Ein Balg wird nicht als Balg geboren

  21.01.2020 Kultur, Lauenen, Bildung

Gleich ihr Debütroman «Balg» kam auf die Shortlist des Schweizerischen Buchpreises 2019: Tabea Steiner hob 2019 ab und machte letzte Woche Zwischenhalt in Lauenen.

BLANCA BURRI
In diesem Kontext darf «abheben» einzig mit der Tatsache des grossen Erfolgs von «Balg» gleichgesetzt werden, niemals aber mit der Person Tabea Steiner. Die Ostschweizerin ist nämlich bodenständig, zugänglich und sympathisch. Die 38-Jährige ist in einer, wie sie selbst sagt, bildungsfernen Bauernfamilie auf dem Land aufgewachsen. Genau dieses Motiv nahm sie im «Balg» auf: Das Leben auf dem Dorf, wo mehr übereinander, als miteinander geredet wird. In der ländlichen Umgebung versuchen verschiedene Figuren ihren Platz zu finden, was nicht allen gelingt.

Das Kind – die Mutter
Eigentlich beginnt «Balg» mit einer verklärten Sehnsucht. Ein Paar zieht von der Stadt aufs Land, wo es eine Familie gründet. Mit der neuen Situation ist es aber überfordert: Die intensive Betreuung des Kleinkindes wie auch das enge Leben auf dem Land und das Fehlen ihrer Freunde machen den beiden zu schaffen. Die Beziehung zerbricht. Danach zieht der Vater in die Stadt zurück. Es bleiben das Kind und die Mutter. Beide haben einen Namen. Erzählt Tabea Steiner aber aus ihrer Sicht, so verwendet sie diese selten. Vielmehr redet dieses «Kind» von der «Mutter» und markiert damit die Distanz, welche die beiden zueinander haben. Eine lieblose Beziehung, die aus dem eigentlich aufgestellten und aktiven Jungen ein kleines Ungeheuer macht. Im Nacken sitzen der Mutter ihre eigenen unverdauten Erlebnisse – sie war in demselben Dorf aufgewachsen –, die sie konsequent ablehnt aufzuarbeiten.

Entstanden ist ein düsteres Buch mit kleinen Hoffnungsschimmern. Eine Geschichte, die sich bis zu einem gewissen Punkt genau so in der Realität hätte abspielen können. Wahrscheinlich – oder besser gesagt hoffentlich – würde in der Realität die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde eingreifen und den Jungen aus dieser hoffnungslosen Situation retten. Erstaunlich sind die Beschreibungen von Mechanismen, wie sie sich nur auf dem Land zutragen können. «Sie sind nicht autobiografisch», versicherte Steiner, «aber ich habe sie in meiner Jugend von der Ferne beobachtet.»

Hinter die Kulissen schauen
Die Lesung fand im Rahmen des Literarischen Herbstes statt und wurde von Liliane Studer moderiert. Rund zwanzig Interessierte waren an der Lesung der Mitinitiantin des Literaturfestivals «Literaare» Tabea Steiner anwesend. Ein gesellschaftskritischer Roman, der für einmal hinter die Kulissen der heilen ländlichen Welt schaut.


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