Trachten: Grosse Nachfrage, wenig Nachwuchs
07.03.2025 RegionKaum ein anderes Kleidungsstück repräsentiert Heimat, Tradition und Authentizität mehr als eine Tracht. Und obschon die Nachfrage nach Trachtenschneider:innen steigt, gibt es immer weniger von ihnen. Warum ist das so?
KEREM S. MAURER
Seit die ...
Kaum ein anderes Kleidungsstück repräsentiert Heimat, Tradition und Authentizität mehr als eine Tracht. Und obschon die Nachfrage nach Trachtenschneider:innen steigt, gibt es immer weniger von ihnen. Warum ist das so?
KEREM S. MAURER
Seit die Trachtenschneiderin Margrith Marti aus Gsteig im Sommer 2012 in den Ruhestand getreten ist, gibt es im Saanenland kein offizielles Trachtenatelier mehr. Und auf der aktuellen Trachtenschneider:innen-Liste des Bernischen Trachtenschneider:innen Verbandes werden in diesem Jahr nur noch 24 Adressen aufgeführt – drei weniger als im Vorjahr. Wer etwas an seiner Tracht ändern oder flicken lassen will, muss – wenn man keine private Trachtenschneiderin kennt, die ihrem Handwerk im kleinen Rahmen noch nachgeht – nach St. Stephan fahren, denn auch das Trachtenatelier in Zweisimmen hat vorübergehend seine Tore geschlossen. Stirbt das Handwerk der Trachtenschneider:innen aus?
Babypause und Selbstständigkeit
«Wenn es eine rote Liste für aussterbende Berufe gäbe, wäre unser Handwerk mit Sicherheit darauf», sagt Céline Hählen vom Couture Atelier Céline im benachbarten St. Stephan auf Anfrage. Sie ergänzt, wenn sich künftig nicht mehr junge Leute zur Trachtenschneiderin weiterbilden liessen, stürbe der Beruf langsam aus. Nicht ganz so dramatisch sieht es ihre Berufskollegin Barbara Moor-Allenbach, die in St. Stephan wohnt, aber ihr Trachtenatelier in Interlaken betreibt. Sie ist selbst eine von denen, die auf der aktuellen Verbandsliste nicht mehr geführt wird. Und das hat einen Grund: «Viele junge Trachtenschneiderinnen pausieren, wenn sie Mutter werden und steigen später – hoffentlich – wieder ins Berufsleben ein», erklärt sie. Im Simmental gebe es derzeit immerhin mit Rebecca Rothenbühler in Erlenbach und Céline Hählen zwei aktive Trachtenschneiderinnen.
Eine weitere Hürde stelle die Selbstständigkeit dar, die man als Trachtenschneiderin oft eingehen müsse, führt Céline Hählen einen weiteren Punkt ins Feld. Denn kaum eine Kollegin mit eigenem Atelier leiste sich Angestellte. «Es wird je länger, desto schwieriger, jemanden zu finden, der bereit ist, das volle unternehmerische Risiko zu tragen», weiss Hählen, die ihr Atelier seit über zehn Jahren betreibt.
Arbeit gibt es genug
Die Nachfrage ist da, Arbeit gibt es genug, sind sich Céline Hählen und Barbara Moor-Allenbach einig. «Die Nachfrage ist auf jeden Fall grösser als auch schon. Es gibt eher wieder mehr junge Leute, die in Trachten heiraten oder eine solche zur Konfirmation bekommen», sagt Barbara Moor-Allenbach. Sie ist überzeugt, dass jene, die ihren Job gut machten, auch genug Arbeit hätten. Die Schwierigkeit sei eher, dass man nicht jede Minute verrechnen könne, die man arbeite, weil die Preise doch irgendwo gedeckelt seien. Hinsichtlich des im Juni bevorstehenden Bernisch-Kantonalen Jodlerfestes Lenk-St. Stephan sei die Auftragslage gut, sagt auch Céline Hählen. «Die Nachfrage ist gross, aber uns fehlt der Nachwuchs.» Sie führt aus, dass zwischen ihr und ihrer Ausbilderin 30 Jahre liegen, genauso wie zwischen der Ausbilderin und deren Lehrmeisterin. «Da fehlen zwei Generationen an Schneiderinnen und Schneidern, das merkt man gut.»
