Zwischen kultureller Tradition und individueller Freiheit
21.10.2025 VorschauWie jedes Jahr beteiligt sich die Abteilung Gstaad des Gymnasiums Interlaken am Festival Literarischer Herbst (23. bis 26. Oktober). Eines der Werke, welches dieses Jahr vorgestellt wird, ist Çigdem Akyols Debutroman «Geliebte Mutter», mit dem sich auch die Klasse 28s ...
Wie jedes Jahr beteiligt sich die Abteilung Gstaad des Gymnasiums Interlaken am Festival Literarischer Herbst (23. bis 26. Oktober). Eines der Werke, welches dieses Jahr vorgestellt wird, ist Çigdem Akyols Debutroman «Geliebte Mutter», mit dem sich auch die Klasse 28s auseinandergesetzt hat.
Die Autorin
Çigdem Akyol wurde 1978 in Herne (DE) geboren und studierte Osteuropäische Geschichte und Völkerrecht in Köln, mit Stationen in Russland. Nach dem Besuch der Berliner Journalistenschule war sie Redakteurin bei der taz in Berlin. Anschliessend war sie Korrespondentin für die österreichische Nachrichtenagentur APA in Istanbul, von wo sie auch über den Putschversuch 2016 berichtete. Sie schrieb unter anderem auch für die «Zeit Online», FAZ, NZZ und ntv.de und schrieb beispielsweise «Erdogan. Die Biografie» (Herder, 2016) und «Die gespaltene Republik. Die Türkei von Atatürk bis Erdogan» (S. Fischer, 2023).
2024 veröffentlichte Akyol mit «Geliebte Mutter – Canım Annem» ihren ersten Roman, in dem sie furchtlos die Geschichte einer Frau erzählt, die in einer Familie aufwächst, in der jeder eine andere Sprache zu sprechen scheint und aufzeigt, wie viel eine Person auszuhalten vermag – wenn es um die eigene Familie geht.
Das Werk
Als Aynur mit Alvin verheiratet wird, ist sie erst 19 Jahre alt, trägt gerne Schlaghosen und taillierte Blusen und hat für Frauen mit Kopftuch nur Spott übrig, so beispielsweise für die Mutter des Mannes, mit dem sie gegen ihren Willen verheiratet werden soll. Da Alvin in Deutschland arbeitet, muss Aynur nach der Hochzeit in ein Land umziehen, in dem sie weder die Sprache noch Menschen kennt. Die Geschichte wird erzählt durch die gemeinsame Tochter Meryem, die längst erwachsen ist, als ihr Vater stirbt. Für sie und ihren Bruder ist es ein glücklicher Tag. Zu tief sind die Wunden, die ihnen beide Eltern zugefügt haben. Meryem und Ada versuchen, die vielen zerrissenen Leben ihrer Mutter zu verstehen – und ihr am Ende zu vergeben.
Çigdem Akyol beschreibt in ihrem Debutroman die Folgen einer erzwungenen Ehe, erzählt vom Verlust von Identität und einer andauernden Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Heimkehr. Die Geschichte zeigt aber auch, wie es Ada und Meryem gelingt, aus Klassenschranken auszubrechen, sich selbst zu behaupten und aufzusteigen. Fassungslosigkeit, Wut, Hoffnung und Freude stehen in diesem Roman eng nebeneinander und machen es schier unmöglich, ihn wegzulegen.
Die Klasse 28s kommentiert
«Der Roman ist in einfacher und leicht verständlicher Sprache geschrieben, wodurch man den Geschehnissen gut folgen kann.»
«Durch ihre direkte Art, alles genaustens und detailliert zu beschreiben, kann man sich in die Situationen leicht hineindenken; durch die Nüchternheit und teils Emotionslosigkeit wird man aber davor bewahrt, sich zu tief in die Figuren hineinzufühlen.»
«Nüchtern und furchtlos werden die schwer zu überwindenden Konflikte zwischen kultureller Tradition und persönlicher Freiheit aufgezeigt und geschildert.»
«Das Erzählen der teilweise kurzen Kapitel und der Erzählstilwechsel in zwei Perspektiven zeigt eindrücklich die Reflexion über die Geschehnisse im Familienleben auf – mitten im Brennpunkt, mitten im Chaos, mitten in den Turbulenzen. Bei der Verwendung der auktorialen Erzählperspektive erhält man einen Eindruck über die Empfindungen und Sorgen der Beteiligten, welche teilweise gar zu nüchtern dargestellt werden, die Verwendung der Ich-Perspektive finden wir in Kapiteln, in denen sich Meryem direkt an ihre Mutter richtet, Kritik äussert und trotzdem immer wieder versucht, deren Beweggründe für ihr Verhalten zu verstehen.»
«Beim Lesen dieses Romans fühlt man sich zeitweise fast etwas hilfund fassungslos, wenn man bedenkt, welche Ausreden immer wieder gefunden werden, um ‹falsches› Verhalten und die eigene Schwäche, nicht für sich einstehen zu können, zu rechtfertigen. Aber ich bin eine Aussenstehende. Ich frage mich, wie es in mir aussehen würde, wäre ich eine Direktbetroffene.»
GYMNASIUM INTERLAKEN, ABTEILUNG GSTAAD/ LARA GRUNDER, LEHRPERSON

