Vor den Abstimmungen: Dies ist die Sicht der Alterswohnen STS AG
18.08.2023 RegionAm 25. August befindet as Stimmvolk im Obersimmental und Saanenland über die finanzielle Beteiligung am integrierten Versorgungsmodell Gesundheitsnetz Simme Saane. Vorgesehen wäre unter anderem die Integration der Alterswohnen STS AG, allerdings nur die Standorte in der Region. Das Unternehmen würde in der Folge aufgespalten, so der Plan. Nun melden sich Verwaltungsratspräsident Markus Sprenger und Verwaltungsrat Urs Jörg zu Wort. Für sie ist klar: Sie sind für das Projekt, für ein Spital – aber ohne ihr Unternehmen.
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Wie steht der Verwaltungsrat der Alterswohnen STS AG zur Vorlage des integrierten Versorgungsmodells, über welche die sieben Gemeinden am 25. August abstimmen werden?
Urs Jörg (UJ): Grundsätzlich haben wir nichts gegen das Modell der integrierten Versorgung und wir haben volles Verständnis, dass sich Menschen für den Erhalt des Spitals stark machen. Um die Qualität und Versorgung im Altersbereich nachhaltig und sicher gewährleisten zu können, will der Verwaltungsrat der Alterswohnen STS AG jedoch keine Aufteilung seines Unternehmens und auch keinen (Teil-)Verkauf an die Gesundheit Simme Saane AG (GSS).
Markus Sprenger (MS): Wir sind aber klar und deutlich der Ansicht, dass wir dem Projekt mehr dienen, wenn die jetzige Rechtsform und die Strukturen der Alterswohnen STS AG erhalten bleiben. Eine Kooperation ist der bessere Weg als eine Integration.
Welche Bedenken hat denn die Alterswohnen STS AG gegenüber diesem Vorhaben?
UJ: Die Alterswohnen STS AG hat seit ihrer Gründung aus verschiedenen Gesellschaften im Jahre 2006 – ungeachtet der regionalen Distanzen und kulturellen Unterschiede – eine betriebsübergreifende und gut funktionierende Struktur aufgebaut sowie den Mandatsbetrieb in Lauenen gewinnen können. So konnten insbesondere in den letzten Jahren viele Fach- und Organisationsprojekte erfolgreich und vor allem betriebsübergreifend umgesetzt werden. Die jüngsten Umfrageergebnisse bei Bewohnenden, Angehörigen und Mitarbeitenden, die für den Erhalt des terz-Labels durchgeführt wurden, fielen äusserst positiv aus und bestätigen die Bestrebungen der letzten Jahre. Ein Verkauf oder vor allem eine Auftrennung des Unternehmens würde die gut funktionierenden Strukturen aufbrechen und die einzelnen Betriebe schwächen. Wir sind versorgungsnotwendig und stellen heute eine funktionierende Institution dar. Mit dem Aufbau und der Organisation des Spitals hat die GSS schon genügend Baustellen, die sie angehen muss. Wir möchten deshalb, dass sie sich dem Spital annimmt, den Betrieb konsolidiert und ausbaut, und dann können wir die Situation neu beurteilen, ob und wie wir integriert werden.
MS: Genau, dies macht uns Sorgen. Denn heute hat die Alterswohnen STS AG eine betriebswirtschaftlich vernünftige Grösse. Auch wenn wir schon heute mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen kämpfen müssen, können wir dennoch zuversichtlich in eine positive Zukunft blicken. Wird der Betrieb aber aufgesplittet, fällt ein wesentlicher Betriebsteil von rund 50 Prozent weg: Das Risiko ist enorm gross, dass wir in eine Schieflage geraten, nicht mehr selbsttragend sind und plötzlich auch bei den Gemeinden für finanzielle Beiträge anklopfen müssen. Dies wäre nicht sinnvoll und das wollen wir auch nicht.
UJ: Die Finanzierung für den Erwerb der Alterswohnen-Betriebsteile Zweisimmen durch die GSS wurde bislang nicht dargelegt beziehungsweise erläutert und schlägt per Betriebsstart bereits als zusätzliche Verpflichtung zu Buche. Hinzu kommt der benötigte Betriebskredit oder das Darlehen zur Überbrückung der ersten Monate nach Betriebsstart sowie die Finanzierung des Neubaus Alterswohnen Bergsonne. Diese Anteile im total zweistelligen Millionenbereich stellen für uns bereits zu Beginn eine finanzielle Last dar, die es zu tragen gilt.
Welchen Herausforderungen steht die Alterswohnen STS AG zurzeit gegenüber, ungeachtet der bevorstehenden Abstimmungen?
