Stellenmeldepflicht ist den Bauunternehmen weniger im Weg – vorerst
13.04.2023 WirtschaftUntersteht eine Berufsart der Meldepflicht, müssen Firmen offene Stellen den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) melden. Die Baubranche war besonders davon betroffen, bis zu diesem Jahr: Ein beachtlicher Teil der Bauberufe ist aus der Liste für die Stellenmeldepflicht gefallen – vorerst. Denn sollte im 2023 die Arbeitslosigkeit bei bestimmten Berufsarten wieder zunehmen, werden sie wieder aufgelistet. Wir haben unter anderem bei Jonas Wanzenried, Bauunternehmer und Präsident des Gewerbevereins, nachgefragt, inwiefern diese Änderung das Baugewerbe betrifft und wieso die Bekämpfung der saisonalen Arbeitslosigkeit Abhilfe schaffen könnte. Ein Blick über die Kantonsgrenze zeigt: Der Kanton Wallis hat dies erkannt und reagiert.
BERICHT: JOCELYNE PAGE
VISUALISIERUNGEN: SUSANNE KAISER
Was ist die Stellenmeldepflicht?
2014 hat das Schweizer Stimmvolk die Initiative «Gegen Masseneinwanderung» angenommen. Das Parlament hat in der Folge eine Stellenmeldepflicht für Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit beschlossen, der Bundesrat hat 2018 einen Schwellenwert von fünf Prozent Arbeitslosigkeit bestimmt. Je nachdem, wie sich die Wirtschaft entwickelt, landen gewisse Berufe auf der Liste und manche nicht. Ein Beispiel: Herrscht bei den Kranführern schweizweit eine Arbeitslosigkeit von fünf Prozent und mehr, wird diese Berufsart stellenmeldepflichtig. Die Arbeitgeber sind somit verpflichtet, die Stellen beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zu melden. Das RAV sucht passende Dossiers heraus und leitet sie den Arbeitgebern weiter. Diese wiederum müssen zurückmelden, welche Kandidaten sie zu einem Bewerbungsgespräch einladen und – am Ende des Bewerbungsverfahrens – ob die Stellen vergeben wurden.
Für gemeldete Stellen gilt zudem ein Publikationsverbot von fünf Arbeitstagen, beginnend ab Eingang der Stellenmeldung beim RAV: Stelleninserate für meldepflichtige Berufe dürfen erst nach dieser Sperrfrist veröffentlicht werden. Grund: der Inländervorrang. «Das zentrale Element der Stellenmeldepflicht ist der Informationsvorsprung. Stellensuchende haben dadurch die Möglichkeit, sich frühzeitig und aus eigener Initiative auf gemeldete Stellen zu bewerben, bevor diese ausgeschrieben werden», sagt Fabian Maienfisch, Mediensprecher des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), auf Anfrage.
Was hat sich 2023 für Bauunternehmen geändert?
Das Seco publiziert für jedes Jahr die Liste der stellenmeldepflichtigen Berufsarten, so auch für das laufende Jahr. Ein Teil der noch im 2022 aufgelisteten Bauberufe ist rausgefallen, beispielsweise Strassenbauer, Tunnelfacharbeiter, Gleisbauer, Kranführer und Baumaschinenführer. Denn in diesen Berufsarten ist die Arbeitslosigkeit unter fünf Prozent gefallen und hat damit den Schwellenwert unterschritten.
Wie fallen die Reaktionen beim Gewerbe aus?
Positiv. Wir haben uns bei Jonas Wanzenried, CEO des Bauunternehmens Bauwerk AG in Gstaad und Präsident des Gewerbevereins Saanenland, erkundigt. «Es bedeutet für die Unternehmen eine gewisse Erleichterung bei der Fachkräftesuche. Sie können freie Stellen unkompliziert öffentlich ausschreiben, ohne den bürokratischen Weg übers RAV», schätzt Wanzenried die Entwicklung ein. Auch der Schweizerische Baumeisterverband zeigte sich in einer Medienmitteilung vergangenen Jahres zufrieden: Er nehme «mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Liste der meldepflichtigen Berufsarten 2023 endlich auf ein praxistaugliches Mass zusammengekürzt» wurde, schreibt er.
Trotz weniger stellenmeldepflichtigen Bauberufen stört sich das Baugewerbe immer noch an der Stellenmeldepflicht. Wieso?
