Martha Stettler: eine Impressionistin zwischen Bern, Paris und … Lauenen

  13.07.2018 Kultur, Kunst

Das Kunstmuseum Bern würdigt die Malerin Martha Stettler mit einer intimen Ausstellung.

Am 25. September 1870 wurde in Bern Adelheid Fanny Martha Stettler geboren. Sie war die zweite Tochter des Berner Architekten und Stadtbauinspektors Eugen Stettler, der unter anderem das Berner Kunstmuseum baute, und der Clara, geborene von Fischer. Die talentierte Martha wurde von ihrem kunstsinnigen Vater tatkräftig unterstützt: Unüblich für die damalige Zeit wollte Martha Künstlerin werden. So besuchte sie ab 1886 die Kunstschule in Bern, die ihren Sitz just im Berner Kunstmuseum hatte. Hier lernte sie die neun Jahre ältere baltische Malerin Alice Dannenberg – scherzhaft «Die Tanne» genannt – kennen, die zu ihrer Lebens- und Schaffenspartnerin wurde.

1892 übersiedelten sie nach Genf zu weiteren Studien an der Ecole des Beaux-Arts und 1893 nach Paris. Hier entstanden Martha Stettlers Meisterwerke. Meist skizzierte und malte sie im Jardin du Luxembourg spielende Kinder mit Schiffchen in spiegelnden Wasserbecken oder mit tanzenden Kreiseln, Kindermädchen mit adrett angezogenen Zöglingen, elegante Damen mit Sonnenschirmen – eine postimpressionistische Szenerie, die in der Schweizer Malerei einmalig ist.

Alltägliche Motive
Martha Stettler stellte häufig Kinder dar. Oft waren es ihre Nichten und Neffen, die Kinder ihrer Schwester Marie von Steiger in St. Blaise. Immer wieder erscheint in ihren Bildern eine fabelhafte Puppe in einem weissen, bestickten Kleid. Nicht nur konnten diese Bilder dank der Puppe lokalisiert werden, nein, es scheint, dass diese bis heute überlebt hat.

In den Sommermonaten weilten Martha und ihre Partnerin oft im Ortbühl in Steffisburg, dem Landsitz der Familie Stettler. Wie durch ein Wunder hat ein grosser Teil ihres Nachlasses einen Brand im Dachstock überlebt. Ferientage verbrachten Martha Stettler und Alice Dannenberg aber auch in Lauenen, wo Gertrud Züricher, die Schwester ihrer Malerfreundin Bertha, ein Häuschen auf dem «Hübi» besass. Von hier zog es die offensichtlich sportliche Künstlerin auch auf den Kühdungel und die Geltenalp. Es entstanden prächtige Bilder des Wildhorns, des Geltengletschers oder eines Suufsunntigs auf der Geltenalp. Wie mögen die Sennen und Küher auf der Gelten die malenden Damen in langen Röcken, mit genageltem Schuhwerk und mit dem hölzernen Rahmen zum Einspannen der Skizzenbrettchen empfangen haben? Die Ziege hat sich jedenfalls nicht aus dem Konzept bringen lassen … Im Saanenland entstanden nur selten grosse Gemälde auf Leinwand; ihre originellen Ölskizzen auf Holz zeugen von einem eigenständigen, ja modernen Blick auf die Alpenwelt.

In der Kunstmetropole
1909 übernahmen die beiden Künstlerinnen die Leitung der Académie de la Grande Chaumière in Paris. An der noch heute bestehenden Akademie liessen sich bekannte Künstler wie Alberto Giacometti, Meret Oppenheim oder Louise Bourgeois ausbilden.

Ein Spezialgebiet war das Aktzeichnen: Die Schüler hatten die Wahl, ein Modell innerhalb eines Tages, einer Stunde oder innerhalb von fünf Minuten aufs Papier zu bringen. Der Fortbestand der Akademie wurde zur Lebensaufgabe der beiden Frauen, Martha Stettler war daher mit organisatorischen Aufgaben stark beschäftigt, für ihre eigene Malerei blieb wenig Zeit. Mit der Anstellung einflussreicher Lehrer und dem Angebot experimenteller Unterrichtsmethoden sowie ihrem unkonventionellen Engagement – selbst in Kriegs- und Krisenzeiten – setzten die beiden Künstlerinnen wichtige Akzente.

1939 kauften sich die beiden Künstlerinnen in einer Vorstadt von Paris ein Haus: zauberhafte Interieurs und Gartenszenen illustrieren ein grosses häusliches Glück.

1943 übergaben sie die Leitung der Akademie, 1945 planten sie in die Schweiz und in eine Künstlerkolonie in Südfrankreich zu ziehen. Doch es kam anders. Am 16. Dezember 1945 starb Martha Stettler unerwartet an einer Lungenentzündung. Alice Danneberg überlebte sie und starb 1948.

Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern dokumentiert anhand grosser Bilder Parkszenen, Interieurs und Landschaften sowie zahlreicher Ölskizzen das grossartige, bisher nur Kennern bekannte Schaffen Martha Stettlers. Sie überzeugt nicht nur durch eine brillante Technik und ein besonderes Gespür für das Komponieren von Darstellungen, ihre Bilder sind auch mentalitätsgeschichtlich von Bedeutung und einzigartig in der Schweizer Malerei des 20. Jahrhunderts.

FRANZISKA HALDI

Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern dauert bis zum 29. Juli. Der Ausstellungskatalog enthält zahlreiche farbige Abbildungen und fundierte Texte der Kuratorin Corinne Linda Sotzek, die als eigentliche Martha-Stettler-Expertin gilt, hat sie doch über die Künstlerin ihre Doktorarbeit verfasst. Der Katalog erscheint im Verlag Scheidegger und Spiess und kostet Fr. 49.–.

www.kunstmuseumbern.ch


BILDER VON MARTHA STETTLER

Wer im Saanenland Bilder von Martha Stettler oder den Geschwistern Züricher kennt oder besitzt, möge bitte mit der Autorin Franziska Haldi Kontakt aufnehmen! [email protected]


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