Nach der erfolgreichen Freilichtaufführung des «Castellans» darf sich das Saanenland auch im kommenden Sommer auf ein Schauspiel in freier Natur freuen. Ab Ende Juli 2026 bringt der Freilichttheaterverein Saanenland das Stück «Soldat ...
Zwischen Hof, Krieg und Hoffnung
04.12.2025 InterviewNach der erfolgreichen Freilichtaufführung des «Castellans» darf sich das Saanenland auch im kommenden Sommer auf ein Schauspiel in freier Natur freuen. Ab Ende Juli 2026 bringt der Freilichttheaterverein Saanenland das Stück «Soldat Vögeli» auf die Bühne. Regie führt Ruth Domke, ihr Mann Jürg ist Präsident des Vereins und verantwortlich für Organisation, Sponsoring und die historischen Fahrzeuge auf der Bühne. Ein Gespräch mit zwei Menschen, die seit mehr als 30 Jahren das Theater im Saanenland prägen.
SONJA WOLF
Ruth Domke, Jürg Domke, das Theaterstück «Soldat Vögeli», an dem Sie gerade voller Elan arbeiten, spielt in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs. Wie kamen Sie auf gerade dieses Stück? (Zum Inhalt siehe Kasten)
Ruth Domke (RD): Die Vorlage heisst «Tambour Bucheli» und stammt von Franz Bühler. Wir haben dieses Stück schon einmal aufgeführt – vor mehr als 30 Jahren, damals noch mit dem Grubenchörli und auf einer recht kleinen Innenbühne. Jürg stand als Schauspieler auf der Bühne, ich hatte die Regie. Und irgendwie hat uns der Stoff seither nicht mehr losgelassen. Die Figuren, die Konflikte, die Zeit des Zweiten Weltkriegs im Hintergrund – das hat uns immer wieder beschäftigt.
Jürg Domke (JD): Ich war damals Lehrer in Gruben, wir haben sehr viel Theater gespielt. Einige Stücke vergisst man, aber dieses nicht. Vielleicht, weil es so unmittelbar menschlich ist: Es zeigt Härte, Armut, Streit – aber auch Wärme, Humor und Durchhaltewillen. Es blieb uns einfach im Herzen.
Warum bringen Sie das Stück jetzt auf die Freilichtbühne?
RD: Weil es Platz braucht. Die Szenen auf dem Bauernhof, der Krieg im Hintergrund, die Geräusche, die körperlichen Bewegungen – all das lebt draussen. Damals auf einer kleinen Innenbühne konnten wir vieles nur andeuten. Die Geschichte verlangt nach Weite, nach natürlicher Umgebung. Das Lätzgüetli bietet genau das.
JD: Und man kann mit echten Gegenständen arbeiten. Früher mussten wir improvisieren, heute können wir historische Fahrzeuge einsetzen. Das macht das Stück glaubwürdiger und bringt es näher an die Zeit, die es erzählt.
Was für Fahrzeuge kommen denn zum Einsatz?
JD: Ich gebe zu – das ist ein bisschen mein Hobby. Immer wenn ich etwas gesehen habe, das zur Zeit oder zur Atmosphäre passte, dann schlug mein Herz sofort höher. So sind einige Stücke in unser Requisitenlager gewandert: alte Militärvelos. ein altes landwirtschaftliches Gefährt und ein klassischer Seitenwagentöff, wie er früher auf dem Land unterwegs war. Solche Dinge erzählen schon für sich eine Geschichte. Und wenn sie sich dann auf der Bühne bewegen, merken die Zuschauer sofort: Ja, so ungefähr muss es damals ausgesehen haben.
Ruth Domke, haben Sie als Regisseurin den Text überarbeitet?
RD: Ja, das Original war in Luzerner Dialekt geschrieben – wunderschön, aber schwer verständlich. Ich habe auch viele allzu derbe Stellen sprachlich entschärft und die Länge reduziert: Die ursprüngliche Fassung hätte drei Stunden gedauert, heute sind wir bei gut zwei Stunden. Inhaltlich bleibt die Grundgeschichte aber absolut erhalten. Die Rechte beim Breuninger Theaterverlag erlauben Anpassungen, solange der Kern der Handlung nicht verändert wird. Meine Fassung wurde dort geprüft und freigegeben.
Im Stück spielt das Motiv des Findelkindes eine wichtige Rolle: Berth Vögeli wurde als Säugling in einem Körbchen vor der Hoftür abgelegt und von der Familie aufgenommen. Was bedeutet diese Figur für das Stück?
RD: Berth ist eine der berührendsten Figuren im ganzen Stück. Er kommt ohne eigene Familie auf die Welt, wird auf dem Hof grossgezogen und gehört trotzdem nie ganz dazu, zumindest nicht in den Augen aller. Diese Spannung begleitet ihn durch die ganze Geschichte. Er ist fleissig, loyal, friedfertig – und gerade deshalb steht er zwischen allen Fronten. Das Motiv des Findelkindes zeigt sehr schön, wie verletzlich Menschen sind, selbst wenn sie stark wirken. Und es erklärt auch, warum Berth so grosse Sehnsucht nach Zugehörigkeit hat.
Wie sieht das Ensemble dieses Jahres aus?