«Am Ende ist es ein reiner administrativer Aufwand. Die meisten Dossiers, die wir vom RAV zugesendet bekommen, senden wir wieder zurück, da sie nicht den Anforderungen unserer ausgeschriebenen Stellen entsprechen», erklärt Jonas Wanzenried auf Anfrage.
Dem Schweizerischen Baumeisterverband sei die Datenerfassung ein Dorn im Auge, so schreibt er, dass kein Unterschied gemacht werde zwischen Fachkräften mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis EFZ, Fachkräften mit Eidgenössischem Berufsattest EBA und unqualifizierten Mitarbeitenden ohne Kompetenznachweis. «Letztere Gruppe sorgt über alle Branchen hinweg mit ihrer überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit dafür, dass die ganze Berufsart den Stellenmeldepflicht-Schwellenwert von fünf Prozent überschreitet und somit selbst Berufe mit nachweislichem Fachkräftemangel meldepflichtig werden.»
Aus Sicht des Baumeisterverbands wäre die Erhöhung des Schwellenwerts für die gesamtschweizerische Arbeitslosenquote von fünf auf acht Prozent die griffigste Massnahme. «Dies liesse sich bereits durch eine Anpassung auf Stufe Verordnung statt Gesetz erreichen, was schnell umzusetzen wäre», so der Verband.
Was sagt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zur Kritik vom Gewerbeverein und dem Baumeisterverband?
Auf Anfrage schreibt Fabian Maienfisch, Seco-Mediensprecher, dass die administrative Belastung für die Unternehmen durch verschiedene Massnahmen in Grenzen gehalten werden konnte. Der gesamte Stellenmeldeprozess könne online durchgeführt werden und die Stellenmeldung dauere nur wenige Minuten. Arbeitgeber, die eine meldepflichtige Stelle neu besetzen möchten, könnten sich zudem kostenlos auf der Stellenplattform Job-Room registrieren – und müssten dies nur einmal tun. «So können sie problemlos unter den Stellensuchenden in der ganzen Schweiz nach geeigneten Personen suchen. Wenn die Suche erfolgreich ist, müssen die Unternehmen die Stelle nicht mehr ausschreiben», so Maienfisch. Eine Umfrage bei den Arbeitgebern des Forschungsinstituts LINK 2021 habe zudem ergeben, dass mehr Unternehmen die Dienstleistungen der RAV nutzten und gleichzeitig die Zufriedenheit mit den RAV gestiegen sei. So würden die Unternehmen vermehrt mit dem RAV zusammenarbeiten. «Acht von zehn RAV-Kunden sind sehr oder ziemlich zufrieden.»
Zur Kritik vom Baumeisterverband, dass zwischen den Fachpersonen mit verschiedenen Ausbildungsstatus kein Unterschied gemacht werde, meint das Seco: Bereits in der Einführungsphase der Stellenmeldepflicht habe das Bundesamt für Statistik (BFS) die bisher gültige Schweizer Berufsnomenklatur 2000 (SBN 2000) modernisiert. «Mit der neuen CH-ISCO-19 können meldepflichtige und nicht meldepflichtige Berufe besser nach Qualifikationsniveaus unterschieden werden. Sie trägt seit 2020 dazu bei, die meldepflichtigen Berufsarten noch genauer auf die stellensuchenden Personen abzustimmen», so Maienfisch.
Zur Forderung, den Schwellenwert wieder auf acht Prozent anzuheben, antwortet das Seco, dass seit der Einführung der Stellenmeldepflicht die Schwelle von fünf Prozent jederzeit deutlich über der durchschnittlichen Arbeitslosenquote lag. Damit hätten sich die meldepflichtigen Stellen im Sinne des Gesetzgebers durchgehend in Berufsarten mit spürbar überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit befunden. «Ein höherer Schwellenwert würde die Reichweite der Stellenmeldepflicht und damit die Auswahl an freien Stellen für die Stellensuchenden reduzieren – was nicht im Sinne des Gesetzgebers wäre», fügt Maienfisch an und betont, dass die Meldung offener Stellen beim RAV für Arbeitgeber vielfach von Vorteil sein könne, da sie die kostenlosen Vermittlungsleistungen der öffentlichen Arbeitsvermittlung in Anspruch nehmen können.
