Unterwegs auf literarischen Pfaden
28.10.2024 KulturErstmals trugen Teilnehmer:innen der Schreibwerkstatt des Literarischen Herbsts Gstaad im Rahmen des Literarischen Spaziergangs Ausschnitte ihres Schaffens vor. Das breite Sammelsurium verschiedenster Texte begeisterte nicht nur ein grosses Publikum, sondern auch die ...
Erstmals trugen Teilnehmer:innen der Schreibwerkstatt des Literarischen Herbsts Gstaad im Rahmen des Literarischen Spaziergangs Ausschnitte ihres Schaffens vor. Das breite Sammelsurium verschiedenster Texte begeisterte nicht nur ein grosses Publikum, sondern auch die Moderatorin.
KEREM S. MAURER
«Ich wollte den Graben zwischen den Autor:innen, die am Literarischen Herbst Gstaad auftreten, und den Teilnehmer:innen der Schreibwerkstatt überbrücken!» So einfach erklärte Liliane Studer, Leiterin der Schreibwerkstatt und Moderatorin des Literarischen Spaziergangs am vergangenen Sonntag, warum ihre Schützlinge aus der Schreibwerkstatt anstelle bekannter Autorinnen und Autoren ihre Werke zum Besten gaben. Die grosse Teilnehmerschaft von nahezu 50 Personen, die bei goldenem Herbstwetter vom Bahnhof Gruben bis ins Hotel Arc-enciel in Gstaad spazierten, gab Liliane Studer recht. An vier Lesestationen präsentierten je zwei Schreibwerkstatt-Teilnehmende Auszüge ihres literarischen Wirkens.
Grosse Bandbreite
Auf dem Weg in die Schreibwerkstatt in Gsteig begegneten die Teilnehmer:innen vielen fremden Personen. Über eine von ihnen sollte ein Porträt geschrieben werden. So lautete eine Aufgabenstellung. Schreibwerkstattneuling Bea Dolder aus Oberried am Brienzersee durfte ihr fiktives Porträt als erstes Lesestück vortragen und erntete dafür viel Applaus. «Es braucht Mut, sich mit seinen Texten so in der Öffentlichkeit zu zeigen», konstatierte Liliane Studer. Markus Rütschi aus Winterthur erzählte unter anderem von seinem ersten Schultag. Beim zweiten Halt philosophierte Ulrich Rüger aus Châteaud’Oex über Gott, den Urknall und den zerbrechlichen Menschenkörper, während Evelyne Moser-Hänni aus Turbach ihre zum Nachdenken anregenden Gedanken kurz, knackig und abschliessend – als Einzige – in Mundart servierte. Die jüngste Teilnehmerin, Lynn Hefti aus Schönried, las neben dem ältesten, Edwin Oehrli aus Château-d’Oex. Sie las ihre Kurzgeschichte, die im Deutschunterricht ihrer Schule entstanden ist und den Tod und das Sterben thematisiert. Edwin Oehrli rezitierte aus seinem Roman «Trampeltiere auf der Seidenstrasse und ein Dîner in Evian». Zum Abschluss im Hotel Arcen-ciel Gstaad lasen Alexandra Borgeaud aus La-Tour-de-Peilz, welche die Lebensgeschichte ihrer Eltern niederschreibt, und Theres Rütschi aus Saanen, die den Anfang einer Geschichte las, in welcher der Protagonist auf dem mittelalterlichen Platz von Saint-Ursanne einer Seniorin auf einen Turm folgt, um später festzustellen, dass es diesen Turm gar nicht gibt.
In Worte gefasste Dankbarkeit
«So unterschiedlich wie die Menschen selbst, sind auch deren Texte», sagte Liliane Studer und freute sich über die enorme Bandbreite des Dargebotenen. Eine letzte Aufgabe der Schreibwerkstatt bestand darin, dem Vater eine Ansichtskarte zu schreiben, sprich auf wenig Platz viel auszudrücken. Die Teilnehmer:innen der Schreibwerkstatt nutzten die Gelegenheit und schrieben ihrerseits eine Karte an Liliane Studer, welche von Ulrich Rüger vorgelesen wurde: «Liebe Liliane, der Weg zum Schreiben ist nicht lang und beschwerlich: Es gibt diesen Weg nicht. Deswegen konntest du uns ihn auch nicht weisen. Was du aber kannst, auf deine eigene, geniale Art, ist, die Einsamkeit des Schreibens zu verwandeln in etwas, das sich sehen und hören lassen kann.»
SCHREIBWERKSTATT
Die Schreibwerkstatt des Literarischen Herbsts spricht Menschen an, die gerne schreiben, mit unterschiedlichen Textformen experimentieren oder eine eigene Geschichte erfinden wollen und am Austausch über Texte interessiert sind. An zwei Treffen an einem Freitagabend und einem Samstag erfahren die Teilnehmenden, was am Schreiben fasziniert, beglückt, verunsichert, herausfordert und wie sie zu ihrer eigenen Sprache finden. Vorkenntnisse werden nicht verlangt, aber 16 Jahre alt muss man sein. Die Schreibwerkstatt fand in diesem Jahr bereits zum fünften Mal statt.
LITERARISCHER HERBST / KMA