Welche Wege soll das Saanenland einschlagen?
03.04.2023 RegionDie wirtschaftlichen Herausforderungen im Saanenland werden immer zahlreicher und vielfältiger. Jeder Branchenverein arbeitet daran, für jedes Problem eine Lösung auszuarbeiten, so auch die politischen Behörden – und dies jeder in seinem Kämmerchen. Diese ...
Die wirtschaftlichen Herausforderungen im Saanenland werden immer zahlreicher und vielfältiger. Jeder Branchenverein arbeitet daran, für jedes Problem eine Lösung auszuarbeiten, so auch die politischen Behörden – und dies jeder in seinem Kämmerchen. Diese Praxis soll sich nun mit dem Projekt «Standortentwicklung Saanenland» ändern: Alle Akteure haben sich an einen Tisch gesetzt, um gemeinsam eine Strategie für die Region zu entwickeln, unterstützt durch die externe Expertin Planval AG. Diese Woche ist die Onlineumfrage innerhalb der Bevölkerung gestartet. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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Standortentwicklung: Was darf man sich unter diesem Begriff vorstellen?
Laut Mirco Nietlisbach von der Planval AG – dem externen Projektbüro, welches das Saanenland in seinem Prozess begleitet – geht es um Folgendes: Innerhalb einer Region gibt es viele verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Zielsetzungen, wie die Landwirtschaft, den Tourismus, das Gewerbe und mehr. Alle arbeiten an ihren Zielen und nehmen ihre Verantwortung gegenüber ihren Interessengruppen war – jede Vereinigung, jeder Verband, jedeOrganisation und Behörde für sich allein. Bei einer Standortentwicklung setzen sich alle Akteure zusammen und machen eine Bestandesaufnahme über die Interessen und Projekte. Ziel ist es, Berührungspunkte herauszufinden, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden und mit einer gemeinsamen Schlagkraft mehr zu erreichen. In diesem Prozess wird eine Strategie entwickelt, die sich die zentrale Frage stellt: Wo hin will die Region Saanenland gehen? Welche Massnahmen müssen umgesetzt werden, um das gesteckte Ziel zu erreichen? Und welche Akteure übernehmen welche Verantwortlichkeiten, um Projekte umzusetzen und um das Umgesetzte wiederum zu kontrollieren? Dabei werde das Rad nicht neu erfunden, so Nietlisbach. «Wir wollen auf Bestehendem aufbauen: Schon heute engagieren sich zahlreiche Personen tagtäglich für das Saanenland. Bringen wir die verschiedenen Intentionen und durchdachten Ziele zusammen, finden wir eine gemeinsame Stossrichtung, die schlagkräftig ist.»
Wieso braucht das Saanenland eine Standortentwicklung?
«Genau aus dem oben erwähnten Grund: Heute ist aus jeder Branche ein enormes Engangement zu spüren», sagt Toni von Grünigen, Gemeindepräsident von Saanen. «Wir haben zahlreiche Akteure, die sehr viel für die Region leisten. Es ist eine aussergewöhnliche Motivation spürbar, denn der Wille ist da, etwas zu verändern. Das Problem ist, dass jeder einzelne Projekte initiiert, die aber alle gemeinsam das gleiche Ziel verfolgen. Die Zusammenarbeit und die spätere gemeinsame Umsetzung sollen deshalb durch eine Standortentwicklungsstrategie gefördert werden.» Mirco Nietlisbach bestätigt als aussenstehender Berater: «Als wir zusammentrugen, welche Organisation welche Ziele verfolgen, sendeten uns die einzelnen Akteure über 100 Dokumente mit Projekten, Plänen und Massnahmen zu. Es war überwältigend.»
Dem Saanenland als wirtschaftliche Region gehe es per se gut, man habe viel erreicht in den letzten Jahrzehnten, so von Grünigen. «Nun ist es unser Ziel, dass wir dies langfristig aufrechterhalten können und die anstehenden Herausforderungen meistern.»
Wer steht hinter dem Vorhaben Standortentwicklung Saanenland?