TRACHTENSCHNEIDER:IN
Wer den Beruf einer Trachtenschneiderin oder eines Trachtenschneiders ausüben will, braucht eine Ausbildung als Bekleidungsgestalterin EFZ mit Schwerpunkt Damenbekleidung. Danach gibt es eine entsprechende Weiterbildung. Im Kanton Bern gibt es je nach Quellen zwischen 70 und 80 verschiedene Trachten. Céline Hählen: «Eine Trachtenschneiderin sollte in der Lage sein, jede Berner Tracht von Hand selbst herzustellen oder zu flicken.»
KMA
«Früher wurden die Trachten belächelt»
Verena Hauswirth trägt seit 50 Jahren stolz ihre Saaner Kirchentracht. Und obschon es derzeit in der Nähe weniger Trachtenateliers gibt, befürchtet sie nicht, dass die Trachten eines Tages aus dem ländlichen Leben ganz verschwunden sein werden.
KEREM S MAURER
Welche spezifischen Trachten werden im Chörli Schönried-Saanenmöser getragen?
Unsere Mitglieder tragen verschiedene Trachten: Die Saaner Werktags-, Sonntags- oder Kirchentracht. Und natürlich tragen jene, die von auswärts kommen ihre eigenen Trachten ihres Heimatorts. Es ist weniger wichtig, welche Tracht man trägt, wichtiger ist, dass man eine trägt.
Tragen Sie unterschiedliche Trachten zu verschiedenen Anlässen?
Nein, wir tragen immer dieselbe Tracht.
Wie pflegen und unterhalten Sie Ihre Tracht?
Entweder gehen wir, wenn etwas kaputt ist, zu einer Trachtenschneiderin oder wer kann, flickt es selbst. Oft werden private Trachten- oder Damenschneiderinnen aufgesucht, weil keine offiziellen Ateliers mehr im Saanenland betrieben werden. Das nächstgelegene Trachtenatelier ist in St. Stephan.
Kann man Trachten waschen?
Überrock und Schürze bestehen meist aus einem handgewobenen Wollstoff, die muss man sehr vorsichtig reinigen, auch weil der Stoff schon älter ist. Oft werden diese Teile nur gut ausgelüftet. Die Teile, die auf der Haut getragen werden, wie die Blusen, der Unterrock oder die Kniestrümpfe können gewaschen werden. Wir tragen im Chörli die Trachten ja nur einmal im Jahr oder zu ganz speziellen Anlässen.
Wie lange dauert es, eine Tracht anzuziehen?
Bei einer etwas komplizierten Sonntagstracht kann es bis zu 30 Minuten dauern und bei gewissen Teilen braucht man zusätzlich Hilfe von einer zweiten Person. Eine einfachere Werktagstracht oder die Kirchentracht kann man innerhalb von vielleicht zehn Minuten alleine anziehen.
Hat sich Ihre Tracht im Laufe der Zeit verändert?
Nein. Ich trage meine Tracht, die ich in der bäuerlichen Haushaltungsschule auf dem Hondrich selbst genäht habe, seit 50 Jahren. An der hat sich nichts verändert.
Welche Bedeutung hat das Tragen der Tracht für die Mitglieder des Chörlis Schönried-Saanenmöser?
Es drückt innerhalb unseres Chörlis Zusammengehörigkeit aus und ist ein Zeichen der Heimatverbundenheit, eine gewisse Authentizität.
Wie sehen Sie das in Zukunft, wird man eher mehr oder weniger Trachten sehen?
Ich glaube nicht, dass das Trachtentragen auf dem Land eines Tages keine Bedeutung mehr haben könnte. Es gibt Wellenbewegungen: Mal ist es wichtiger, dann wieder weniger. Als ich jung war, wurde die Tracht von vielen belächelt, heute wird sie wieder öfter getragen. Manche glauben, eine Tracht sei dem Bauernstand vorbehalten, doch das stimmt nicht. Alle, die Freude daran haben, können Trachten tragen.
Das Beschaffen einer neuen Tracht könnte aber schwieriger werden?
Früher wurden die Stoffe für die Trachten noch in der Hausweberei Saanen von Hand gewoben. Solche authentischen Stoffe findet man seit der Schliessung der Hausweberei im Saanenland leider nicht mehr.