Verein für das Alter feierte 100. Geburtstag
15.05.2023 GesellschaftZum 100. Geburtstag des Vereins Pro Senectute Saanenland gab es viele Gäste, ein amüsantes Unterhaltungsprogramm, gutes Essen und viel Erinnerung.
JENNY STERCHI
An den Geburtstagstafeln, die im Kirchgemeindehaus Gstaad für 140 Gäste eingedeckt ...
Zum 100. Geburtstag des Vereins Pro Senectute Saanenland gab es viele Gäste, ein amüsantes Unterhaltungsprogramm, gutes Essen und viel Erinnerung.
JENNY STERCHI
An den Geburtstagstafeln, die im Kirchgemeindehaus Gstaad für 140 Gäste eingedeckt waren, blieb fast kein Platz leer. Nach zwei Jahren pandemiebedingter Wartezeit konnte am Samstag endlich der 100. Geburtstag des Vereins Pro Senectute würdig gefeiert werden. Marianne Kellenberger führte durch das wahrhaft bewegende Programm.
Bewegung kann (fast) alles
Erika Zumbrunnen und Barbara Wyssmüller, beide FitGym-Leiterinnen im Saanenland, hatten mit den Turnerinnen eine vielfältige Bühnenshow einstudiert, welche die Chronik von Karin Zingre und die Grussworte des Präsidenten Urs Bach umrahmte. Ein Tanz um den Geissenpeter gehörte ebenso zum Repertoire wie eine Choreografie, bei der leuchtend gelbe Federboas zu Musik aus den 1930-er Jahren geschwungen wurden.
Doch fürs Publikum blieb es nicht nur beim Zuschauen. Erika Zumbrunnen verstand es, die Damen und Herren in Bewegung zu setzen. Mit Musik begleitet, leitete sie die Geburtstagsgäste an, mit den Armen zu schwingen, sich auf die Oberschenkel zu klopfen und sich zu strecken. Manch einer geriet fast ausser Atem, aber die Sinne waren wohl bei jeder und jedem wieder geschärft.
Früher, heute und morgen
Karin Zingre bot mit ihrer Chronik einen umfassenden Blick zurück zu den Anfängen des Vereins. Als die Solidarität der Hausmutter des ersten Altersheims im Saanenland – der Pfyffenegg – so weit ging, dass der Vorstand ihr Ferien verordnete, um sie vor gesundheitlichen Schäden durch ihren aufopfernden Einsatz zu schützen.
Urs Bach hingegen schaute in die Gegenwart und schon ein wenig in die Zukunft. «Die Seniorinnen und Senioren sehen sich neben den gewohnten auch ganz neuen Herausforderungen gegenüber.» In Bewegung bleiben und sich im Alter Beschäftigung suchen, das galt schon vor Jahren. Aber ein Tablet zu bedienen oder E-Mails zu verschicken, gehört erst seit kurzem zum Tätigkeitsfeld derer im Ruhestand. «Und dafür haben wir unser Angebot ausgebaut und werden dies auch weiterhin tun», versicherte Bach. Ausserdem werde ein Projekt angeschoben, dass sich mit dem Kontakteknüpfen beschäftigt.
Neue, einfachere Strukturen
Auch Bernhard Antener, Präsident des Stiftungsrates von Pro Senectute Kanton Bern, gehörte zu den Gästen. Er gratulierte und wusste zu berichten, dass im Kanton Bern viele einzelne Vereine, die im Rahmen von Pro Senectute gegründet wurden, in neun Fördervereinen zusammengefügt wurden. Einer davon ist der Förderverein Pro Senectute Saanenland, der nach wie vor einen gemeinnützigen Zweck verfolgt und das Gedankengut und die Tätigkeit von Pro Senectute im Saanenland praktisch, ideell und finanziell unterstützt.
Mit einem Blick auf die demografische Entwicklung der Gesellschaft zeigte sich Antener überzeugt, dass der Verein keine Nachwuchsprobleme zu erwarten habe.
Am Festakt kamen Gemeindepräsident Toni von Grünigen, Peter Pfister, Stiftungsrat Pro Senectute Kanton Bern, und Werner Schläfli, ehemaliger Geschäftsleiter Pro Senectute Berner Oberland, zu Wort. Sie gratulierten zur bewegten Geschichte und motivierten zum Fortbestand des Vereins.
WUSSTEN SIE, DASS…
…Pro Senectute aus dem Lateinischen stammt und wörtlich übersetzt «Für das Alter» heisst, was mit dem Vereinsnamen identisch ist?