Die Gemeinde Saanen hat 2018 das Gemeinderätliche Kontaktgremium Volkswirtschaft (GKV) ins Leben gerufen. Ziel: Die wichtigsten volkswirtschaftlichen Akteure aus den einzelnen Branchenvereinigungen der Gemeinde Saanen, Gsteig und Lauenen zusammenschliessen. Im GKV sind der Gewerbeverein Saanenland, Gstaad Saanenland Tourismus, der Hotelierverein Gstaad-Saanenland und die Landwirtschaftliche Vereinigung Saanenland vertreten. Zudem gibt es die Möglichkeit, weitere Akteure als Gäste miteinzubeziehen, wie aktuell die Gemeinden Gsteig und Lauenen sowie die Bergbahnen Destination Gstaad. «Das GKV verfolgt das Ziel, auf strategischer Ebene die Kräfte zu bündeln. Gemeinsam arbeiten wir nun an einer gemeinsamen Zielsetzung für die Region und erarbeiten eine passende Strategie dazu», erklärt Toni von Grünigen. Am Ende soll eine verbindliche Standortentwicklungsstrategie entstehen, dies mit einer Governance-Struktur.
Was ist eine Governance-Struktur?
Governance will die Führung einer Organisation bzw. einer politischen oder gesellschaftlichen Einheit im Sinne einer besseren Zielerreichung verändern. Einfacher gesagt: Sind einmal die Themenbereiche und die Unterziele innerhalb der Strategie festgelegt, wird gemäss Mirco Nietlisbach von der Planval AG jeweils ein Akteur bestimmt, der sich um die Umsetzung der Pläne kümmert und das Umgesetzte auch in einem fortlaufenden Prozess kontrolliert.
Welche Themenbereiche deckt die Standortentwicklung ab?
Dies ist noch bewusst offen, erklärt Toni von Grünigen. «Der Begriff Standortentwicklung umfasst so vieles. Durch die Gespräche mit den Projektmitgliedern und der kommenden Umfrage wollen wir erfahren, welche Themen koordiniert angegangen werden sollen. Die Auswertung wird zeigen, wo der Schuh drückt.» Klar sei, dass die Wichtigkeit der Themen auf regionaler Ebene gegeben sein muss, beispielsweise in den Bereichen Wohnen, Bildung, Gesundheit, Ökologie, Energie und so weiter. «Wieso sollte jeder Einzelne ein Problem angehen, wenn wir vielleicht gemeinsam viel mehr erreichen können?», so von Grünigen.
Ist die Standortentwicklung ein langfristiges Modell?
Ja. Es ist eine Strategie, die sich etablieren muss und in der die Themen und Ziele immer wieder durch den abwechselnden Prozess von Umsetzen und Kontrollieren angepasst werden müssen. «Wird eine Massnahme getroffen, kann es drei bis vier Jahre dauern, bis sich eine erste Veränderung zeigt. Und um eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, kann der Prozess zehn bis 15 Jahre lang dauern», erklärt Mirco Nietlisbach. Deshalb sei die Governance so wichtig, also die Akteure, die verantwortungsbewusst den Prozess begleiten und beobachten. Die GKV hat das Projekt bei der Standortförderung Kanton Bern eingegeben und einen Antrag für eine finanzielle Unterstützung durch NRP-Gelder (Neue Regionalpolitik) in der Höhe von 80’000 Franken eingereicht.
Inwiefern unterscheidet sich die Standortstrategie Saanenland vom Projekt Zukunft Saanen?
«Beim Projekt Zukunft Saanen wollten wir innert kürzester Zeit konkrete Projekte anstossen und umsetzen, dies gemeinsam mit der Bevölkerung», erklärt Toni von Grünigen. Bei der Standortentwicklung handle es sich – wie bereits erwähnt – um eine langfristige Strategie, mit der die Region nachhaltig weiterentwickelt werden soll.
Der Startschuss macht nun eine Onlineumfrage, die bis zum 10. April läuft. Wer kann daran teilnehmen und wie?
