Improtheater als Schulfach

  09.04.2024 Kultur

«Ein Fest» – so der Name des Theaterstücks, das die Theatergruppe des Gymnasiums Interlaken und Gstaad am letzten Mittwochabend im Schulhaus Ebnit präsentierte. Der Name war Programm und ich schwer beeindruckt.

JENNY STERCHI
Theater als Wahlfach? Eine gute Wahl der Theatergruppe des Gymnasiums Interlaken und Gstaad, wie ich finde. Denn ich erlebte die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler letzte Woche auf der Bühne im Schulhaus Ebnit und verliess nach gut einer Stunde nachhaltig beeindruckt und fast ein bisschen euphorisiert den Raum.

Sie brachten ein Stück auf die Bühne, das die Theaterschülerinnen und -schüler selber entwickelt hatten. «Das Fest» lebt von in sich geschlossenen Dialogen, von der scheinbaren Spontaneität und von der Unvorhersehbarkeit. Und davon, dass am Ende doch irgendwie alles einen Sinn ergibt. Ganz im Zeichen des modernen Theaters.

«Alles begann mit Tanzen», verrät Matthias Rüttimann, Lehrperson im Fach Theater und selbst ausgebildeter Schauspieler, nach der Vorstellung. Dabei stand ihnen Maja Brönnimann aus Bern fachkundig zur Seite. Sie ist Tanzlehrerin und wirkte auch beratend bei der Kostümwahl. Die Darstellerinnen und Darsteller tanzten und wirbelten so herrlich unbekümmert über die Bühne. Kaum eine Minute später spielte Tom Gantenbein in seiner Rolle als Leif Chopin auf dem Klavier, das einen zentralen Punkt im Stück einnahm. Der Fokus lag auf dem Pianisten, das übrige Ensemble nahm unhörbar seine nächsten Positionen ein. Und plötzlich drehte sich das Theatergeschehen zum Partygetümmel, das nur anhand der Schattenspiele und der donnernden Musik zu erkennen war. Und wieder sah ich diese Unbeschwertheit, bei der man denkt: «So frei denkt man nur in der Jugend.» Schade eigentlich.

Und dann setzten sich bei mir die Szenen ähnlich wie Puzzleteile zusammen zu einer Momentaufnahme eines Festes. Die Frage «Gehört das jemandem?» taucht während einer Party ebenso auf wie der Wunsch nach einer Lovestory. Telefonnummern auszutauschen als grosse Herausforderung, wenn man sich wie Anne, grandios gespielt von Nora von Allmen, weder fremde noch die eigene Telefonnummer merken kann. Und eigentlich ist sie noch immer Marius auf der Spur, für den sie offenbar schon eine ganze Weile schwärmt. Lamare Heins in der Rolle des Marius liess keinen Zweifel daran, dass er sich lieber komplett abwenden würde, als auch nur ein Wort mit Anne zu wechseln. Bis sie beide merken, dass es in ihnen sehr ähnlich aussieht, dass sie die Welt gemeinsam und ergänzend verstehen könnten.


Dieses Stück und das Ensemble haben Potenzial für die grosse Bühne, mit sorgsam ausgewählten Requisiten, einem Bühnenbild, das sparsam und dennoch voller Ausdruck ist, und sowohl überzeugten als auch überzeugenden Darstellerinnen und Darstellern.

Grosse Erwartungen, die sich so gar nicht mit denen des Gegenübers decken, begleiten uns das ganze Leben. Im Stück war es Rahels Wunsch, so schnell wie möglich zu heiraten. Und diesen Wunsch nahm ich Anastasija Puric in der Rolle jener Rahel absolut ab. Der von ihr Auserwählte, Valentin Paschold grossartig als Gabriel, verfiel ob dieser Vorstellung in eine leichte Panik. Alehandra, gespielt von Ava Lovell, entpuppte sich nicht nur als Partygirl sondern auch als Gesangstalent.

Das bewundernde Staunen, das Melinda Brand als Felicia durch das gesamte Stück in Perfektion präsentierte, vereinnahmte mich komplett.


Solange sich Marius (Lamare Heins) mit der nicht montierten Discokugel aufhielt, musste er sich nicht mit Anne (Nora von Allmen) beschäftigen – perfekt dargestelltes Ausweichmanöver.

Und spätestens mit der zarten, etwas unbeholfenen Verliebtheit zwischen Lukas und Isabelle war ich Fan dieses Theaterabends. Axénia Timotin als Isabelle und Lorenz Dietrich als Lukas gingen so zaghaft und voller Bewunderung miteinander um, wie es nur Teenager können.

Wer genau hinhörte und sich auf die scheinbar wahllose Reihenfolge der Szenen einliess, erkannte, dass es nicht unbedingt einer Chronologie, wie man sie beim klassischen Theater oder Lustspiel kennt, bedarf, um Einsichten und Schlüsse von der Bühne in das Publikum zu transportieren. Auf der Suche zu sein nach etwas, das man selber noch nicht so genau definieren kann. Vielleicht habe ich auch mehr gesehen, als überhaupt gezeigt wurde. Ich hätte auch einfach dem Gesang, den die Theatergruppe eingebaut hatte, und der Situationskomik folgen können, ohne nach einem tieferen Sinn zu suchen. Ich wäre dennoch bestens unterhalten worden.


Ava Lovell und Melinda Brand im Duett, hinter ihnen die Schattenwand, die den Partytanz sichtbar machte.

Der Themenvorschlag der Jugendlichen, auf der Bühne ein Fest zu feiern, kristallisierte sich aus dem Tanzerlebnis zu Beginn des Einstudierens. Melinda Brand bewies beim Schreiben der Dialoge Wortkunst und den Mut zur Abstraktion. Ich hoffe so sehr, dass die Gymnasiastin aus Lauenen ihrer Begabung auch zukünftig genügend Raum geben kann.


Wer erinnert sich noch an die erste Verliebtheit? Lukas (Lorenz Dietrich) und Isabelle (Axénia Timotin) zeichneten herrlich nach.


Im Element.

Die Spiellust und der Wagemut der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler begeisterten mich. Die Gelegenheit, ein bisschen zu Gast in den Köpfen der kommenden Generationen zu sein, bietet sich mir nicht so oft. Und es wäre toll, wenn die Mitglieder dieses Ensembles das Darstellen und das Agieren in einer Rolle in ihr Leben einbeziehen würden. Denn mit Talent sind meiner Ansicht nach alle neun Schauspielerinnen und Schauspieler ausgestattet.


Mimikwechsel programmiert: Von einer ausgelassenen und vor Selbstvertrauen strotzenden Tanzrunde in eine andächtige, fast scheue Bewegungslosigkeit.

 

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote