponiert, dass der Beschenkte mit den Musikern uraufführte.
Christoph Müller – eine Ära geht zu Ende
Der Verwaltungsratspräsident des Gstaad Menuhin Festival & Academy, Aldo Kropf, dankte Christoph Müller für 24 Jahre Nachhaltigkeit. Die Besucherzahlen konnten durch sein Wirken in dieser Zeit fast verdoppelt werden – in diesem Jahr stehe mit knapp 28’000 Besuchenden gar ein Rekord an (siehe Kasten). Er habe über das Festival hinaus unter anderem neue Formate geschaffen und die Betriebswirtschaft gesteigert, so Kropf. Er habe aber auch ein Händchen für junge Musiker gehabt und Stars wie Khatia Buniatishvili schon vor Jahren nach Gstaad geholt, die heute als Weltstars zurückkehren. Auch die Gstaad Conducting Academy habe inzwischen einen weltweiten Ruf.
Christoph Müller konterte, dass dies alles nicht möglich gewesen wäre ohne sein ausgezeichnetes Team und gab den Dank weiter. Er habe das «Produkt designt», aber zur Ausführung brauche es eine gute Mannschaft. Er dankte dem ganzen «Festivalunternehmen», wie er es nannte. Darüber hinaus aber auch den Musizierenden, die das Festival durch ihr Mitwirken weiterentwickelt hätten, dem Publikum, besonders auch dem Verein der Festivalfreunde, den Mäzenen, Stiftungen und Sponsoren, ohne deren Unterstützung vieles nicht möglich wäre.
Er verlasse Gstaad mit einem positiven Gefühl und werde das Festival immer in seinem Herzen tragen.
DAS MENUHIN FESTIVAL GSTAAD SCHLIESST MIT BESUCHERREKORD AB
«In den vergangenen sieben Wochen zog das Festival 27’800 Besuchende an – ein Allzeitrekord», zieht das Gstaad Menuhin Festival Bilanz. Und weiter: «Diese fanden sich nicht nur im Festivalzelt Gstaad oder in den historischen Kirchen der Region ein, sondern auch auf dem Gstaader Hausberg Eggli, wo unter dem Titel ‹Mountain Spirit› eine vierteilige Serie mit Klassik in all ihren Formen bis zu Elektro-Beats zu erleben war.»
Insgesamt fanden mehr als 60 Konzerte statt. Einschliesslich der fünf Meisterkurse der Gstaad Academy gingen rund 1200 Musikerinnen und Musiker zu Werke. Hinzu kam ein dichtes Programm für Kinder, Familien und Amateurmusizierende mit rund 30 Anlässen. «Unser grosser Dank gilt dem treuen Publikum. Es begleitet uns seit Jahren und verleiht dem Festival den familiären Charakter, den es ausmacht», resümiert der neu ins Amt gewählte Verwaltungsratspräsident Richard Müller. «Ganz im Sinn und Geist seines Gründers Yehudi Menuhin, der im Sommer 1957 aus Freude am Saanenland mit dem damaligen Kurdirektor Paul Valentin spontan ein Festival zum Musizieren unter Freunden ins Leben rief», ergänzt er. Nächstes Jahr feiert das Festival sein 70-Jahre-Jubiläum.
Start in eine neue Zukunft
«Ich freue mich riesig, gemeinsam mit meiner Familie nach Gstaad zurückzukehren», so der neue künstlerische Leiter des Gstaad Menuhin Festivals, Daniel Hope, und weiter: «Nach beinahe einem Vierteljahrhundert unter der Leitung von Christoph Müller, dem ich für seinen langen und engagierten Einsatz herzlich danke, darf ich das Festival in ein neues Kapitel führen: in die Saison seines 70-Jahre-Jubiläums. Dieses besondere Jahr markiert nicht nur einen Moment des Rückblicks, sondern vor allem auch des Aufbruchs.»
Auf Anfrage des «Anzeigers von Saanen» erklärte Daniel Hope, dass er seine konkreten Pläne für das Gstaad Menuhin Festival Mitte Dezember vorstellen wird.
PD/JSC
DANIEL HOPE – FAST EIN SAANER
Hope wurde am 17. August 1973 in Südafrika geboren. Er ist irisch-deutscher Nationalität und in England aufgewachsen. Er ist der Sohn der Musikmanagerin Eleanor Hope und des Schriftstellers Christopher Hope. Weil Eleanor die Verwandtschaft mit ihrem irischen Grossvater nachweisen konnte, gelang es der aus Südafrika geflohenen und damit staatenlosen Familie, die irische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Eleanor Hope konnte so ausserdem 1975 die Stelle als persönliche Assistentin Yehudi Menuhins in London annehmen. Hopes Mutter war Menuhins Managerin und von 1980 bis 1996 ausserdem die Leiterin des Menuhin Festivals Gstaad. Daniel Hope spielte schon als Kleinkind mit den Enkeln Menuhins und erlebte Besuche von berühmten Musikern bei Menuhin. Jeden Sommer, während des Festivals, begleitete die Familie Eleanor Hope in Menuhins Chalet nach Gstaad, wo Hope auch ihr Büro hatte. «Ich sass bei jedem Konzert an einem winzigen Platz ganz hinten in der Kirche, bis ich da nicht mehr hineinpasste», erinnerte sich Hope. Mit sechs Jahren begann Daniel Hope seine Ausbildung in der Yehudi Menuhin School. Mit elf Jahren durfte er für die Musiker des Festivals in Gstaad «umblättern», bevor er dort schliesslich im August 1992 selbst sein offizielles Debut gab. In den folgenden Jahren traten Menuhin als Dirigent und Hope als Solist in mehr als 60 gemeinsamen Konzerten auf. «Gstaad ist so sehr Bestandteil meiner musikalischen DNA, dass es keine Rolle spielt, wo ich mich auf der Welt befinde. Musik und Berner Oberland – dies ist für mich die perfekte Symbiose», so Hope in einem Interview.
TDO