«Alle», sagt Toni von Grünigen. «Jede und jeder aus dem Saanenland kann den Fragebogen ausfüllen. Ob Gast, Mitarbeitende oder Ortsansässige, alle sind eingeladen teilzunehmen. Umso mehr Antworten und Meinungen wir haben, desto besser können wir die Interessen, Chancen und Herausforderungen in unserer Region erfassen.» Die Teilnahme ist kostenlos und endet am 10. April. Anschliessend wir das GKV und die Planval AG die Eingaben auswerten und eine erste Bestandesaufnahme präsentieren. «Wir hoffen auf eine zahlreiche Beteiligung. Jede und jeder hat nun die Möglichkeit, die Region aktiv mitzugestalten», so von Grünigen.
Hier geht es zur Umfrage auf Deutsch, Englisch und Französisch.
Jonas Wanzenried, Präsident des Gewerbevereins Saanenland
«Der Gemeinderat wird heute aus Gesellschaft und Wirtschaft mit Anfragen und Forderungen überhäuft. In vielen Bereichen sind ihm aber die Hände gebunden, weil die Anliegen das Zusammenspiel vieler Bereiche und Akteure erfordern. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Strategie ausarbeiten, in der wir alle zusammen zielgerichtet unsere Region gestalten. Wir müssen Prioritäten und Verantwortlichkeiten schaffen sowie längerfristig denken und handeln. Nur dann entsteht eine Erleichterung bei den Herausforderungen, die zurzeit vorherrschen. Die Standortentwicklungsstrategie ist eine wichtige Ergänzung zur touristischen Destinationsstrategie. Wir müssen uns der essenziellen Frage stellen: Wo wollen wir überhaupt hin mit dem Saanenland? Wollen wir in 20 Jahren ein schickes grosses Seniorenheim sein oder eine pulsierende Region mit Familien? Bleiben wir bei der Hotellerie nur im Luxussegment oder bauen wir den Dreisternehotel-Markt aus, um den Mittelstand in unserer Region willkommen zu heissen? Helfen wir den Einheimischen in ihrer Heimat zu bleiben, indem wir Lösungen zur Entspannung der Wohnungsknappheit mit bezahlbaren Wohnungen erarbeiten? Die grossen Brandherde kennen wir. Es ist deshalb wichtig, dass die Bevölkerung an der Umfrage teilnimmt, damit sich unser Bild verschärft und wir eine Gesamtsicht auf die Chancen und Herausforderungen unserer Region bekommen.»
David Perreten, Präsident Landwirtschaftliche Vereinigung Saanenland
«Es ist wichtig, dass die regionalen Akteure stärker miteinander sprechen und eine gemeinsame Vision entwickeln. Zudem erhoffen wir uns durch das Projekt, dass die Landwirtschaft eine lautere Stimme bekommt und stärker in die Entwicklung der Region eingebunden wird.»
Ruth Oehrli-Pekoll, Gemeinde- und Gemeinderatspräsidentin von Lauenen
«Durch die geografische Lage des Saanenlands ist es wichtig, dass wir zusammen eine Strategie für die Standortentwicklung formulieren. Schon heute arbeiten wir regionsübergreifend zusammen, sei es im Tourismus, Sport oder der Kultur. Es macht deshalb Sinn, wenn wir gemeinsam die wirtschaftlichen Herausforderungen anpacken und die Chancen nutzen. Es besteht bereits eine gute Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, weshalb es wichtig ist, die Interessen weiterhin gemeinsam nach aussen zu vertreten. Denn nur zusammen sind wir stark.»
Patricia Matti, Gemeinderätin von Saanen
«Wir befinden uns in Zeiten des Umbruchs. Daher müssen wir uns neue Gedanken machen, wie es mit dem ganzen Saanenland in Zukunft weitergehen soll. Wir sollten die Symbiosen wieder verstärkt nutzen und zu einer nachhaltigen Region werden, in welcher sich Einheimische und Gäste nach wie vor wohl fühlen.»