Vom Hoselupf zum publikumswirksamen Spitzensport
22.09.2025 TraditionEin Kämpfchen in Ehren – wer will das verwehren! So war das wohl schon immer, auf Schulhausplätzen, an «Chilbene», in der Pinte und auf der Alp. Die Kämpfe Mann gegen Mann waren eher Balgereien und Prügeleien. Jeremias Gotthelf (1797–1854) schrieb in ...
Ein Kämpfchen in Ehren – wer will das verwehren! So war das wohl schon immer, auf Schulhausplätzen, an «Chilbene», in der Pinte und auf der Alp. Die Kämpfe Mann gegen Mann waren eher Balgereien und Prügeleien. Jeremias Gotthelf (1797–1854) schrieb in seinem Roman «Uli der Knecht»: «Auf der Glungge angekommen, muss sich Uli als neuer Meisterknecht gleich gegen die widerborstigen Knechte durchsetzen, die nicht beim Dreschen mitmachen wollen: Mit einem eindrücklichen Plattwurf.»
EUGEN DORNBIERER-HAUSWIRTH
Kultivierter ging es in den Städten zu und her. Dort, in den Turnvereinen, entwickelte sich das Herumbalgen zum Schwingsport. Am 2. Januar 1898 gründeten Nationalturner aus den Turnvereinen Alte Sektion, Aussersihl und Neumünster den Schwingklub Zürich. Rudolf Wehren, Oberlehrer und Redaktor des «Anzeigers für Saanen und Obersimmenthal», war offenbar hocherfreut über diesen «Wurf» aus dem fernen Zürich, gründete er doch am 26. November 1899 mit 20 jungen, kräftigen Männern den Schwingverein Saanen.
Schwingen war nicht etwa etwas gänzlich Neues. Im Jahr 1805 wurde nahe der Burg Unspunnen bei Interlaken erstmals ein Schweizer Alphirtenfest, das Unspunnenfest, durchgeführt. Und 90 Jahre später fand in Biel das erste Eidgenössische Schwing- und Älplerfest statt. Nebst Schwingen massen sich die Männer auch im Wettheuen, Hornussen, Jodeln, Steinstossen und Kugelwerfen. Übrig geblieben vom damaligen dualen Modus Schwing- und Älplerfest ist die Unterteilung der Sägemehlakrobaten in Sennen- und Turnerschwinger. Damals betrug der Anteil Sennenschwinger 54 Prozent, am ESAF 2025 in Mollis 15,7 Prozent und im Bernisch Kantonalen Schwingerverband gerade Mal 14,3 Prozent!
Unbesehen all dieser Spezialitäten und Eigenheiten trotzte der Schwingverein Saanen allen Widrigkeiten der damaligen Zeit. Das Fundament, das die Gründungsmitglieder im Jahr 1899 gelegt hatten, erwies sich in der Folge als recht stabil. Leuchttürme in den Anfangsjahren des Schwingklubs Saanenland waren Reichenbach Carl und der sehr erfolgreiche Schwinger Hauswirth Ernst. Ihren Persönlichkeiten ist zu verdanken, dass sich das junge Pflänzchen Schwingklub Saanenland prächtig entfalten konnte. Interessanterweise überstand der Schwingklub den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Mit Beginn der 1950er-Jahre erholte sich die Wirtschaft, möglicherweise zulasten der Mitgliedschaft im Schwingklub. Diagramm 1 veranschaulicht diese Vermutung eindrücklich. Auffallend ist, dass die Anzahl aktiver Mitglieder jenen der Anfangsjahre ähnelt. Eine Nuance ist allerdings die, dass im Schwingklub von heute recht viele Jungschwinger aktiv sind.
Goldgräberstimmung im Saanenland
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwachte die Turnerei im Saanenland. Am 10. Juni 1902 war im Anzeiger zu lesen: «Im Turnverein Gstaad gibt es einige junge, hoffnungsvolle Schwinger. Sie legen Zeugnis von Kraft und Gewandtheit ab, es kommen Leistungen vor, die einem eidgenössischen Schwingfest alle Ehre machen würden. Hoffentlich beteiligen sich einige am Eidgenössischen in Sarnen, 1902.»
Manche dieser Jungs entwickelten sich zu leistungsstarken Nationalturnern. Sie folgten ihrem grossen Vorbild Reichenbach Carl, der schon 1873 am 40. Eidgenössischen Turnfest in Freiburg als Nationalturner teilgenommen hatte und danach mit einem Lorbeerkranz auf seinem Haupt in Gstaad würdig empfangen worden war.
