Schüleraustausch in neuem Gewand

  15.09.2020 Saanenland, Interview, Bildung, Pays-d'Enhaut

Bereits seit 2004 läuft zwischen den Regionen Saanenland und Pays-dEnhaut gesetzlich geregelt ein freiwilliges Schüleraustauschprogramm. Das Ziel: die Förderung der Fremdsprachenkenntnisse von Schülerinnen und Schülern der Oberstufe. Nun sind von Gemeinden und Kanton wichtige Änderungen vorgenommen worden.

NADINE HAGER
Gerade mal eine Viertelstunde dauert sie von hier aus, die Zugfahrt vom deutschen in das französische Sprachgebiet. Die Nähe der beiden Sprachräume prägt die Region – und birgt Chancen für den Erwerb von Sprachkenntnissen.

Bilingualismus ist hier gefragt
Dass Deutsch und Französisch im Saanenland fliessend ineinander übergehen, macht sich bereits beim Einkaufen oder auf Wanderschaft in der Region bemerkbar. Nicht nur, dass die Grenze zum Kanton Waadt quasi vor der Tür liegt – auch die Tourismusbranche, welche den Ort massgeblich prägt, verlangt nach sehr guten Kenntnissen in beiden Sprachen.

Für Schulabgänger der Oberstufe ist die Zweisprachigkeit von besonders grosser Bedeutung. Sie erleichtert ihnen den Sprung ins Berufsleben. In der am 30. April 2020 zu diesem Thema veröffentlichten Medienmitteilung ist der Wert dieser Zweisprachigkeit treffend formuliert: «Die Region lebt weitgehend vom Tourismus und von der internationalen Kundschaft. Jugendliche mit guten Fremdsprachenkenntnissen sind auf dem lokalen Arbeitsmarkt in vielen Branchen gesucht.»

Kurz: Ein Leben im Saanenland ist ein Leben mit Deutsch und Französisch. Wer beides gut kann, ist markant im Vorteil.

Schüleraustauschprogramm als Chance
Die Regionen Pays-d’Enhaut und Saanenland haben die Wichtigkeit des Bilingualismus für ihre Schülerinnen und Schüler schon früh erkannt und machten sich deshalb ihre gegenseitige Nähe zunutze. Bereits vor Eintritt einer gesetzlichen Regelung 2004 haben sie ein Schüleraustauschprogramm ins Leben gerufen, welches ihren Schülern erlaubt, auf freiwilliger Basis ein Schuljahr in der jeweils anderen Gemeinde – und somit in der Fremdsprache – zu absolvieren. Ein häufig genutztes Angebot ist dabei, das letzte Schuljahr in der Partnerregion zu wiederholen. Eine Art «zehntes Schuljahr». Dies zeigt sich auch in den aktuellen Zahlen zum Austausch: Acht Schülerinnen und Schüler wiederholen zurzeit das neunte Schuljahr in Château-d’Oex, zwei wiederum in Saanen.

Bis anhin: Gemeinden hatten Kontrolle
«Bisher wurde das Schüleraustauschprogramm auf sehr schlanker Ebene gelöst. Schlank insofern, dass die Gemeinden die Kantone nicht brauchten, um dieses umzusetzen. Der Kanton mischte nicht mit, weder in der jährlichen Bewilligung, noch in der Finanzierung», erklärt Markus Iseli, der Abteilungsleiter Bildung der Gemeinde Saanen, das seit neuestem abgelöste System. Die Gemeinden, welche am Austausch beteiligt sind, regelten bisher also alles selber und entschädigten einander auch finanziell direkt: 2500 Franken für einen Schüler in der Schulpflicht, 5000 Franken für jemanden, der das neunte Schuljahr wiederholt.

Leichte Einschränkungen nötig
Obwohl die bisherige Lösung gut funktionierte, gab es Potenzial für Verbesserung: «Die Kriterien, welche die Zulassung der Schüler geregelt haben, waren bis anhin sehr offen», erläutert Markus Iseli weiter. «Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass diese Regelung zu offen formuliert gewesen ist.» Die Dauer des Austausches und das Alter der Schüler seien praktisch uneingeschränkt gewesen. Ausserdem sei der Amtsweg über die Gemeinde von den Familien teilweise umgangen worden.

Saanen und Château-d’Oex haben es sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Kontrolle über die Schülerbewegungen zurückzugewinnen und Einschränkungen vorzunehmen. Die Abteilung Bildung arbeitete somit einen Änderungsentwurf der bestehenden gesetzlichen Grundlagen aus: Die Zulassungskriterien von Schülern sollten überarbeitet und die Dauer eines Austausches auf ein Jahr festgelegt werden. Ansonsten sollte jedoch alles beim Alten belassen werden.

