Tourismusstrategie – für alle von allen
04.06.2024 InterviewWohin geht die Reise für die Destination Gstaad? In diesem Herbst soll die Tourismusstrategie für die nächsten fünf Jahre unter Dach und Fach gebracht werden. Gstaad Saanenland Tourismus hat bereits einen Entwurf vorbereitet, möchte aber die Inputs all derer ...
Wohin geht die Reise für die Destination Gstaad? In diesem Herbst soll die Tourismusstrategie für die nächsten fünf Jahre unter Dach und Fach gebracht werden. Gstaad Saanenland Tourismus hat bereits einen Entwurf vorbereitet, möchte aber die Inputs all derer einfliessen lassen, die am Tourismus beteiligt sind. Also auch Ihre – und fordert Sie zur Mitgestaltung auf.
SONJA WOLF
Seit dem 1. Juni ist es so weit: Der vorläufige Entwurf der neuen Tourismusstrategie ist aufgeschaltet (siehe QR-Code unten). Bis zum 31. Juli 2024 hat jede:r an der Destination Gstaad Interessierte die Möglichkeit, an der Tourismusstrategie 2025-2029 aktiv mitzuwirken. Gstaad Saanenland Tourismus freut sich auf Inputs, Gedanken und Vorschläge zur touristischen Entwicklung unserer Destination. Um diese erste öffentliche Mitwirkung besser zu verstehen, hat der Anzeiger von Saanen dem Tourismusdirektor Flurin Riedi und dem GST-Vizepräsidenten Richard Müller einige Fragen gestellt.
Seit dem vergangenen Samstag ist der vorläufige Entwurf für die neue Tourismusstrategie online. Es ist ein beachtliches 17 Seiten starkes Dokument. Was ist die wichtigste Botschaft darin?
Flurin Riedi (FR): Die wichtigste Botschaft ist: Die grundsätzliche touristische Positionierung hat sich gegenüber früher nicht verändert. Der Claim «Gstaad. Come up – slow down» gilt weiterhin.
Was ist dann neu gegenüber der aktuell gültigen Strategie 2021–2024?
Richard Müller (RM): Wir haben neu fünf Fokusse gelegt, wohin wir uns entwickeln wollen. Denn in der vorherigen Version hat man teils vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Jahre sind in den aktuellen Entwurf eingeflossen.
Welches sind diese Entwicklungsschwerpunkte? (Siehe 1 , Anm. d. Red.)
RM: Das Erlebnis im Schnee ist und bleibt wichtig, das ist Fokus Nr. 1. Dazu kommt aber nun der zweite Fokus: Aufgrund des Klimawandels muss man sich auch mit den Alternativen zum Schneeangebot beschäftigen.
FR: Der Winter wird auf Dauer nicht länger, eher kürzer. Allerdings ist er bezüglich Wertschöpfung in unserer Region immer noch matchentscheidend. Der Sommertourismus auf der anderen Seite hat in unserer Region eine lange Tradition – man denke nur ans Tennisturnier oder ans Gstaad Menuhin Festival. Und die Sommersaison wird in Zukunft tendenziell eher länger. Die angenehmen Sommertemperaturen des Bergsommers anstelle der Hitze in den tiefen Lagen spielen uns in die Karten, die touristische Relevanz des Sommers wird also grösser.
Welche Bedeutung haben dann also der Winter- beziehungsweise der Sommertourismus für unsere Region?
FR: Fazit ist – und dies versuchen wir auch in der Tourismusstrategie möglichst klar darzustellen –, dass unsere Region sowohl einen starken Wintertourismus als auch einen starken Sommertourismus benötigt. Beide Saisons erfordern eine bedachte und nachhaltige Entwicklung mit entsprechenden Investitionen wie zum Beispiel in Beschneiung, Bahnanlagen oder Biketrails.
RM: Die wichtige Bedeutung beider Saisons spiegelt sich in den ersten drei Fokussen wider, die absolute Priorität haben.
Gab es auch den Fokus Nummer 4 schon in der Vorgängerversion?
RM: Nein, der ist neu. Dem vierten Fokus, also dem Bereich Kunst und Meetings, wird mit der neuen Concert Hall eine zentrale Bedeutung zukommen. Ein attraktives Kunst- und Kulturangebot stärkt nicht nur unsere Positionierung, sondern stärkt auch die Zwischensaison und ist zudem witterungsunabhängig.
Fokus 5 liegt ja speziell auf der Schaffung von Ganzjahreserlebnissen.
RM: Genau, hier möchten wir das Sport und Eventangebot in den ruhigeren Monaten fördern, genauer gesagt in den Monaten Januar, März, Juni, September und Oktober.
FR: Auf der anderen Seite dürfen wir aber nicht vergessen: Der Tourismus spielt sich in einem Wirtschaftsraum ab, der gleichzeitig auch Lebensraum ist. Der Einheimische geniesst einen genauso hohen Stellenwert wie der Gast. Zwölf Monate im Jahr hochpulsierender Tourismus wäre die falsche Strategie, diese würde von den Einheimischen nicht akzeptiert! Die Monate April, Mai und November sollen als Zwischensaisonmonate beibehalten werden, was auch den Bedürfnissen der hier Lebenden entspricht. Dies gilt es zu akzeptieren. Es gibt für eine Tourismusregion nichts Schlimmeres, als wenn die Einheimischen nicht hinter der Tourismusentwicklung stehen. Dann sinkt die Tourismusakzeptanz rasant.
Also wenn sich die Einheimischen vom «Overtourism» gestört fühlen?
