Abschied nehmen ist nicht einfach

  17.03.2020 Gesellschaft, Gstaad, Event

Und nachher? «Abschied und Trauer gestalten» hiess der letzte Vortrag in der Reihe «Leben und Sterben in Würde». Drei Pfarrpersonen gaben sehr persönliche Einblicke in die mögliche Trauergestaltung.

«Als mein Mann gestorben war, war es, als ob ich aus der Welt gefallen wäre», zitierte Pfarrerin Kornelia Fritz die Witwe Cornelia Kazis. Das zeigt eindrücklich auf, was für ein grosses Loch ein geliebter Mensch hinterlassen kann.

Traditionen und Rituale
Pfarrer Alexander Pasalidi stört sich daran, dass der Tod nicht mehr zu Hause stattfindet und somit seine persönliche Note verloren hat. «Heute ist es ein organisierter Tod in Altersheimen und Spitälern», sagte er nachdenklich. Die Trauernden seien oft sprachlos und verdrängten die Trauerarbeit. So gebe es immer mehr Beisetzungen in aller Stille oder die Bestattung werde ganz ausgelassen. Er gab einen Einblick in die Trauerbegleitung, welche die katholische Kirche anbietet. «Eine Beerdigung dauert nur gerade eine Stunde, ein Trauerjahr aber 8760 Stunden», zog Pasalidi den zeitlichen Vergleich. Er führte in die Rituale und Traditionen ein, die die katholische Kirche vorsieht: Krankenbesuche, die Krankensalbung, das Öffnen des Seelenlochs nach dem Eintreten des Todes, die Aufbahrung, das Abschiednehmen vom Leichnam, Sterbekreuz und Sterbekerze, die Totenglocke, der Leichenschmaus und schliesslich Gedenk- und Feiertage zu Ehren der Verstorbenen. Er rief dazu auf, den Tod vor Augen zu haben, denn er gehöre zum Leben. Das heisse, dass man jeden Tag bewusst leben soll.

Sich erinnern und Geschichten erzählen
Manchmal ist der Weg langsam, manchmal schnell, Trauern sei individuell und bei jeder Person anders, sagte Pfarrerin Marianne Aegerter. Im Trauerprozess gehe es nicht darum, den Toten zu vergessen, sondern wie in einem Fotobuch die wichtigsten Erinnerungen zu sammeln. «Wir erinnern uns an ihn und erzählen uns Geschichten. Schöne und belastende.» Der Schock stehe immer am Anfang eines Trauerprozesses. Dann befänden sich die Hinterbliebenen in einem Ausnahmezustand. Alles für die Beerdigung werde organisiert, der Lebenslauf gschrieben und die Angehörigen informiert. «Die Begleitung durch eine Pfarrperson erlebte ich unlängst als sehr hilfreich», erzählte die Gstaaderin. Sie sei betroffen und trauere mit den Angehörigen mit und doch sehe die Pfarrperson die Situation aus einer gewissen Distanz und könne deshalb unterstützend wirken. Der Traueralltag beginne erst nach der Beerdigung. «Dann muss man schwimmen lernen», sagte sie metaphorisch. Hilfreich sei, wenn man sich an einem bestimmten Platz an die oder den Verstorbenen erinnern könne. «Ich finde den Friedhof sehr schön. Im Schutz von Mauer und Kirche kann man die Stille geniessen, sich an die gemeinsame Zeit erinnern, lachen, weinen oder einfach einen Moment auf einer Bank sitzen.» Dort begegnet man Menschen, die das gleiche Schicksal teilen.

Wünsche des Sterbenden akzeptieren
«Früher war es von der Kirche vorgegeben, wie wir mit der Trauer umgehen sollen, heute sind wir darin freier, deshalb sind viele auf der Suche», sagte Hansueli Minder, reformierter Heimseelsorger. Ein enger Freund sei vor wenigen Wochen verstorben. Obwohl Minder seit Jahren Trauerbegleitung macht, sei das eine noch viel intensivere existenzielle Erfahrung gewesen. Bis zum Schluss sei er mit den Töchtern an der Seite des 56-Jährigen geblieben. «Bei der Sterbebegleitung müssen wir etwas vor Augen haben: Jeder hat das Recht, so zu sein, wie er ist.» Damit meinte er, dass man den Sterbenden und seine Wünsche ganz ins Zentrum stellen solle. Und jeder sei wie im Leben auch im Sterben unterscheidlich. Jeder habe Ecken und Kanten und so sei es zum Beispiel als Angehöriger nicht einfach, den Wunsch zu akzeptieren, dass man vom Sterbenden nicht mehr persönlich Abschied nehmen dürfe.

Achtsamkeit
Hansueli Minder empfahl, in der Sterbebegleitung 60 Prozent seiner Kräfte für sich und 40 Prozent für den Sterbenden und sein Umfeld zu reservieren. «Denn nur wer Kraft hat, kann helfen», begründete er. Deshalb sei es wichtig, zu fragen, wer übernehmen könne, wenn man eine Pause brauche.

Abschied nehmen
Er gab ein paar eindrückliche Beispiele, wie Heimbewohner und Mitarbeitende über den Tod eines Bewohners informiert werden und wie sie Abschied nehmen können. Zum Teil werde die Botschaft persönlich im Aufenthaltsraum überbracht. Der Leichnam werde oft für ein paar Stunden im Heim aufgebahrt, damit die Heimbewohner abschied nehmen können. In gewissen Heimen würde der Sarg schliesslich von den Mitarbeitenden zum Leichenwagen begleitet. Wichtig sei, dass er durch den Haupteingang hinausgetragen werde, dort, wo der Bewohner auch das Heim betreten habe. «Eine sehr schöne Geste ist die Gedenkstätte für einen Bewohner mit Trauerbuch, wo man seine Gedanken eintragen kann», sagte Hansueli Minder.

In der anschliessenden kurzen Diskussionsrunde gab eine Zuhörerin den Tipp, auch Kinder in den Trauerprozess einzubeziehen. «So lernen sie mit dem Tod umzugehen.» Kornelia Fritz bestärkte diesen Input und erweiterte ihn. «Kinder haben oft einen direkteren Zugang zu Trauernden. Sie erreichten sie noch immer, wenn sie sich für andere Leute verschlossen hätten. «Deshalb sind Kinder an Beerdigungen ein Geschenk.»

«Es war toll!»
Die Veranstaltungsreihe wurde von den Landeskirchen des Saanenlandes, den Alters- und Pflegeheimen Pfyffenegg und Maison Claudine Perreira, beide Saanen, sowie dem Spitexverein Saanenland organisiert. Stellvertretend zieht Pfarrer Bruno Bader Bilanz: «Es war toll!» Die Zusammenarbeit der verschiedenen Organisatoren sei erstmalig und einmalig gewesen. «Aus meiner Sicht war es eine der besten Veranstaltungsreihen der letzten Jahre», sagte er. Die Besucherzahlen gaben ihm Recht. Bis das Coronavirus sich bemerkbar machte, war der Saal immer fast bis auf den letzten Platz besetzt. Nur beim letzten Anlass sassen die rund 30 Personen verstreut im Saal. Ob es Folgeveranstaltungen zum Thema Leben und Sterben geben wird, steht noch offen. «Wir ziehen nun Bilanz und beraten uns», so Bader.

PD


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