«Ein wenig Wissen» für Gstaad

  24.12.2019 Interview, Kultur

Die Künstlerin Jenny Holzer kombiniert Sprache und Ästhetik und sorgt damit international für Aufsehen. Ihre temporären Wortprojektionen werden Gstaad im Rahmen der Ausstellung «A Little Knowledge» von Hauser & Wirth erleuchten.

SARA TRAILOVIC

Projektionen von Jenny Holzer in Gstaad. Eine Ehre, würde ich behaupten.
James Koch:
Tatsächlich. Auch für mich war es zu Beginn ein Traum, dass Jenny Holzer hier in Gstaad ausstellen könnte. Ich verehre sie als grosse Künstlerin. Jenny Holzer hat wirklich etwas zu sagen, in der Kunstwelt und im wahrsten Sinne des Wortes.

Oft steht die Sprache im Zentrum der Arbeiten. Stammen die Texte aus Holzers Feder?
Nein, nicht alle. Jenny Holzer arbeitet auch mit Gedichten anderer Kunstschaffenden und offiziellen Dokumenten. In anderen Texten mischt sie Gehörtes und Gesehenes mit ihrer eigenen Sprache zusammen.

Trotzdem sprechen ihre Werke auch visuell an.
Jenny Holzer hat zwei Ansprüche: ernsthafter Inhalt und hohe Ästhetik.

Können Sie ein Beispiel nennen?
In ihrer laufenden «Redaction-Serie» inszeniert sie Dokumente, die im Rahmen des US-amerikanischen «Transparency Acts» freigegeben worden sind. Das Ironische dabei ist, dass manche Papiere bis auf die Seitenzahl geschwärzt sind. Ist das wirklich Transparenz? Diese Frage stellt Jenny Holzer, indem sie die geschwärzten Teile mit Gold und Silbertönen veredelt. Dadurch hebt sie einerseits die visuelle Schönheit der Dokumente hervor, anderseits thematisiert sie den Schein der Transparenz.

Holzer übt mit ihrer Kunst Gesellschaftskritik aus. Will sie mit den Projektionen auf das Palace und den Wald unterhalb des Hotels Alpina auch Gstaad kritisch beleuchten?
Nein, es geht ihr nicht darum, den Ausstellungsort zu kritisieren, sie will zum Denken anzuregen. Holzer hat eine Message und möchte diese an möglichst verschiedenen Orten vor möglichst unterschiedliches Publikum bringen.

Welche Botschaft hat sie für Gstaad?
Ihr berühmtes Werk «Truisms» wird auf zwei Fassaden des Gstaad Palace sowie den Baumkronen unterhalb des Hotels Alpina zu lesen sein. Direkt übersetzt heisst «Truism» Binsenweisheit. Bei Holzers Arbeit handelt es sich dementsprechend um eine Sammlung von anregenden Sätzen und Sinnsprüchen. Inhaltlich geht es um menschliche Spannungsfelder wie Fake und Echt, Individuum und Kollektiv oder Gefühl und Wissen. Eines der bekanntesten Beispiele ist «Protect me from what I want» – «Schütze mich vor meinen Wünschen». Menschen halten sich an solchen «Kalendersprüchen» fest.

Wieso werden gerade die beiden genannten Orte zur Leinwand für die «Truisms»?
Mit der Projektion auf das Waldstück gehen wir darauf ein, dass wir hier eben nicht in einer Grossstadt sind. Dabei geht es der Künstlerin um das Zusammenspiel von Natur und Sprache. Ausserdem verleihen die Bäume den Buchstaben aus Licht eine ganz besondere Textur – wiederum spielt die Ästhetik eine wichtige Rolle.

Die Wahl des Hotels Gstaad Palace als Projektionsfläche überrascht nicht gerade …
Das Gebäude ist ikonisch für Gstaad. Es besitzt einerseits eine auffallende Architektur und ist von vielen Orten her sichtbar. Besonders der zweite Punkt ist der Künstlerin wichtig. So kann der Betrachter die Sätze alleine reflektieren oder in Gesellschaft darüber diskutieren. Wegen der grossen Sichtbarkeit soll das Werk ein breites Publikum ansprechen. Denn viele Leute werden die Sprüche auch von zu Hause sehen oder wenn sie aus dem Zug aussteigen. Die Vernissage der Ausstellung findet vor dem Posthotel Rössli statt. Die Promenade ist für alle gut erreichbar und bietet Sicht aufs Gstaad Palace.

Kunst im öffentlichen Raum.
Genau. Jenny Holzer möchte, dass ihre Arbeit für alle zugänglich ist. Diese Ansicht teilen wir mit den beiden Kunstmäzenen der Region: Alex Hank und Maja Hofmann. Sie hat mit ihrer Stiftung die Elevation 1049 und damit das Spiegelhaus ermöglicht und Hank hat dieses Jahr bereits eine öffentliche Ausstellung im neuen Kunstraum Tarmak 22 im Hangar des Gstaad Airports organisiert. Beide unterstützen nun auch die Lichtinstallationen.