Trotz einer erwartungsvollen Aufbruchsstimmung entwickelte sich der organisierte und wettkampfmässig ausgeübte Sport im Saanenland zaghaft. Möglicherweise war diese Zurückhaltung auf die Worte Emanuel Friedlis (1846–1939) zurückzuführen, der in seinem Buch «Bärndütsch als Spiegel bernischen Volkstums» schrieb: «Bloss darf mu bi’m spörtele nit d’s wärche versume. Sport darf nicht mit noch ernsterer Berufsarbeit in entnervende Konkurrenz treten.»
Vom Schwingen reden heisst auch der Männer gedenken, die 1895 der «Schwingerei» im Saanenland Kontur und Klang gaben.
Es waren dies die Gründungsmitglieder und aktiven Schwinger Brand Robert, Hauswirth Ernst, Mösching Adolf, Raaflaub Willi, Reichenbach Hans, Reichenbach Oskar, Teuscher Willi und Wirth Albert.
Anzahl Schwinger in fünf 25 Jahreseinheiten
Im «Anzeiger für Saanen und Obersimmenthal», seit dem Jahr 1924 im «Anzeiger von Saanen», sind 888 Schwingfeste, an denen insgesamt 240 Schwinger aus dem Saanenland teilnahmen, dokumentiert.
In den Jahrzehnten nach 1920 folgten weitere, sehr kampfstarke Schwinger, wie zum Beispiel 1921–1946:
Brand Viktor* und Reinhold (Lauenen), Müller Arthur (Saanen) und Romang Hans (Gstaad)
1947–1972:
Oehrli Gusti (Lauenen), Brand Arthur
(Gstaad), Romang Werner (Lauenen) und Oehrli Marcel (Lauenen)
1973–1998:
Graf Johann (Gstaad), Oehrli Ruedi (Lauenen) und Reichenbach Christian
1999–2024:
Aellen Florian (Adelboden), Aellen Philipp (Lauenen), Annen Dominic (Gstaad), Reichenbach Adrian (Gstaad), Müllener Armin (Gstaad), Mösching Andy (Gstaad) und Zahler André (Gstaad)
* In den Jahren 1936 und 1942 wurde Brand Viktor mit dem Titel «Oberländischer Schwingerkönig» geehrt.
Offenbar recht heiter ging es zu und her im Jahr 1899 bei einem Hosenlupf auf Saanenmöser… dann massen sich acht Mann, unter anderem die Gebrüder Teuscher, deren Vater schon Schwinger war, im Hoselupf. Dubach Hans aus dem Reichenstein wurde zum Meisterschwinger erkoren.
Der Jodel fehlte natürlich auch nicht. Der Platz ist günstig und hat schon viel gesehen. Dort rasteten wohl die Handelszüge der alten Saaner, die über Gotthard und Albrunpass nach Italien zogen, dort sammelten sich wohl die Greyerzer vor der Schlacht bei Laubegg.
Kommandant Zummwald sang
in alter Saanermundart:
«Schön isch uf de saanemüsere
Triche da es tröpfli wy
Bi uberts lysa chiert mu i un üsi alti bäsi baich
Z’christi raaflaub, z’pieti wiehre
ist gar grüselich alt u schwaich
– aich, aich.»
Hauswirth Ernst (1886–1964), ein Spross aus der siebenköpfigen Familie Bendicht und Katharina Hauswirth-Reichenbach aus Lauenen, war einer der ganz «bösen» Schwinger im Saanenland, dazu ein bekannter Viehhändler, welcher eines der ersten Autos besass. Auch seine Brüder Walter (1890– 1962) und Adolf (1882–1958) waren erfolgreiche Schwinger.
Ernst durfte grosse Siege feiern. 1911 belegte er am Brünigschwinget den dritten Rang mit Kranz. Am 16. Juni 1912 war er am Oberländischen Bezirksschwingfest in Meiringen der herausragende Schwinger. Er schwang im Schlussgang und belegte den zweiten Rang.
Ein Korrespondent schrieb;
«Und wenn auch nicht gerade eine grosse Anzahl Schwinger (es waren deren 40) zum Wettkampf antraten, so konnte man mit umso grösserem Genuss der Arbeit dieser ‹Wackeren› zuschauen, die sich auf zwei Plätzen um die Ehre des Tages stritten; es war kein Fabrikbetrieb, alles Handarbeit.»
