Wer hat an der Uhr gedreht?
25.07.2025 InterviewSeit Kurzem geht die Kirchenuhr von Saanen nach. Für die technische Betreuung der Kirche Saanen ist unter anderem die Firma Muribaer AG zuständig – ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten regelmässig Aufträge für sie ausführt. Wir haben mit Oliver ...
Seit Kurzem geht die Kirchenuhr von Saanen nach. Für die technische Betreuung der Kirche Saanen ist unter anderem die Firma Muribaer AG zuständig – ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten regelmässig Aufträge für sie ausführt. Wir haben mit Oliver Bär, Berater der Muribaer AG, gesprochen.
INTERVIEW: JONATHAN SCHOPFER
Herr Bär, die Kirchenuhr geht nach. Können Sie erklären, woran das liegen könnte?
Im Moment werten wir die Daten aus, die das System der Turmuhrtechnik liefert – das sind Tausende von sogenannten Logeinträgen. Ich werde auch noch persönlich vor Ort nachsehen. Zurzeit können wir noch nicht mit Sicherheit sagen, worin die Störung liegt. Allenfalls könnte es sein, dass der Schrittmotor beziehungsweise Schrittmagnet leicht nachgeht. Jedenfalls konnten wir die Uhr von uns aus – bei Muribaer AG– wieder synchronisieren.
Wie funktioniert dieses Uhrwerk eigentlich?
Ganz vereinfacht gesagt besteht es aus drei mechanischen Hauptteilen: dem Gehwerk, das für die Zeitmessung zuständig ist, sowie zwei Schlagwerken – eines für die Viertelstunden und eines für die vollen Stunden.
Was wurde im Laufe der Zeit modernisiert?
Früher schwang im Gehwerk ein Pendel – es war für das klassische «Tik Tak» verantwortlich. Heute ist dieses Pendel durch einen sogenannten Schrittmagneten ersetzt worden. Dieser erhält alle zehn Sekunden einen elektrischen Impuls und hält damit das Uhrwerk in Bewegung.
Woher stammt dieser Impuls?
Er kommt von der sogenannten Mutteruhr, also einer zentralen Steuereinheit. Früher wurde diese über das Langwellensignal DCF77 bei Frankfurt synchronisiert. Dieses Signal stammt von einer hochpräzisen Atomuhr. In Saanen erfolgt die Synchronisation heute jedoch über das Internet – so kann ich auch aus der Ferne Daten auswerten, falls einmal etwas nicht korrekt läuft.
Da die Steuerung übers Internet erfolgt: Kann das System gehackt werden?
Das System ist natürlich abgesichert, etwa durch eine Firewall, die unbefugten Zugriff verhindert. Aber klar – theoretisch kann jedes System gehackt werden, wenn sich jemand Mühe gibt. Doch was hätte er davon? Er könnte vielleicht die Glocken steuern – aber das ist nicht wirklich interessant. Es gibt attraktivere Ziele für Hacker.
Wie entstehen denn die Glockenschläge, die man draussen hört?
Vereinfacht gesagt: Alle 15 Minuten aktiviert das Viertelstundenschlagwerk den Mechanismus. Je nach Viertelstunde ertönt das Bimmeln unterschiedlich oft. Zur vollen Stunde passiert Folgendes: Zuerst schlägt das Viertelstundenschlagwerk, danach folgt das Stundenschlagwerk, das die aktuelle Uhrzeit anzeigt – also beispielsweise sieben Schläge um 7 Uhr.
Und wie wird das Uhrwerk angetrieben?
Durch drei grosse Gewichte, die tief im Turm hängen. Sie treiben die Mechanik an, indem sie langsam absinken. Sobald sie den tiefsten Punkt erreicht haben, zieht ein Elektromotor sie automatisch wieder nach oben.
Wie wurde das früher ohne Elektromotor gemacht?
