Auf dem Silbertablett serviert: Kunst für die lokale Bevölkerung

  25.08.2020 Saanen, Kunst

Wir gehören untrennbar zu ihr. Sie umgibt uns, nährt uns, ist unser Leben. Wir schöpfen Kraft aus ihr, pflegen sie, kontrollieren und bedrohen sie. Die Natur und der Mensch schreiben eine unvergleichliche Geschichte – eine Geschichte mit unendlich vielen Seiten. Einige davon werden in den Kunstwerken fünf junger Künstler/innen eingefangen, welche seit dem 26. August in der Ausstellung «The Sunrise Sings» in Saanen zu bewundern sind.

 

NADINE HAGER
Betonierte Rollbahnen durchziehen das Grün, Flugzeuge und Helikopter, Start und Landung wechseln sich ab vor der malerischen Bergkulisse. Und mitten drin: die Ausstellung im Tarmak 22 im Hauptgebäude des Flugplatzes von Saanen. Das rege Geschehen vor der Fensterfront und das Expositionsthema könnten nicht besser zusammenpassen
– ist doch dieser Flugplatz das beste Beispiel dafür, wie Menschgemachtes und Natur sich ineinander verschränken.

 

Fünf junge Kunstschaffende
Hinter jener Fensterfront des Tarmaks, welche den Blick auf das Geschehen des Flugplatzes freigibt, sind zurzeit die Werke von fünf jungen Künstlerinnen und Künstlern zu bewundern. Ambra Viviani, Katrin Niedermeier, Claudia Comte, Kaspar Ludwig und Gil Pellaton haben das Kunstinstitut «Hochschule für Gestaltung» (FHNW Academy of Art and Design) in Basel absolviert. Ihre Werke werden noch bis am 30. September im Tarmak ausgestellt sein.

 

Ungezügelte Bandbreite
Das Thema Natur wurde auf die unterschiedlichsten Arten reflektiert. So vereint «The Sunrise Sings» auch schiere Gegensätze und bringt das ganze Spektrum von reiner Ästhetik bis zu alles hinterfrageden Philosophien zusammen.

 

Katrin Niedermeier beispielsweise provoziert mit ihrer Videoinstallation, welche auf surreale Weise die Erfahrbarkeit der virtuellen Realität thematisiert. Alles dreht sich für sie um die Frage, inwiefern wir als Menschen noch Natur sein können in einer Welt, welche kaum mehr ursprüngliche Natur kennt. «Wenn wir in die ‹Natur› gehen, bewegen wir uns auf unseren künstlichen Wegen durch die bewirtschafteten Wälder. Nicht einmal unser Garten ist natürlich, der ist künstlich kultiviert.» Mit ihrem Fazit geht die Künstlerin jedoch deutlich über diese Erkenntnis hinaus: Sie hebt hervor, dass die Eingriffe in die Natur die Anpassung der Welt an unsere Bedürfnisse sind – und wir uns somit unsere eigene Welt erschaffen. Dabei zieht sie die Parallele zum Thema Virtualität, da auch diese eine von uns erschaffene Realität ist: «Wir erschaffen uns die Natur genauso wie die virtuelle Welt. Weshalb also ist unsere virtuelle Welt so viel virtueller als das, von dem wir denken, dass es real ist?»

 

Neben solch nachdenklich stimmenden Betrachtungsweisen bietet «The Sunrise Sings» aber auch reine Ästhetik: So sind von Claudia Comte Holzskultpuren zu bewundern, welche das innere Leben eines Baumes nach aussen kehren und mit ihren glatt geschliffenen Oberflächen und organischen Formen dem Auge schmeicheln. Zusätzlich verschönert wird deren Anblick durch die unterlegten Spiegelflächen, welche den Blick des Betrachters in den Sockel hineinführen und den Kunstwerken noch mehr Raum geben. «Durch die speziellen Formen wird die innere Struktur des Baumes, der Natur offenbart. Der Betrachter kann praktisch in die Skulptur eintreten durch die Betrachtung der ‹Venen› des Holzes», beschreibt Claudia Comte ihre Werke.

 

Ein Konzept für die lokale Bevölkerung
Die beiden Gründerinnen des Tarmaks 22, Antonia Crespi und Tatiana de Pahlen, sowie Kuratorin Chus Martinez, verfolgen mit «The Sunrise Sings» das Ziel, die Einheimischen direkt anzusprechen. «Diese Ausstellung haben wir für die lokale Bevölkerung gemacht. Es geht uns darum, dass sich die Leute auf die Emotionen einlassen, welche durch die Kunstwerke geweckt werden», erklärt Antonia Crespi. Sie wünsche sich, dass die Einheimischen einfach vorbeikommen, um sich auf die Kunst einzulassen und das Erlebnis zu geniessen. Deshalb werde auch kein Eintritt verlangt.

Ausserdem hat Kuratorin Chus Martinez aus diesem Grund die Kunsthochschule aus Basel für diese Zusammenarbeit angefragt. Dass die ausstellenden Künstler/innen aus der Schweiz kommen und jung sind, soll auf möglichst breiter Ebene Begeisterung wecken. So begründet die Kuratorin auch die Wahl des Ausstellungsmottos: «Ich habe sorgfältig nach einem Thema gesucht, das mit der lokalen Bevölkerung in Resonanz tritt. Mit dem Motto ‹Natur› wollte ich den hier lebenden Menschen zeigen: Die moderne Kunst liebt dasselbe, was sie lieben.» Chus Martinez hofft, dass die lokale Bevölkerung das Vertrauen und die Zeit findet, vorbeizukommen – und zu erleben, dass Kunst nicht durch die intellektuelle Beziehung zu ihr lebt, sondern durch die Emotionen und Einsichten, die sie zu schenken vermag.


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