Lösungsansätze: Was das Saanenland will…
Stellenmeldepflicht hin oder her: Mehrere Unternehmen im Saanenland sehen sich mit dem aktuellen Fachkräftemangel konfrontiert. «Grundsätzlich kritisiere ich die Absichten der Stellenmeldepflicht nicht, den Inländern einen Vorteil zu verschaffen. Es war der Wille des Schweizer Stimmvolkes. Jedoch funktioniert das System in der Realität nicht, da es oftmals Berufsarten betrifft, die zum grössten Teil von ausländischen Fachkräften ausgeführt werden, die saisonal in die Schweiz kommen», sagt Jonas Wanzenried. Die Stellenmeldepflicht trage auch der saisonalen Arbeitslosigkeit nicht Rechnung. Bricht der Winter an, endet für viele die Beschäftigung in Branchen wie beispielsweise dem Bausektor und der Land- und teilweise Forstwirtschaft.
Für Jonas Wanzenried ist klar: «Wir müssen eine globale Denkweise entwickeln und das schaffen wir nur, wenn alle Akteure gemeinsam miteinander sprechen und sich Lösungen überlegen.» Sein Ansatz: Eine saisonale Arbeitslosigkeit gar nicht erst geschehen lassen. «Wir haben die Bergbahnen, das Gastgewerbe, den Detailhandel und die Skischulen im Winter, die in der Hochsaison viel Personal brauchen. Vielleicht könnte jemand vom Baupersonal während der Wintersaison dort eingegliedert werden», so der Vorschlag von Wanzenried. Alle Seiten würden profitieren: Die ebenfalls vom Fachkräftemangel gezeichneten Branchen erhalten Personal, die saisonalen Arbeitslosen erhalten eine Beschäftigung, die Arbeitslosenversicherung wird weniger belastet und die Wohnraumproblematik entspannt sich, indem diese Personen das ganze Jahr einer Beschäftigung nachgehen. «Wir müssten allerdings gemeinsam mit dem Amt für Arbeitslosenversicherung und dem RAV eine Lösung ausarbeiten oder bereits vorhandene Ansätze besser umsetzen, damit eine Saisonstelle für die Leute attraktiv und lukrativ ist. Sollten sie von der Arbeitslosenkasse mehr Geld erhalten, als wenn sie einer Arbeit nachgehen, ist der Anreiz nicht gegeben.» Der Gewerbeverband sei mit verschiedenen Akteuren im Gespräch, um ungenutzte Potenziale zu erkennen und Synergien zu nutzen. Erste Kontakte mit dem RAV hätten bereits stattgefunden, so Wanzenried.
… und das Wallis schon hat
Das Rad müsste nicht neu erfunden werden, denn solche Erwerbskombinationsmodelle gibt es bereits, beispielsweise bei den Nachbarn «ennet» der Kantonsgrenze. Die Dienststelle für Industrie, Handel und Arbeit (DIHA) des Kantons Wallis bietet durch seine Sektion «Logistik arbeitsmarktliche Massnahmen (LAM)» seit mehr als 25 Jahren Erwerbskombinationskurse für saisonale Stellensuchende an. Die Kurse werden innerhalb der Strukturen der Arbeitslosenversicherung (ALV) organisiert.
«Die Anregung zur Erwerbskombination bezweckt vor allem, die Stellensuchenden zu motivieren, damit sie während der Zwischensaison eine Tätigkeit ausserhalb des angestammten Berufes ausüben und so ihre Arbeitsmarktfähigkeit verbessern», erklärt Patrick Zurbriggen, Wirtschaftlicher Mitarbeiter bei der DIHA in Sitten, auf Anfrage hin. Die Erwerbskombination sei ferner auch ein sehr wichtiges Instrument für die Arbeitsergänzungen zwischen den Arbeitgebern.
Der Kanton Wallis bietet daher Erwerbskombinationskurse für verschiedene Berufsarten an, sei es für touristische Berufe, wie Schneesportlehrer, Seilbahnmitarbeiter, Koch, Servicemitarbeiter, Detailhandelsfachmann/-frau und Ski Man im Sportgeschäft. Aber auch qualifizierende Kurse im Strassenbau, Maurerhandwerk, Schalungsarbeiten, Leichtbau, Staplerfahren etc., können die saisonale Arbeitslosigkeit verkürzen. Dieses Angebot von fachlichen Abklärungen und Schulungen wird massgeblich von Stellensuchenden aus dem Bausektor genutzt.