Früher waren die Gewichte an einem deutlich längeren Seil befestigt. Sie mussten von Hand – meist täglich, teils wöchentlich – mit einer Kurbel aufgezogen werden. Je länger der Weg nach oben, desto länger dauerte das Absinken – und desto seltener war ein Aufziehen nötig. Auch heute noch gibt es historische Turmuhren in der Schweiz, bei denen die Gewichte täglich manuell gespannt werden – etwa an der berühmten Zytglogge in Bern.
Werden die Glockenschläge während des Menuhin Festivals unterbrochen?
Ja, während des Menuhin Festivals – wenn Konzerte in der Kirche stattfinden – werden die Schlagwerke gezielt stummgeschaltet. Die Uhr selbst läuft dabei weiter. Eine sogenannte Schlagsperre verhindert, dass der Hammer die Glocke trifft. So bleibt es während der Aufführungen ruhig, ohne den Mechanismus zu unterbrechen.
GLOCKENBEZEICHNUNGEN DER SAANEN
Die Kirche Saanen verfügt über insgesamt sechs Glocken. Je nach Anlass kommen sie einzeln oder im Zusammenspiel zum Einsatz:
– Nr. 1: Grosse Glocke/Festtagsglocke
– Nr. 2: Mittagsglocke/Totenglocke
– Nr. 3: Vesperglocke (Vespera, lateinisch für «Abend»)
– Nr. 4: Feuerglocke
– Nr. 5: Wasserglocke/Soldatenglocke
– Nr. 6: Frauenglocke
LÄUTORDNUNG
Die Kirche Saanen verfügt über eine eigene Läutordnung, die regelt, zu welchen Anlässen welche Glocken erklingen.
So läuten am Vortag vor Feiertagen jeweils um 18 Uhr während 13 Minuten die Glocken Nr. 2, 3, 4 und 5. Am 1. August, dem Bundesfeiertag, findet das traditionelle Bundesfeierläuten statt – dann ertönen um 20 Uhr alle sechs Glocken gleichzeitig.
EIN BLICK HINTER DAS ZIFFERBLATT
Zahnräder, Gewichte, Hämmer – die Kirchenuhr von Saanen schlägt seit Jahrzehnten im Rhythmus eines abgestimmten mechanischen Zusammenspiels. Was früher rein mechanisch funktionierte, wird heute durch digitale Helfer wie Schrittmagnet und internetgestützte Zeitsynchronisation ergänzt. Die Uhr ist eine Verbindung zweier Welten geworden. Auch hoch oben im Turm, wo sich trotz gespanntem Netz Vögel einnisten, zeigt sich dieser Charakter: Auf den Glocken stehen Bibelverse, und jede Glocke hat ihren eigenen Namen. Die Feuerglocke etwa trägt die Worte des Apostels Petrus: «Dienet einander». Einst zur Alarmierung bei Bränden genutzt, kommt sie heute bei liturgischen Anlässen zum Einsatz. Ein Feuer – einst selbst der Kirche Saanen zum Verhängnis geworden: Ein Blitzeinschlag im Jahr 1940 setzte den Turm in Brand und zerstörte dabei auch fünf der damaligen Glocken. Der Vorfall markierte einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Kirche, die erstmals im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt wurde. Beim anschliessenden Wiederaufbau wurde eine zusätzliche Glocke hinzugefügt:die Frauenglocke, gestiftet von den Saaner Frauen. (Quelle: Saanen – ein historischer Dorfführer, Bendicht Hauswirth). Auch das Uhrwerk wurde im Zuge des Wiederaufbaus ersetzt – es stammt aus dem Jahr 1943. Ein kleines Plättchen am Werk erinnert daran: Es wurde von Adolf Bär, einem Turmuhrmacher, gebaut. Er hatte 1924 im Gwatt bei Thun eine eigene Turmuhrenfabrik gegründet. Im Jahr 2021 übernahm die Firma Muribaer Renovationsarbeiten an der Kirchenuhr. Unter anderem wurde ein moderner Glockenautomat mit digitaler Ansteuerung eingebaut.