RD: Wir haben rund zwölf Sprechrollen und sechs bis sieben Statisten. Das ist deutlich kleiner als beim letzten Freilichttheater «Castellan», wo wir 22 Sprechrollen und insgesamt gegen 40 Mitwirkende hatten. Beim «Castellan» waren es Schauspieler aus dem Männerchor, SAC und dem Freilichttheaterverein, nun sind alle Mitwirkenden aus dem Freilichttheaterverein.
Wie haben Sie den Spielort Lätzgüetli gefunden?
RD: Wenn man so lange Theater macht, hat man immer die Augen offen.Dieser Ort ist mir schon lange aufgefallen – die Lage, der weite Raum, die Stimmung. Ich hatte immer das Gefühl: Hier könnte man etwas machen.
JD: Und dann beginnt die eigentliche Arbeit: Wem gehört welches Stück Land? Wer ist Pächter, wer Eigentümer? Man muss hingehen, erklären, verhandeln. Zum Glück sind die Menschen hier sehr offen und die Betroffenen freuten sich, dass das Theater auf ihrem Stück Land aufgeführt werden würde – aber selbstverständlich ist das nicht. Die angrenzende Scheune dürfen wir für die Gastronomie nutzen und im Vergleich zum «Castellan» haben wir nun auch einen Parkplatz direkt in der Nähe. Und der stillgelegte Skilift liefert uns den Strom, den wir für Licht und Technik brauchen. Also ein perfekter Standort!
Jürg Domke, Sie kümmern sich um die Finanzen und das Sponsoring. Wie gross ist das Projekt?
JD: Das Budget liegt bei rund 240’000 Franken. Zwei Drittel müssen wir selbst erwirtschaften, der Rest kommt über Sponsoren. Beim ersten Freilichtprojekt wussten wir nicht, ob das aufgeht. Heute haben wir Routine, doch es bleibt jedes Mal viel Arbeit. Die Leute im Saanenland wissen aber inzwischen, dass wir etwas Solides machen – das hilft.
Sie arbeiten erneut mit dem Komponisten Reto Stadelmann zusammen. Was bedeutet das für die Produktion?
JD: Sehr viel. Er ist ein aussergewöhnlicher Musiker, der Klassik, Volksmusik, Filmmusik und Jodel verbindet. Musik schafft Stimmung, sie trägt die Szenen und macht das Ganze geschlossener.
RD: Ich gebe ihm die Stellen an, an denen ich Musik fühle. Er liest das Stück und bringt auch seine eigenen Vorschläge ein. Wir passen die Stellen dann im Probenprozess an – manchmal wird etwas kürzer, manchmal intensiver. Es ist eine sehr schöne Zusammenarbeit.
Was wünschen Sie sich, dass das Publikum mitnimmt?
RD: Ich wünsche mir, dass die Menschen spüren: Das ist die Geschichte unserer Vorfahren. Nicht heroisch,nicht glorifiziert, sondern echt.
JD: Und dass man merkt, wie nah uns das alles ist.Der Krieg kam damals zum Glück nicht ins Land, aber die Unsicherheit war da. Die Figuren sprechen über Dinge, die wir heute auch kennen: Zusammenhalt, Neid, Überforderung, Mut. Und am Ende bleibt ein Funken Hoffnung. Das finde ich schön.
WORUM GEHTS IM NEUEN FREILICHTTHEATERSTÜCK?
«Soldat Vögeli» spielt zur Zeit der Mobilmachung des Zweiten Weltkriegs und führt auf den abgelegenen Hof Sonnegg nahe der französischen Grenze. Dort leben drei unverheiratete Geschwister (der vierte gilt als verschollen), deren Alltag von harter Arbeit und alten Spannungen geprägt ist. Vreni, die ältere, scharfzüngige Schwester, bestimmt mit ihrer verbitterten Art oft den Ton, während Rosa versucht, aus der Knappheit der Kriegsjahre mit heimlichem Schwarzhandel Vorteile zu ziehen. Armin, der gutmütige, aber körperlich beeinträchtigte Bruder, hält den Hof so gut er kann zusammen – doch die Konflikte sind zunehmend schwieriger zu bewältigen.
Im Zentrum der Handlung steht Berth Vögeli, der als Baby in einem Körbchen vor der Hoftüre abgelegt und von der Familie aufgenommen wurde. Er arbeitet seit jeher als Meisterknecht auf Sonnegg und trägt mit seinem Pflichtgefühl viel Verantwortung – bis er mit der Mobilmachung als Soldat an die Grenze muss. Seine Abwesenheit verstärkt die Brüche auf dem Hof spürbar. Ebenfalls zentral ist die Rolle des leicht beeinträchtigten, hochsensiblen Hilfsknechts Michi, der ebenfalls als Findelkind ein Plätzchen auf dem Hof gefunden hat und in dieser schwierigen Zeit als Kurier für brisante Informationen dient.
Neue Dynamik bringt Meieli, die beim Pfarrer aufgewachsene Tochter des verschollenen Bruders Wendel. Sie findet ihren Weg auf den Hof und wird zu einer wichtigen Verbindung zwischen den verschiedenen Lebenswelten.
Zwischen Hof, Pfarrhaus und Grenzbeiz erzählt das Stück eine vielschichtige Geschichte über Herkunft, Zusammenhalt, menschliche Schwächen und die Suche nach einem Platz im Leben. Wie sich die Familie in dieser schwierigen Zeit behauptet, zeigt der Theaterabend selbst.
SWO