«SCHWINGER UND HORNUSSER ZEITUNG» VOM 15.9.1912
Am 40. Eidgenössischen Turnfest in Freiburg, das vom 9.–12. August 1873 stattfand, wurde der Gstaader Reichenbach Carl (1846–1916) für seine grossartigen Leistungen im Nationalturnen mit einem Eichenkranz und einer goldenen Uhr ausgezeichnet.
Reichenbach Carl war ein leuchtendes Vorbild für die Jungmannschaft im Turnverein und im Schwingkeller.
Im Saanenland hat man Grossrat Reichenbach sehr viel zu verdanken. Dank seiner hartnäckigen Bemühungen musste die MOB «en Chrump» über Gstaad, «le contour Reichenbach», realisieren.
Brand Viktor war in seinen jungen Jahren nicht auf Gold gebettet. Möglicherweise deswegen arbeitete er hart und engagierte sich in verschiedenen Ämtern in seinem Dorf Lauenen. Er war aber auch ein weitherum gefürchteter Kranzschwinger. In den Jahren 1934–1944 belegte er sehr viele Spitzenplätze an Verbands-, Berg- und Kantonalschwingfesten. Festbesuche erforderten damals besonders viel Energie, stand ihm doch, in Ermangelung eines Autos, nur sein Militärrad als Verkehrsmittel zur Verfügung. Diesem Umstand hatte Viktor wohl auch seine Ausdauer zu verdanken.
Ein besonders wertvoller Kranz ist jener, den Brand Viktor als Siebter und bester Oberländer am Kilchberg-Schwinget abräumte, der eidgenössichen Charakter aufwies. Eingeladen waren die 60 besten Schwinger des Landes. Der Kilchberg-Schwinget findet nur alle sechs Jahre statt. Unter Schwingern gilt ein Sieg am «Kilchberger» als schwieriger zu erreichen als ein Sieg am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest. Entsprechend hoch ist die Würde!
Brand Arthur «Türi »war nicht nur ein sehr erfolgreicher Nationalturner, sondern auch ein bärenstarker Kämpfer im Sägemehl. Kenner der Schwingszene sahen in ihm den Nachfolger von Viktor Brand. Türis Name erscheint im Jahr 1960 erstmals in den veröffentlichten Ranglisten im «Anzeiger von Saanen». Zusammen mit Gusti Oehrli, Helmut Oehrli, Würsten Roland, Mösching Werner und Oswald Romang feierte er zahlreiche Siege und Top 10 Rangierungen. Mit sechs Kranzgewinnen war das Jahr 1962 sein erfolgreichstes. 1963 verletzte er sich am Rosberg-Schwinget in Oberwil im Simmental so heftig, dass er die Schwingerhosen frühzeitig an den Nagel hängen musste.
Am 26. Juli 2025, also 63 Jahre später, trafen sich die ehemaligen Nationalturner im Chalet Wäldli in Gstaad, um Erinnerungen auszutauschen. Sie waren sich unisono einig: Es waren fantastische Zeiten! Sie erinnerten sich lebhaft an ihre Jugendriegenleiter Erwin Rappo, Hans Hess und Walter Rötlisberger. Sie waren echte Vorbilder.
In allerbester Erinnerung waren die Reisen an die Wettkämpfe und die Festchen danach. Hei, ging das zu und her – wahrscheinlich in der heutigen Zeit eher nicht mehr möglich! Aber die Kameradschaft hielt stand, und das ist wohl die wertvollste Seite des Sporttreibens.
Von Siebenthal Gottfried überraschte mit seiner Jubiläumsschrift «125 Jahre Schwingklub Saanenland». Einer seiner Kollegen meinte neckisch: «Das hätte ich dir nicht zugetraut!»
Turnen war im Saanenland die erste, wirklich wettkampfmässig ausgeübte Sportart. Von hohem Stellenwert war das Nationalturnen mit den Disziplinen Steinheben, Steinstossen Weitsprung, Schnelllauf, Hochweitsprung, Freiübung (Bodenturnen), Ringen und Schwingen.
In den Jahren 1953–1973, in 76 dokumentierten Wettkämpfen, wurden die Leistungen des sportlichen Sextetts mit zahlreichen Kränzen und Zweigen belohnt, wie zum Beispiel 1962, am Fête cantonale Fribourg in St. Aubin.