RM: Ja, das ist so. Daher haben wir in der Einleitung zur Tourismusstrategie auch einen neuen wesentlichen Grundsatz aufgenommen: «Im Lebensraum der Destination Gstaad wollen wir ausgewogen Rücksicht nehmen auf die touristische Entwicklung einerseits und den Erhalt der Lebensqualität andererseits.»
Wird die einheimische Bevölkerung in der neuen Tourismusstrategie also stärker berücksichtigt?
RM: Ja, dies wird auch bei unseren strategischen Grundsätzen deutlich.
(Siehe 2 , Anm. d. Red.) Auch dort bezieht sich das Teilziel der touristischen Entwicklung ausdrücklich darauf, dass wir künftige touristische Projekte ausgewogen weiterentwickeln, also sowohl für unsere Gäste als auch für die Einheimischen.
FR: Und auch bei unseren anvisierten Zielgruppen ist der Einheimische ausdrücklich miteinbezogen. (Siehe 3 , Anm. d. Red.)
Waren die Einheimischen nicht auch schon in vorhergehenden Strategie-Versionen beinhaltet?
RM: Das schon. Aber sie waren nicht explizit erwähnt. In der neuen Tourismusstrategie finden sie überall Eingang: Einmal als Gäste, die genauso die touristischen Infrastrukturen und Angebote nutzen. Dann als Betroffene von eventuellem «Overtourism» oder Hotspots. Oder als Leistungsträger, die Wertschöpfung generieren, indem sie zum Beispiel Ferienwohnungen vermieten oder als Skilehrer arbeiten. Und ganz generell als Teil der Region, denn sie müssen ja auch Ressourcen schonen, müssen wirtschaftlichen Erfolg haben usw.
Könnte man also zusammenfassend sagen, dass die neue Tourismusstrategie 2025-2029 nur Feinjustierungen beinhaltet, und keine wirklich grossen Veränderungen?
FR: Ja, genau. Wir haben einfach zusätzlich die Erfahrungen mit den globalen Veränderungen der vergangenen vier Jahre in die Neuüberarbeitung miteingebracht. Es ist so viel passiert, was Einfluss auf den Tourismus hat: die Pandemie, die veränderte Mobilität, die Kriege, die Wirtschaftskrise, der Klimawandel, die Nachhaltigkeit und so weiter. Dem müssen wir Rechnung tragen. Aber an der Stossrichtung, mit der wir als Region seit Jahren erfolgreich unterwegs sind, wird sich nichts ändern.
Warum gibt es vor der Unterzeichnung der Tourismusstrategie eine öffentliche Mitwirkung?
RM: Uns ist es wichtig zu erfahren, wie sich jede und jeder Einzelne aus der Bevölkerung den Tourismus in unserer Destination mittel- und langfristig vorstellt. Daher veranstalten wir auch nächsten Dienstag einen Mitwirkungsanlass zum direkten Austausch. Dies war vor der Unterzeichnung der letzten Strategie 2021- 2024 wegen Corona nicht möglich, aber wir sammelten gleichwohl auch damals die Anregungen, die wir per E-Mail oder Telefon erhielten.
Das heisst, die Tourismusstrategie ist und war schon immer ein Gemeinschaftsprodukt?
RM: Auf jeden Fall. Zwar haben wir als GST den Entwurf auf Basis der bestehenden Strategie aufgesetzt, aber das heisst ja nicht, dass es eine Strategie ist, die «der GST» will oder sogar «der Flurin Riedi» als Tourismusdirektor der ganzen Destination aufoktroyiert.
FR (lacht): Genau. Vielleicht sieht man mein Gesicht auf vielen Publikationen zum Tourismus oder liest häufig meine Aussagen als Sprachrohr des GST. Aber man darf nicht vergessen, dass der GST – einschliesslich mir selbst – ja nur Dienstleister für die verschiedenen Stakeholder der Region ist.
RM: Genau. Insofern «wollen» wir als GST gar nichts. Es ist nicht «unsere» Tourismusstrategie. Wir kanalisieren, was die verschiedenen Interessensgruppen wollen, bringen unsere Empfehlungen ein und bilden das ab. Wir halten also die Fäden in der Hand und schreiben die gemeinsam definierte Stossrichtung nieder. Denn nur, wenn wir alle in die gleiche Richtung gehen, haben wir Erfolg.
Den gesamten Entwurf zur neuen Tourismusstrategie finden Sie unter tinyurl.com/yc4ny72b.
Der Mitwirkungsanlass findet am Dienstag, 11. Juni, um 20 Uhr im Hotel Landhaus statt.
Bis zum 31. Juli 2024 haben Sie die Möglichkeit, Ihre Anregungen oder Fragen via tourismusstrategie@gstaad.ch schriftlich einzureichen.
WAS FÜR EINEN TOURISMUS STREBT DIE DESTINATION AN?
Kurz zusammengefasst möchte die neue Tourismusstrategie 2025- 2029
– den Sommer ausbauen, ohne den Winter zu vergessen
– den Einheimischen einen grösseren Stellenwert beimessen
– Kontinuität bezüglich ihres Claims «Come up – Slow down»
SWO
Warum heisst die vormalige «Destinationsstrategie» jetzt «Tourismusstrategie»?
Seit die politischen, volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure der Region die Standortentwicklungsstrategie Saanenland (SES) auf den Weg gebracht haben, heisst die touristische Strategie nicht mehr Destinationsstrategie, um keine Missverständnisse entstehen zu lassen. Der Name der Strategie soll nicht so klingen, als wäre sie für alle Bereiche des Saanenlandes und Zweisimmen gültig (z.B. auch für die Bereiche Wohnen, Schulen usw.), sondern soll sich eindeutig nur auf den Tourismus beziehen. Daher der unmissverständliche Begriff «Tourismusstrategie».





