«Man muss den Leuten Verantwortung geben»

  15.05.2020 Porträt, Volkswirtschaft, Tourismus, Saanenland, Serie

Er ist ein Macher und ein Chrampfer, kein Sprücheklopfer. Er hat die Welt gesehen, aber im Saanenland fühlt er sich zu Hause. Er ist ein Familienmensch – wobei der Begriff Familie weit gefasst ist.

ANITA MOSER
Als Alltagsheld vorgeschlagen wurde Sämi Moor von Michel Hediger. Seine Begründung: «Sämi ist kein Papiertiger, er ist ein Macher, in allen Bereichen.» Diesem ist es eher peinlich, als Alltagsheld bezeichnet zu werden. Ich lerne ihn als bescheidenen, eher zurückhaltenden Menschen mit klarer Haltung kennen.

Als ich ihn im Pasatiempo treffe, ist Corona noch weit weg – eher bekannt als Biermarke denn als tödliches Virus. Und Hongkong – dort, wo seine Lebenspartnerin Betina Moor aufgewachsen ist – macht mit anhaltenden Demonstrationen gegen die Regierung aus Peking Schlagzeilen.

Schon als Bub war Sämi Moor lieber draussen als drinnen. Er schiebt die Sonnenbrille hoch: «Acht Sommer war ich auf der Alp Plani als Statterbub.» Nach einem Bauernlehrjahr hat er die Branche gewechselt, lernte Zimmermann bei Markus Kunz im Reichenstein. Es habe ihm dort gut gefallen, «weil es ein Miteinander war. Meistens waren wir zu dritt – der Chef, ein Mitarbeiter und ich.» Sagts und verschwindet in der kleinen Küche, um im Fondue zu rühren und eine – von A bis Z selbst gemachte – Pizza in den Ofen zu schieben.

Das Pasatiempo ist aus einer «Bieridee», im Kollegenkreis nach einem Schwingfest, entstanden. «Es ist ein schöner Platz und wir sagten uns: ‹Komm, wir machen hier eine Bar auf›.» Das war im September 2005. «Einen Monat später haben wir einen Anhänger auf den Platz gestellt und für die Saison eine Bewilligung beantragt.» Die ersten zwei Winter sei es ihnen noch nicht so ernst gewesen. War das Wetter schön, lockte der Pulverschnee. Mit den Jahren wurde die Bar ausgebaut – mit einem ausgeklügelten System, sodass es für die Angestellten relativ leicht ist, den Betrieb am Abend zu schliessen.

Jeden Frühling wird alles demontiert und Anfang Winter wieder aufgebaut.
Sämi Moor hat sich zuvor auch beim Slide Desaster engagiert, hat die Bar beim High Fly betreut und während acht Jahren mit Simon Bolton und weiteren Kollegen das Pub in Saanen geführt. «Wir waren eine kleine Familie und sind es immer noch», erzählt Moor. So habe er eigentlich keine Probleme bei der Personalrekrutierung. «Es spricht sich herum, dieser kennt jenen und jener diesen … Das ist eigentlich das Schönste», schwärmt er. Als Chef lässt er seinen Mitarbeitenden viel Freiraum. «Man muss den Leuten Verantwortung geben.» Er selber ist sich aber nicht zu schade, überall mitanzupacken. Hat der Koch seinen freien Tag, steht er in der Küche und an der Theke. Qualität sei das A und O, betont er. «Und man muss sich stets weiterentwickeln. Das Einzige, was wir nicht beeinflussen können, ist das Wetter.»

Der 40-Jährige ist viel in der Welt herumgekommen. Er ist geklettert, hat gesurft. Nun ist der Vater eines kleinen Sohnes sesshaft geworden. «Ich habe das Glück, dass ich wohnen kann, wo ich aufgewachsen bin.» Für ihn ist das Saanenland geografisch gesehen keine Randregion. «Du bist schnell am Genfersee, in Thun, im Wallis.»

Sämi Moor ist offen, tolerant und vor allem achtsam. Neben viel Sonnenschein hat er auch Schattenseiten des Lebens kennengelernt. Er hat einen engen Freund beim Klettern verloren und auch seine Kindheit hat ihn geprägt. «Mein Bruder ist Autist. Viele Leute setzen Behinderung gleich mit dumm.» Sein Bruder habe seine eigene Art gehabt, sich mitzuteilen. «Es ist mir früher recht eingefahren, wie uns die Leute angeschaut haben, wenn wir auswärts essen oder mit ihm unterwegs waren. Als ob sie sagen wollten: ‹Wie kann man mit einem behinderten Kind auswärts essen gehen …›.» Sein Bruder habe das alles mitbekommen, ohne sich mitteilen zu können. «Heute schreibt er auf dem Computer. Das ist super schön.» Sämi Moor nimmt die Sonnenbrille ab, fährt sich durch die Haare, setzt die Brille wieder auf. «Meine Mutter hat nie aufgegeben, sie hat nach Möglichkeiten gesucht, bis sie auf die unterstützte Kommunikation gestossen ist.»

«Ich finde es schade, wenn man jemanden ausgrenzt», sagt Sämi Moor. Heute sei vieles oberflächlich. Jeder wolle seine besten Fotos auf Instagram zeigen. «In einer Zeit, wo man eigentlich so viel weiss und so viel kann, entwickeln wir uns in vielen Belangen rückwärts. Jeder schaut nur für sich.» Behinderte Menschen seien auf einer anderen Ebene. «Von ihnen kann man sehr viel lernen.»

Wir stellen Ihnen Menschen vor, die jenseits der Schlagzeilen die Geschichte des Saanenlandes mitschreiben. Leute, die im Hintergrund Fäden spannen, ihr Umfeld mit ihrer Art bereichern oder ganz einfach anders sind. Die Serie rollt wie ein Schneeball durch die Region, denn die Porträtierten wählen jeweils selbst einen/eine Nachfolger/in. Auf Wunsch von Samuel Moor besuchen wir als Nächstes Peter Zumbrunnen.
Folge 1: Michel Hediger, AvS vom 11. November 2019


ZUR PERSON

Samuel Moor ist 40 Jahre alt. Er wohnt in Gstaad und ist Vater eines kleinen Sohnes. Er arbeitet freiberuflich auf seinem Beruf als Zimmermann. Mit Kollegen zusammen hat er ein paar Jahre das Pub in Saanen geführt und aktuell betreibt er im Winter zusammen mit Dänu Brand das Pasatiempo sowie das Funi beim Rössli in Gstaad.


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