Werner Guttentag: ein Leben, das berührt
01.12.2017 Saanen, KulturAuf seiner Lesereise durch das deutschsprachige Europa machte Stefan Gurtner in Saanen halt. Er las aus seinem Buch über Werner Guttentag.
Langsam schritt Stefan Gurtner durch den Gang Richtung Bühne, stellte sich zu Beethovens Sechsten in eine gedankenverlorene Pose, umkreiste den Tisch langsam, auf dem ein alter offener Koffer stand, neben dem fein säuberlich Kleider aufgestapelt waren. Schon zu Beginn der Lesung von Stefan Gurtner vom vergangenen Montagabend im Landhaus wurde klar, dass es eine besondere würde.
Ein Leben in Kurzfassung
Alsdann setzte sich der Autor mit seiner rechten Hand Sabine Jorkowski an den Lesetisch und die beiden begannen aus der Biografie von Werner Guttentag zu lesen. Werner Guttentag, der die Literatur entdeckte, als die Nazis begannen, Bücher zu verbrennen. Er war Jude und flüchtete mit 18 Jahren nach Holland und von dort ein Jahr später nach Bolivien, wo seine Eltern bereits auf ihn warteten. Die Liebe zu den Büchern blieb über all die Jahre und so eröffnete er erst einen Bücherladen, dann einen Bücherverleih und später einen Verlag. Er wurde einer der bedeutendsten Verleger von südamerikanischen Autoren.
Hör- und Sehgenuss
Stefan Gurtner und Sabine Jorkowski lasen mit geschulten Stimmen, die sich spielerisch an die dramarturgischen Anforderungen anpassten. Die Zuschauer hatten das Gefühl, im Korridor der Guttentags zu stehen, als ein Gestapo-Beamter unaufgefordert deren Wohnung betrat und Werner Guttentags Zimmer durchsuchte, der alleine Zuhause war. Glücklicherweise konnte ihn Werner im rechten Moment ablenken, sodass der Nazi nicht auf die verbotenen Bücher stiess. Das nützte den Büchern jedoch nicht viel, denn die Mutter zog die Konsequenzen und verbrannte sie am ersten kalten Wintertag. Fesselnd war auch die Szene, als Werner Guttentag nach einem Jahr im Werkdorf Wieringermeer in Holland eine Fahrkarte für das letzte Schiff, das nach Übersee auslief, ergattern konnte. Im Gepäck hatter er nicht nur den oben genannten Koffer, sondern auch sein Fahrrad und die Schreibmaschine seines Vaters – einzig eine Kiste Bücher musste er zurücklassen, was er sich bis am Ende seines Lebens nicht verzieh.
Genauso spannend ging es in Bolivien weiter. Zum Beispiel als der gefürchtete «Schlächter von Lyon», der Nazi Klaus Barbie, sein Unwesen in Bolivien fortsetzte, wiederum ungesühnt unter dem Regime des Militärs. Eine grosse Genugtuung durchströmte Guttentag, als Barbie, der seinen Freund in Holland umgebracht hatte, in den 1980er-Jahren endlich an Frankreich ausgeliefert und in lebenslange Haft gesetzt wurde. Die herausragende Leistung Guttentags als Buchverleger, Buchpreisinitiant und literarischer Rebell gegen das Militärregime wurden am tiefgründigen Abend gewürdigt.
Intensive Arbeit, spannendes Buch
Die von Stefan Gurtner verfasste Biografie ist in der Ich-Form geschrieben und enthält viele lebhafte Dialoge, die durch unzählige Interviews mit dem 2008 verstorbenen Guttentag entstanden sind. Stefan Gurtner hat fünf Jahre am detaillierten Buch gearbeitet. Darin hat er nicht nur das Leben und Wirken Guttentags verarbeitet sondern auch das politische Umfeld, in dem er sich bewegte.
Freunschaftlich verbunden
Stefan Gurtner ist im Saanenland aufgewachsen und lebt seit 1987 in Bolivien in Südamerika, wo er die Institution «Tres Soles» gründete und leitet, die mit sozial benachteiligten Kindern arbeitet. Werner Guttentag hat das erste Buch von Stefan Gurtner, «Krumme Pfote», in die Hände gekriegt und war begeistert. Er wollte es auch im Guttentag-Verlag herausgeben. Daraus ist nicht nur eine enge Zusammenarbeit, sondern auch eine langjährige Freundschaft geworden.