MS: Die zentrale Herausforderung ist die Erhaltung der Dienstleistungsqualität für unsere Bewohnenden. Grundsätzlich ist das 20-jährige Gebäude in Zweisimmen sanierungsbedürftig und soll zukünftig für die 17 Bewohnenden, die in der geschützten Abteilung des Spitals Zweisimmen integriert sind, Pflegeplätze bieten, da die heutigen Räumlichkeiten dem heutigen Wohnstandard von demenzkranken Menschen nicht mehr entsprechen. Durch die demografische Entwicklung müssen wir uns auch auf mehr Bewohnende vorbereiten, weshalb auch die Anzahl an Plätzen erweitert werden muss. Wir müssen somit ein vernünftiges Bauprojekt realisieren, damit wir unsere Verantwortung auch wahrnehmen können. Zudem ist unser Sanierungsprojekt nicht im Projekt der GSS abgebildet, da diese sich verständlicherweise auf den Spitalneubau konzentriert. Wir befürchten, dass unser Projekt somit aufgeschoben würde, sollten wir ein Teil der Holdingstruktur werden, und in der Folge könnten wir unsere Verantwortung gegenüber den Bewohnenden nicht mehr wahrnehmen. Deshalb kann die Sanierung und Erweiterung des Betriebes Alterswohnen Bergsonne nur dann umgehend an die Hand genommen werden, wenn Alterswohnen STS AG selbstständig bleibt.
UJ: Weiter macht uns der Fachpersonalmangel grosse Sorgen. Wir haben das Gefühl, dass sich die Situation im Saanenland aufgrund der geografischen Lage noch verstärkt, insbesondere, da das bezahlbare Wohnangebot begrenzt ist. Für die ausgeschriebenen Stellen wie auch für die Lehrstellen per Sommer 2024 haben wir kaum oder keine Bewerbungen erhalten. Umso mehr wird die Attraktivität als Arbeitgeber für potenzielle Mitarbeitende immer bedeutender. Wir müssen deshalb flexiblere Rekrutierungsformen und Arbeitsbedingungen für die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden anbieten, ohne die Qualität der Pflege und Betreuung zu mindern. Ausserdem wollen wir den Auftritt der Alterswohnen STS AG frischer und neuer gestalten sowie Präsenz in sozialen Medien aufbauen.
Was ist Ihre Meinung: Braucht es ein Spital in Zweisimmen?
UJ: Das Spital ist für uns sehr wichtig, ungeachtet, dass zurzeit mehrere Demenzbetreuende in seinen Einrichtungen wohnen. Die Patientenströme gehen in beide Richtungen. Haben wir medizinische Notfälle, verlegen wir unsere Bewohnenden ins Spital. Wir wiederum bieten Ferienbetten und Übergangspflege für Patienten, die im Spital behandelt oder operiert wurden. Bei uns finden sie die geriatrische Rehabilitation. Ein funktionierendes Spital ist deshalb in der Versorgungskette wichtig, aber wir tragen einen wesentlichen Teil dazu bei.
Haben Sie Lösungsvorschläge? Was wäre der Vorschlag der Alterswohnen STS AG in Bezug auf das integrierte Versorgungsmodell und das Spital?
MS: Der Verwaltungsrat der Alterswohnen STS AG steht einer engeren Zusammenarbeit mit der GSS offen gegenüber. Dies setzt jedoch nicht die rechtliche Integration voraus, sondern kann auch in Form einer Kooperation mit klaren Leistungs- oder Mandatsaufträgen bestens umgesetzt werden. Denkbar wäre die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Administration, Finanzen, Personal, Bildung, Hauswirtschaft, technischer Dienst und weiteren.
UJ: Schon heute arbeiten wir mit dem Spital eng zusammen, beispielsweise im Ausbildungswesen. Das ist auch wichtig. Ein Blick in den Schweizer Gesundheitsbereich zeigt, dass eine integrierte Versorgung zunehmend wichtiger wird, da der Fachkräftemangel und knappe finanzielle Mittel hohen Druck aufsetzen. Netzwerke sind wichtig, aber alles in ein grosses Unternehmen zusammenzuführen wäre gefährlich. Bei einer Integration stufen wir die Gefahren und Risiken höher ein als die Chancen.
Abgesehen davon, ob die Stimmbevölkerung Ja oder Nein sagt: Wird die Alterswohnen STS AG trotzdem aufgetrennt, also die Standorte im Obersimmental und Saanenland in eine jeweils eigene Firma übertragen?
UJ: Nein, dies ist nicht vorgesehen und entspricht nicht der aktuellen Unternehmensstrategie.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Sie für ein Spital sind, jedoch ohne die Integration Ihres Unternehmens in einer Holdingstruktur?
MS: Genau. Für die Alterswohnen STS AG am Standort Zweisimmen ist der Weiterbetrieb des Spitals wichtig, da dies positive Synergien ermöglicht. Die Zusammenarbeit soll deshalb weiterhin fortgesetzt und verstärkt werden, allerdings ohne eine Fusionierung.