Ich stelle es mir schwierig vor, Baumwipfel zu beleuchten.
Das Wetter, zum Beispiel starker Schneefall, könnte sicher eine Herausforderung darstellen. Deshalb ist Holzers erfahrenes Team aus Kanada und Amerika vor Ort. Jenny Holzer überlässt bei der Vorbereitung nichts dem Zufall und ist sehr involviert.

Gibt es auch Künstler, die bei den Vorbereitungen weniger mitreden wollen?
Es kommt ganz auf die Werke an. Manche können an die Location angepasst werden, andere lassen nicht viel Entscheidungsspielraum zu. Im Allgemeinen habe ich die Erfahrung gemacht, dass unsere Künstler und Künstlerinnen sich beim kuratorischen Prozess engagieren und genau wissen wollen, wie ihre Werke schliesslich ausgestellt werden. Jenny Holzer gehört dazu, sie wird auch bei der Vernissage persönlich dabei sein.

In Gstaad sind Werke von Hauser & Wirth sonst nur geladenen Gästen in Ihrem Wohnhaus «Vieux Chalet» auf dem Oberbort zugänglich. Bei «A Little Knowledge» machen sie Gebrauch vom Tarmak 22.
Das ist so. Wir möchten damit interessante Kunst auch im Saanenland für alle sichtbar machen und künstlerspezifische Ausstellungen organisieren. Dazu ist ein Raum wie Tarmak 22 besser geeignet als mein Privathaus, wo immer wieder verschiedene Werke zu sehen und kaufen sind.

An der Art Basel in Miami waren die neusten Gemälde Holzers ausgestellt, welche die politische Situation in Amerika thematisieren. Werden diese auch hier zu sehen sein?
Ja, es sind auch aktuelle Werke wie die Gemälde zum «Transparency Act» dabei. Die Ausstellung in Saanen führt aber durchs ganze Werk der Künstlerin, zeigt also die Breite der Medien mit denen sie arbeitet: Texte in Granitbänke gemeisselt, auf LED-Bändern installiert oder eben durch Gouachefarbe inszeniert. Inhaltlich beschäftigen sich ihre Werke mit grossen Themen wie Macht, Konsum, Sex und Krieg. Sie ist geradlinig und tut nichts, um jemandem einen Gefallen zu tun oder zu gefallen.

Holzers «Truisms» wurden zuletzt auf das Rockefeller Center in New York und das Guggenheim Museum Bilbao projiziert. Wie hat sie reagiert, als Sie ihr den Vorschlag für die kommende Ausstellung im Saanenland unterbreitet haben?
Sie hat gesagt: «Die Idee gefällt mir, es ist ein interessanter Ort.» Als wir Jenny Holzers Bilder der Region zeigten, assoziierte sie diese sofort mit Natur, zu der sie selbst eine starke Verbindung spürt. Gstaad bietet ihr Schönheit und ein interessiertes Publikum – Leute aus der ganze Welt und Einheimische kommen hierher. Und jeder nimmt die Werke mit einer anderen Perzeption wahr. Um auf die Vielsprachigkeit der Schweiz einzugehen, hat sie die englischen Texte erstmals in die Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch übersetzt.

Eine letzte Frage stellt sich noch: Woher kommt der Titel der Ausstellung?
Er ist Teil eines ihrer ersten «Truisms»: «A little knowledge can go a long way.» Das heisst sinngemäss übersetzt: «Ein wenig Wissen kann weite Kreise ziehen». Dieser Satz ist symbolisch für die Arbeit der Künstlerin: sehr anregend, lässt aber auch vieles offen.

Die Werke von Jenny Holzer sind vom 27. Dezember bis zum 22. Januar sind im Tarmak 22 in Saanen ausgestellt. Die Projektionen in Gstaad sind vom 27. Dezember bis am 4. Januar sowie vom 13. bis 17. Februar jeweils von 19 bis 20.30 Uhr zu sehen.


ZUR PERSON

Die 1950 im US-Bundesstaat Ohio geborene Jenny Holzer ist besonders für konzeptionelle Kunstprojekte im öffentlichen Raum bekannt. Im Jahr 1982 rief sie beispielsweise Passanten auf der LED-Leuchttafel am Times Square in New York mit Texten wie «Abuse of power comes as no surprise» – «Machtmissbrauch kommt nicht von ungefähr» – zum Nachdenken auf. Mit dieser Aktion wurde sie weltbekannt. Mit vielfältigen Medientechniken und starken Botschaften hat sie die Gegenwartskunst nachhaltig mitgeprägt. Seit mehreren Jahren wird Jenny Holzer von der Zürcher Galerie Hauser & Wirth vertreten, die in Form des «Vieux Chalet» auf dem Oberbort und Projekten wie «Cinemart» auch in Gstaad vertreten ist.


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