Die DIHA arbeitet für diese Kurse mit verschiedensten Berufsorganisationen zusammen, wie unter anderem mit «Hotel & Gastro Formation Schweiz», mit «swiss snowsports», mit den «Walliser Seilbahnen» und dem «Walliser Baumeisterverband».
Im Hinblick auf solche Erwerbskombinations-Kurse würden die Stellensuchenden ihre Fachkenntnisse erweitern und so ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern, was sogar zu einer fixen Jahresanstellung führen könne. «Es handelt sich um eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. In Zeiten des Fachkräftemangels sind diese Kombinationen noch viel wichtiger, damit die Mitarbeiter den Arbeitgebern erhalten bleiben. Daher ist die Erwerbskombination für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und auch für die Arbeitslosenversicherung ein zweckmässiges und praxistaugliches Instrument.
Neben der Möglichkeit, sich fachlich weiterbilden zu können, gibt es für Stellensuchende weitere Anreize, um einer Erwerbskombination nachzugehen. Ja, gleich mehrere, sagt Patrick Zurbriggen. «Die Arbeitslosenversicherung bietet im Fall der Erwerbskombination eine finanzielle Unterstützung in Form von Kompensationszahlungen (Zwischenverdienst) an, wenn der Lohn tiefer ausfallen sollte als der versicherte Verdienst. Zudem würden die Stellensuchenden einen beitragspflichtigen Lohn erhalten, die Arbeitslosenversicherung laufe weiter und durch die Tätigkeit würden sie ihre Aussteuerung verhindern. Man bleibe letztendlich aktiv im Arbeitsprozess, könne eine Tagesstruktur aufrechterhalten, seine eigenen Berufskompetenzen erweitern und ein persönliches Netzwerk schaffen, welches vielleicht dann zu einer Jahresstelle führe.»
Wie sieht es im Kanton Bern aus?
Auf Anfrage, ob der Kanton Bern ähnliche Strukturen wie die Erwerbskombination im Kanton Wallis hat, antwortet das Amt für Arbeitslosenversicherung mit: «Nein, wir haben zurzeit keine spezifischen Massnahmen.» Die Möglichkeit der Arbeit auf Probe sei aber eine zielführende Gelegenheit, damit potenzielle Arbeitgeber die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber prüfen und auf diese Weise abklären könnten, ob die offene Stelle passt. «Wir erarbeiten mit jedem Stellensuchenden eine passende Bewerbungsstrategie, mit dem Ziel, eine Jahresstelle zu finden oder für die Zeit bis zum erneuten Saisonstart einen Zwischenverdienst antreten zu können.»
WUSSTEN SIE…
… dass der Bundesrat bei der Einführung 2018 einen Schwellenwert von acht Prozent bestimmte, dies für eine Übergangszeit bis Anfang 2020? «Mit dieser Lösung hat der Bundesrat dem von verschiedenen Seiten, namentlich den Kantonen, geäusserten Anliegen nach einer angemessenen Umsetzungsfrist Rechnung getragen», erklärt Fabian Maienfisch, Mediensprecher des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Die Übergangsphase habe es den Arbeitgebern und den Kantonen ermöglicht, ihre Prozesse und Ressourcen zur Bearbeitung der zu meldenden Stellen sowie ihre Zusammenarbeit an die neue Regelung anzupassen.
WUSSTEN SIE…
… dass auch Personen mit Migrationshintergrund als Inländer gelten? Wie Maienfisch angibt, profitieren nicht nur Schweizerinnen und Schweizer von der Stellenmeldepflicht, sondern auch: Personen mit einer Niederlassungsbewilligung; Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; vorläufig aufgenommene Personen und Personen, denen vorübergehender Schutz gewährt wurde und die eine Bewilligung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besitzen.
WUSSTEN SIE…
… dass Unternehmen tief in die Tasche greifen müssen, wenn sie die Stellenmeldepflicht nicht einhalten? Bei einer fahrlässigen Verletzung der Stellenmeldepflicht drohen Bussen von bis zu 40’000 Franken, wie dem Monitoringbericht 2021 zu entnehmen ist. 2021 wurden laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) 69 Strafanzeigen eingereicht.