Die Wiedergabe des Films «Les Choristes» am Gstaad Menuhin Festival mit Liveorchester und -chor bewegte das Publikum im Zelt und rührte nicht wenige zu Tränen.
ERICH BINGGELI
Im Jahr 1989, als der Film «Der Club der toten Dichter» ...
Die Wiedergabe des Films «Les Choristes» am Gstaad Menuhin Festival mit Liveorchester und -chor bewegte das Publikum im Zelt und rührte nicht wenige zu Tränen.
ERICH BINGGELI
Im Jahr 1989, als der Film «Der Club der toten Dichter» herauskam, wählte manch zukünftige Lehrperson, auch der Schreibende, John Keating als Vorbild, diesen idealistischen Pädagogen, der seinen Schützlingen die Tür zur Poesie und zur Eigenständigkeit öffnen wollte.
15 Jahre später nimmt der in Gstaad gezeigte französisch-schweizerische Film «Les Choristes» viele der «Dead Poets»-Motive wieder auf und gibt ihnen dabei eine – im wörtlichen Sinn – ganz eigene Note: Im mit harter, ja brutaler Hand geleiteten Internat Fond de l’Etang, einer Lehr- und Besserungsanstalt für Jungen aus schwierigen Verhältnissen, ist es der Aufseher Clément Mathieu, der 1949 den oft schwer gedemütigten Buben die Welt der Musik zeigt. Er komponiert für sie Lieder und vereint sie zu einem Chor, der lange allen Widerwärtigkeiten trotzt.
Der Film ist ein Plädoyer für Humanität, für den Glauben ans Gute in diesen oft zugeschütteten jungen Seelen. Regisseur Christophe Barratier fokussiert dabei in erster Linie auf die Knaben und ihren Aufseher – der deutsche Titel heisst denn auch «Die Kinder des Monsieur Mathieu». Dieser wird von Gérard Jugnot unaufdringlich und echt gespielt. Und Barratier erzählt liebevoll, mit zahlreichen Nahaufnahmen und einem Optimum an Realismus. Wie «Dead Poets Society» appelliert er direkt an unsere Gefühle, vor allem dank den ungekünstelt aufspielenden jungen Laiendarstellern.
All dies ist schon ziemlich überwältigend; allein in Frankreich lockten die «Choristes» denn auch über achteinhalb Millionen Besucherinnen und Besucher in die Kinos. In Gstaad wurde der Appell an die Gefühle aber noch verstärkt. Denn die orchestralen Teile von Bruno Coulais – aus der Romantik schöpfend, melodiös und ausdrucksstark, aber nie sentimental – wurden von einem ausgewachsenen Sinfonieorchester gestaltet. Und den eingänglichen, stets sanft melancholischen Chansons von Coulais und Barratier lieh ein knapp 50-köpfiger Chor seine Stimmen.
Kein Lob ist auch für die Umsetzung der Liveklänge zu hoch gegriffen. Das in Luzern beheimatete City Light Orchestra musizierte gewandt, ausgewogen und kultiviert. Vor allem drängte es sich nie ungebührlich in den Vordergrund. Die geforderte Frische, Reinheit und den Glanz junger Stimmen steuerten der von Andreas Wiedmer trefflich vorbereitete Boys Choir Lucerne bei.
Natürlich sangen auch die vier Solisten ihre Einsätze ohne Fehl und Tadel.
Am Dirigentenpult hielt Anthony Gabriele, ein Spezialist des Filmmusikgenres, überlegen alle Fäden zusammen, gab genau die richtigen Impulse und – eine Meisterleistung! – disponierte absolut präzise auf den Film abgestimmt.
So ergaben sich kostbare 100 Minuten, die vom Zauber und von der wunderbaren Kraft der Musik kündeten und dann auch mit Standing Ovations verdankt wurden. Ein bewegendes, ja, zu Tränen rührendes Highlight vor zahlreichem, altersmässig erfreulich gemischtem Publikum im Festivalzelt.