Nun nimmt die GSS Stellung zur Abstimmungsvorlage
In den vergangenen Wochen sind verschiedene Leserbriefe erschienen, jeweils mit befürwortenden, aber auch kritischen oder gar ablehnenden Sichtweisen. Nun meldet sich die Gesundheit Simme Saane AG (GSS) zu Wort. Ihr Fazit: Ihr Businessplan sei «alles andere als abenteuerlich».
Am 25. August entscheidet das Stimmvolk im Obersimmental und Saanenland, ob es finanzielle Beiträge für das integrierte Versorgungsmodell Gesundheitsnetz Simme Saane sprechen will. Das Projekt für den Erhalt des Spitals Zweisimmen als Teil eines integrierten Versorgungsnetzes im Obersimmental und Saanenland löse positives Echo aus, wie die öffentliche Informationsveranstaltung vom 8. August gezeigt habe, schreibt die Gesundheit Simme Saane AG (GSS) in einer Stellungnahme. Dass auch Kritik geäussert werde, sei verständlich, müssten sich doch die beteiligten Gemeinden finanziell direkt engagieren. «Erstaunlich sind die vereinzelt geäusserten Unterstellungen bezüglich finanzieller Folgen; besonders verblüfft die Aussage von Armin Berger auf dem Internetportal Rinderberg News, wonach der Businessplan ein ‹angekündigter Konkurs› sei», schreibt die GSS. Das sei eine falsche Interpretation. Der Businessplan sei mehrmals überprüft worden. Erstellt habe ihn die GSS, die von den Gemeinden gegründet worden sei, in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Gesundheitsexperten und langjährigen Spitaldirektor. Die Datengrundlage aus dem Jahr 2019 (Vor-Covid-Jahr) für den Businessplan seien mit den tatsächlichen Ergebnissen der Campusbetriebe für die Jahre 2020– 2022 verglichen worden. Dabei sei die Finanzierung mit den Zahlen aus dem Versorgungsnetz in Scuol verglichen worden, einem bereits realisierten Projekt. Anschliessend habe die GSS den Businessplan den Banken und dem Kanton vorgelegt, zusammen mit dem Antrag auf ein Darlehen und eine Bürgschaft beim Kanton. Nach der ersten Überprüfung durch den Kanton seien Präzisierungen und Anpassungen im Antrag und im Businessplan vorgenommen worden. Ende Juli habe die GSS den definitiven Antrag eingereicht, der nun nochmals von neutralen Finanzfachleuten überprüft werde. «Realisiert wird das Projekt nur, wenn der Regierungsrat und das Kantonsparlament zustimmen. Mit der Zusicherung des Kantons ist die Zahlungsfähigkeit der GSS inklusive Lohnzahlungen sichergestellt», führt das Unternehmen aus. «Wenn also die sieben Gemeinden am 25. August an ihren Gemeindeversammlungen Ja sagen, gehen sie kein finanzielles Abenteuer ein.»
PD/JOP
DESHALB GIBT ES KEINE URNENABSTIMMUNGEN
Die medizinische Grundversorgung interessiert und betrifft alle in der Bevölkerung. Jede und jeder braucht sie und fühlt sich sicher, wenn sie gewährleistet ist. Dass deshalb alle Betroffenen auch gerne ihre Stimme bei der kommenden Abstimmung in ihrer Gemeinde abgeben würden, ist verständlich. In der Bevölkerung kam deshalb die Frage auf, weshalb über das Geschäft nicht an der Urne abgestimmt wird. Andreas Grünig von der Bergregion Obersimmental-Saanenland sagt auf Anfrage, dass jede Gemeinde ein eigenes Reglement in Bezug auf Abstimmungen und Gemeindegeschäfte besitze und die gesetzliche Grundlage für eine Urnenabstimmung deshalb nicht gegeben sei. «Es ist deshalb nicht vorgesehen, an der Urne abzustimmen, sondern das Geschäft muss vor den grossen Gemeinderat, sprich vor die Gemeindeversammlung kommen.»
Toni von Grünigen, Gemeindepräsident von Saanen, bestätigt: Grundsätzlich sehe die Gemeinde Saanen das Instrument der Gemeindeversammlung vor, um den Volkswillen einzuholen. «Während der Pandemie konnten wir beim Kanton bzw. beim Regierungsstatthalter ein Gesuch einreichen, um Geschäfte an der Urne abstimmen zu lassen. Diese Möglichkeit besteht nicht mehr», erklärt von Grünigen. Es gebe zwei Seiten, wenn es um das Thema Urne und Gemeindeversammlung gehe. An der Urne könnten zwar alle Stimmberechtigten ihre Meinung äussern. «An einer Gemeindeversammlung kann die Stimmbevölkerung aber diskutieren, Fragen stellen und gegebenenfalls auch Anträge stellen. Dies wäre bei einer Urnenabstimmung nicht möglich», erklärt der Gemeindepräsident.
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