JENNY STERCHI
Pro Senectute baute das erste Altersheim im Saanenland
Pro Senectute Saanenland wurde 2020 hundertjährig. Zu diesem Anlass erstellte Karin Zingre aus Gstaad eine informative Chronik. Hierfür grub sie in den Vereinsunterlagen und konsultierte das Archiv des «Anzeigers von Saanen».Die nachfolgende Zusammenfassung gewährt einen Einblick in die Anfänge und spannt den Bogen bis zum Jubiläumsjahr: Einst sammelte Pro Senectute Geld für Renten, heute unterstützt er Senioren darin, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Die eidgenössische AHV-Rente ist noch gar nicht so alt. Sie wurde erstmals im Januar 1948 ausbezahlt, das BVG kam erst in den 1970er Jahren dazu. Für den Unterhalt älterer Personen waren bis dahin Familien, Kirchen und umsichtige Arbeitgeber in grossen Betrieben verantwortlich. In den 1910er-Jahren gerieten ältere Menschen, die keine Familie hatten, oft in grosse Armut. Wegen des Ersten Weltkriegs, der Spanischen Grippe und der Viehseuchen gab es überall wenig Geld. Die Not war oft unverschuldet, denn die meisten Greisinnen und Greise hatten «zeitlebens fleissig gearbeitet». Betroffene kamen in eine Armenanstalt, wo «Vorbestrafte, Säufer, Bösartige, unappetitliche Idioten und Geistesgestörte» untergebracht waren. Viele Personen, die sich sozial engagierten, empfanden das als menschenunwürdig.
Auch im Saanenland setzte sich eine Gruppierung dafür ein, dass möglichst viele ältere Personen einen freundlichen Lebensabend geniessen konnten. Darunter das Pfarrerehepaar Otto und Maria Lauterburg sowie Hotelier Reinhold Reichenbach. Nach dem Vorbild anderer Regionen gründete man am 20. November 1920 den «Verein für das Alter des Amtes Saanen». Der Verein wollte ein gemütliches Altersheim mit familiärem Charakter bauen und führen, eine kleine jährliche Rente ausrichten und die Bevölkerung für die Bedürfnisse der «Greisinnen und Greise» sensibilisieren.
Renten wurden aus Spenden finanziert
Das ganze Saanenland half bei der Finanzbeschaffung mit. Die Konfirmanden sammelten beispielsweise Spenden sowie Jahresbeiträge und Pfarrer Lauterburg organisierte Orgelkonzerte, deren Erlös in den Renten- und Altersheim-Fonds floss. Schon nach drei Jahren wurden erste Rentenzahlungen ausgerichtet. Im Jahr 1930 erhielten 56 Senioren aus dem Saanenland eine monatliche Rente von 5 Franken. Im Verlauf der Zeit wurde diese kontinuierlich erhöht. 1942 beispielsweise von 10 auf 18 Franken und 50 Rappen. Der Verein führte die Rentenzahlung 34 Jahre lang fort, bis er sie 1957 einstellte, weil die AHV das Einkommen nun sicherte.
Ein gemütliches Altersheim
Das zweite Ziel, der Bau und Betrieb eines familiären Altersheims, stellte sich in der Vereinsgeschichte als langwieriger, nervenaufreibender und komplexer Prozess dar. Von Beginn weg wurden verschiedene Bauparzellen geprüft, wieder verworfen, erworben und auch wieder verkauft. 15 Jahre nach der Gründung konnte der Verein endlich das erste Altersheim im Saanenland eröffnen: auf der Pfyffenegg. Die Baukosten betrugen damals 80’000 Franken, das Mobiliar kostete 8000 Franken. Der «Anzeiger von Saanen» bezeichnete den Neubau als ein «kühnes Werk mit dem Zeugnis, dass die Nächstenliebe nicht ausgestorben ist». Das Haus war behaglich und gemütlich. Dort gab es 16 Zimmer für «Insassen», wie die Bewohnenden damals genannt wurden, ein Raucherzimmer, ein Esszimmer und eine kleine Wohnung für die «Hausmutter».
Als Hausmutter stellte der Verein Magdalena Fuhrer ein. Die 41-Jährige hatte bis dahin das Altersheim an der Lenk geführt. Sie war geschieden und hatte zwei Töchter. Damals arbeiteten einige Bewohnende teilweise auswärts, um das Kostgeld zu verdienen. Dafür brauchten sie jedoch eine Erlaubnis der Hausmutter, denn sie mussten auch im Heim helfen. Im Sinne der Selbstversorgung pflegten sie den Garten und das Kleinvieh oder kümmerten sich um den Haushalt. Magdalena Fuhrer führte das Haus so gewissenhaft, dass der Betrieb trotz des niedrigen Kostgeldes von 2 Franken pro Tag Gewinn abwarf.
Ob ein neuer «Pflegling» aufgenommen wurde, entschied der Vorstand nach einer Probezeit von einem Monat. Er hatte ebenfalls die Kompetenz eine Kündigung auszusprechen. Beispielsweise bei «bösen» oder «gewalttätigen Heiminsassen» oder bei «frechem Benehmen» sowie bei «Trunksucht». Die Jahresberichte zeugen seit den Anfängen von Altersausflügen auf den Wasserngrat, von gespendeten Torten, Weggli, Junghühnern, gebrauchten Kleidern und Bargeld sowie von Samichlous und Weihnachtsbescherungen.
