«Wir glauben an die jungen Talente!»
12.12.2024 InterviewDie 19. Ausgabe des Gstaad New Year Music Festivals (GNYMF) steht in den Startlöchern. Es gibt Neuerungen, welche die beiden Verantwortlichen, Prinzessin Caroline Murat und Çetin Köksal, aus Publikumswünschen in ihre Konzeption mitaufgenommen haben.
...Die 19. Ausgabe des Gstaad New Year Music Festivals (GNYMF) steht in den Startlöchern. Es gibt Neuerungen, welche die beiden Verantwortlichen, Prinzessin Caroline Murat und Çetin Köksal, aus Publikumswünschen in ihre Konzeption mitaufgenommen haben.
SONJA WOLF
Caroline Murat, Sie haben dieses Jahr wiederum die künstlerische Leitung des Festivals übernommen. Was erwartet das Publikum?
Caroline Murat (CM): Ich habe viel Wert darauf gelegt, dass das Festival sehr abwechslungsreich ist. Jeder Konzerttag ist etwas Besonderes, etwas eigenständig Orchestriertes und unterscheidet sich grundsätzlich vom vorhergehenden. Mit diesem sehr vielfältigen Programm möchten wir auch ein sehr unterschiedliches Publikum ansprechen: Junge und Ältere, Einheimische und internationales Publikum, Freunde des Gesangs oder von Instrumentalmusik.
Wobei der Schwerpunkt beim GNYMF ja nach wie vor auf dem Gesang liegt.
CM: Richtig. In diesem Punkt unterscheiden wir uns von den anderen Formaten hier in der Region. Und weil wir neben der klassischen Musik auch Jazzkonzerte haben.
Çetin Köksal, Sie sind erstmals als administrativer Leiter beim Gstaad New Year Music Festival dabei. Und haben gleich ein paar Neuerungen in die Wege geleitet.
Çetin Köksal (ÇK): Ja genau. Wir haben dieses Jahr erstmals ein nummeriertes Ticketing und somit auch unterschiedliche Preisklassen. Die günstigste Kategorie beginnt schon bei 30 Franken, sollte also für die meisten Musikliebhaber gut erschwinglich sein. Und die wohl interessanteste Neuerung: Bisher waren die Konzerte bis 16 Jahre gratis, nun haben wir diese Altersgrenze auf 25 Jahre angehoben. Denn gerade junge Menschen, welche oft noch nicht gut verdienen oder sogar noch in der Ausbildung sind, müssen meistens volle Preise bezahlen. Und das Finanzielle soll sie ja nicht vom Musikgenuss abhalten!
Sie unterstützen die Jugend ja generell mit dem GNYMF. Nicht nur das jugendliche Publikum, das gratis in den Genuss der Konzerte kommt. Nein, auch die jungen Talente, die dort auftreten.
ÇK: Auf jeden Fall. Und wir möchten das Publikum ermuntern, nicht nur zu den Konzerten der grossen Stars zu kommen, sondern gerade auch zu denen der jungen Talente!
Und warum?
ÇK: Ganz einfach: Alle Stars waren einmal jung! Und es ist enorm spannend, etwas Neues zu entdecken. Der Anfang der Karriere ist für junge Musiker extrem schwer, da sie normalerweise nicht viel Geld und kaum Beziehungen haben.
Sie als Veranstalter nehmen freilich ein gewisses Risiko auf sich, diese jungen Talente zu engagieren.
CM: Natürlich. Aber wir tun es gerne, um ihnen eine Chance zu geben. Und vor allem: Wir glauben an sie! Oft passiert es sogar, dass wir neue Talente engagieren, die danach auf den grossen internationalen Bühnen auftreten. So haben wir hier in Gstaad das Glück, die späteren grossen Stars zuerst bei uns auf der Bühne gehabt zu haben. Unser Festival ist der Zeit immer ein bisschen voraus.
ÇK: Ja, das Programm von Caroline ist tatsächlich immer sehr visionär! (schmunzelt)
CM: Aber auch die Zusammenarbeit mit Çetins Lysy Competition ist sehr wichtig, um immer an die hoffnungsvollsten jungen Talente zu kommen.
Es gab ja dieses Jahr zwei Sieger bei der Alberto Lysy International Violin Competition. Welcher der beiden spielt am GNYMF?
ÇK: Elias David Moncado. Er hat sich ein wirklich schwieriges Programm vorgenommen.
CM: Auch der vorherige Lysy-Sieger Bohdan Luts ist wieder mit von der Partie.
Bohdan Luts spielt schon zum zweiten Mal beim GNYMF. Und auch grosse Stars, welche die internationalen Säle füllen, kommen immer wieder ins Saanenland...
CM: Ja, sie lieben es. Sie sehen, dass unser Festival kein Businessmodell ist, sondern ein Festival, das durch die Künstler lebt und das wir auch für die Künstler veranstalten. Sie lieben die familiäre Atmosphäre. Jonathan Tetelman etwa kommt dieses Jahr wieder und auch Sonya Yoncheva, aber dieses Mal mit einem anderen Arrangement.
Wie meinen Sie das?
CM: Letztes Jahr wurde sie nur vom Klavier begleitet. Dieses Jahr kommt sie mit dem Orchester und dem Chor der Opéra Royal de Versailles und wird ein weihnachtliches Programm singen.
Ein weihnachtliches Programm nach Neujahr?
CM: Ja. Da sie selbst orthodox ist, singt sie das weihnachtliche Programm zu Ehren des orthodoxen Weihnachtsfestes, das am 6. Januar gefeiert wird.
Welche anderen Konzerte empfehlen Sie? Was sind Ihre Geheimtipps?
CM: Schwer zu sagen. Alle Konzerte sind einzigartig. Aber ich persönlich freue mich sehr auf das Konzert vom 29. Dezember. Es wird dem Frieden gewidmet sein mit dem Titel «West and East, a Harmony for Peace». Die Sopranistin Dima Bawab kommt aus Palästina und wird begleitet von der marokkanischen Pianistin Nour Ayadi und dem israelischen Pianisten Iddo Bar-ShaÏ, der sich für die Geiseln und den Frieden im Gazastreifen einsetzt.
Sehr wichtig ist mir auch ein zweites Konzert, das dem Frieden gewidmet ist: Es ist eine Hommage an den Pianisten Pavel Kuschnir, der nach der Invasion Russlands in die Ukraine als Aktivist tätig war und letztlich nach einem Hungerstreik mit 39 Jahren in Untersuchungshaft starb. Denn für mich ist es unglaublich, dass Musiker sterben müssen, nur weil sie öffentlich sagen, dass sie gegen den Krieg sind. Die junge talentierte Pianistin Nino Kupreishvili wird es präsentieren.
Also zwei Konzerte mit Musik für den Frieden, die sich vom restlichen, eher festlichen Programm abheben?
ÇK: Ja. Die meisten anderen Konzerte sind tatsächlich eher festlich im Spirit der Feiertage. Ein wenig ernster ist wiederum die Winterreise, die der Bariton Andrè Schuen singen wird. Schuen ist ein «rising star», er macht seine Aufnahmen etwa bei der Deutschen Grammophon. Schuen passt übrigens auch sehr gut hierher, da auch er aus den Bergen kommt: Er wuchs in einer kleinen Berghütte in den Dolomiten auf. Dass er die Winterreise singt, ist ideal, denn Schubert starb jung und komponierte die Winterreise kurz vor seinem Tod. Er vertont darin die Verzweiflung eines jungen Mannes, also muss auch ein junger Mann das singen – so wie Schuen.