Ein Ringen um mehr Pflegebetten
Die drei Gemeinden im Saanenland sahen sich lange nicht in der Pflicht, ein Altersheim zu bauen oder zu führen. Obwohl die Nachfrage nach Heimplätzen und insbesondere nach Pflegebetten ab den 1950er-Jahren zunahm, gab es neben der Pfyffenegg noch immer kein Angebot. Deshalb reagierte der Verein ein weiteres Mal: Im Dezember 1964 kaufte er die Pension Daheim an der Dorfstrasse in Saanen, um dort elf Pflegebetten anzubieten. Der Betrieb im Daheim, dies ist in einem Protokoll festgehalten, sollte eine Übergangslösung sein, bis die öffentliche Hand ein eigenes Pflegeheim eröffnen würde. Der Verein machte Druck auf die Gemeinde Saanen, die nun unbedingt vorwärts machen müsse mit dem Bau einer Alterssiedlung und eines Pflegeheims. Erst fünf Jahre nach diesem Appell, 1969, gründete der Gemeinderat von Saanen eine Studienkommission und gab eine Bedürfnisabklärung in Auftrag. In den 1970er-Jahren wurden schliesslich zwei Altersheime eröffnet, eines in Saanen, das andere in Lauenen. Sie waren jedoch nicht auf Pflegefälle ausgerichtet, deshalb blieb die Übergangslösung im Daheim bestehen. In derselben Zeit sollte ein visionäres Gesamtprojekt der Gemeinde auf der Gütschihalti in Saanen entstehen. Dieses scheiterte allerdings wegen fehlender Finanzen. Die Tragik dabei ist, dass viele Jahre verloren gingen, weil die Finanzierung erst nach Abschluss der Planung geprüft wurde. Das hiess für die Mitarbeitenden im Daheim, dass sie weiter im Provisorium arbeiten mussten, wo viele Arbeiten mühsam waren. Spezielle Schmutzwäsche beispielsweise konnte nur im engen Badezimmer gewaschen werden.
Zusammengefasst heisst das: Dringend nötige Sanierungs- und Erweiterungsprojekte im Daheim und auf der Pfyffenegg wurden während Jahrzehnten durch behördliche Bürokratie und politischen Unwillen blockiert. Auch zum Bau eines Pflegeheims auf einer ebenen Fläche, das der Verein plante, fehlte es an der Unterstützung des Gemeinderats von Saanen, obwohl die Finanzierung hier gesichert gewesen wäre. Als 1985 im Spital Saanen endlich eine Abteilung für chronisch Kranke eröffnet wurde, konnte das Pflegeheim Daheim in Saanen, das vor 21 Jahren als Notlösung eröffnet worden war, schliessen. Das Haus wurde an die Gemeinde verkauft. Zur gleichen Zeit erhielt das neu geplante Sanierungsund Erweiterungsprojekt auf der Pfyffenegg eine Baubewilligung. Dieser Bau wurde schliesslich 1987 eingeweiht.
72 Jahre nach der Eröffnung musste sich der Verein im Jahr 2007 vom Altersheim Pfyffenegg lösen, und zwar weil sich die Rahmenbedingungen geändert hatten. Ein neuer eigenständiger Verein führt dessen Geschicke heute weiter. 2014 folgte schliesslich die Gesamtlösung für das Saanenland: das Alters- und Pflegeheim Maison Claudine Pereira in Saanen wurde von der Alterszentrum AG erbaut und eröffnet. Daneben existiert, wie erwähnt, die Pfyffenegg und das Altersheim Sunnebühl in Lauenen.
Vom Verein für das Alter zum Förderverein Pro Senectute Saanenland
Gegründet wurde der Förderverein Pro Senectute Saanenland 1920 unter dem Namen Verein für das Alter des Amtes Saanen. Diese Bezeichnung änderte er 2001 zu Pro Senectute Saanenland und 2021 zu Förderverein Pro Senectute Saanenland.
Pro Senectute Schweiz, die Dachorganisation von Pro Senectute Saanenland, ist die grösste und bedeutendste Fach- und Dienstleistungsorganisation für ältere Menschen und deren Angehörigen. Sie unterstützt ältere Menschen, damit sie möglichst lange selbstbestimmt leben können. Zu ihren Angeboten gehören Sport und Bewegung, digitale Unterstützung, Beratung, Begleitung wie auch Kultur- und Gesundheitsangebote. Die Senioren bringen sich und ihre Erfahrungen im Gegenzug in Klassenzimmern als Begleitpersonen ein. Interessierte finden alle weiteren Infos unter be.prosenectute.ch.
ZUSAMMENFASSUNG DER CHRONIK 1920 – 2020
VON BLANCA BURRI, WINTER 2022
Die detaillierte Vereinschronik kann beim Förderverein Pro Senectute Saanenland, Postfach, 3780 Gstaad, Tel. 033 744 85 72 bezogen werden.