Kleine Änderungen, grosser Wandel
Dieser den Regierungsräten vorgetragene Entwurf brachte allerdings einen ungeplant grossen Stein ins Rollen. Es stellte sich heraus, dass die bestehende Regelung für die Erziehungsdirektionen ohnehin nicht weiter erwünscht war – die Kantone wollten miteinbezogen werden. Hauptgrund dafür war, dass für ähnliche Austauschprogramme zwischen anderen Gemeinden bereits einheitliche und kantonal organisierte Lösungen vorhanden sind. Die vorgetragenen Änderungen wurden folgerichtig genutzt, um eine grössere Umstrukturierung für mehr Einheitlichkeit einzuleiten.

Kantone bekommen Zuständigkeit, Gemeinden bezahlen mehr
Diese grundlegenden Änderungen der gesetzlichen Grundlage des Schüleraustauschprogrammes wurden am 1. Mai dieses Jahres rechtskräftig. Tatsächlich sind nun die ursprünglich angestrebten Anpassungen bezüglich Zulassung von Schülerinnen und Schülern sowie die einjährige Dauer eines Austausches Teil der Vereinbarung. Ebenfalls geändert hat sich, dass die Zulassungsentscheidung von beantragten Austauschjahren sowie deren finanzielle Regelung bei den Kantonen liegt.

«Der Kanton stellt der eigenen Gemeinde eine Rechnung für den Gemeindebeitrag aus. Das Geld, das er erhält, leitet er dann mit dem Kantonsbeitrag an den Partnerkanton, der die Schüler beherbergt, weiter. Die Bezahlung des Austauschprogrammes erfolgt nun also über die Kantone», erläutert Markus Iseli die neue finanzielle Regelung.

Dabei hat sich auch der für die Gemeinden zu zahlende Betrag verändert. Neu belaufen sich die in Rechnung gestellten Kosten auf rund 11’700 Franken pro Schüler aus dem Kanton Bern. Dies sei für die Gemeinden zwar deutlich teurer, käme den effektiven Kosten aber doch näher als bisher.

Ungeminderte Attraktivität
Der Abteilungsleiter für Bildung fasst die Änderungen wie folgt zusammen: «Der Kanton ist nun an Bord. Das eigentliche Ziel haben wir trotz den weiteren Änderungen erreicht und der Austausch bleibt für die Familien unverändert attraktiv.» Für diese kostet das Austauschjahr nämlich nach wie vor kein Schulgeld – und bietet eine grosse Chance für die Jugendlichen aus dem Saanenland und dem Pays-d’Enhaut.


«Es braucht wirklich Biss!»

Um herauszufinden, elche Erfahrungen Schülerinnen und Schüler aus dem Saanenland in ihrem Austauschprogramm machen und machten, hat der «Anzeiger von Saanen» zwei Absolventen zu ihren Impressionen interviewt.

* * *

Jonas Zeller hat das neunte Schuljahr 2019/2020 in Château-dOex wiederholt. Diesen Sommer hat er seine dreijährige Lehre in der Gemeindeverwaltung Saanen begonnen.

Jonas, weshalb hast du dich dazu entschieden, an diesem Schüleraustauschprogramm teilzunehmen?
Erstens war ich im Französisch damals noch nicht so stark, weshalb ich diese Sprache besser erlernen wollte. Besonders hier oben ist dies hilfreich, da wir uns so nahe an der Grenze zum Kanton Waadt befinden. Zweitens bin ich relativ jung aus der Schule gekommen, mit 15 Jahren. Da ich erst drei Viertel Jahre später 16 geworden wäre, hätte mich mein Betrieb noch nicht genommen.

Und wie war dieser Sprung ins kalte Wasser für dich – war es schwierig, den Anschluss im Französisch zu finden?
Am Anfang extrem. Das erste halbe Jahr war sehr schwierig. Ich hatte das Glück, dass ich eine gute Klasse hatte und Freundschaften geschlossen habe. Dank diesen konnte ich besser lernen. Aber die Tests zu schreiben war beispielsweise wirklich sehr hart für mich.

War dies wegen der Sprache so schwierig oder eher aufgrund des Schulstoffes, der anders oder schwieriger war?
Der Stoff war anders, nicht unbedingt schwieriger, weil er in einer anderen Sprache war. Es gab so viele neue Wörter.

Du hast es aber geschafft und die Kurve gekriegt. Liegt dies daran, dass deine Kollegen dir geholfen haben und du dir Zeit dafür genommen hast, besser zu werden?
Genau.

Wie war denn dieses Erlebnis allgemein für dich?
Es war gut, würde ich sagen. Aber aufgrund von Corona ist ein grosser Teil des Jahres verloren gegangen, in dem ich eigentlich noch mehr hätte lernen können – das finde ich schade. Und ich kann es weiterempfehlen. Doch um Freude daran zu haben, braucht es wirklich Biss. Und manchmal ist es sehr schwierig: Besonders Doppel- oder Dreifachlektionen, in denen die Lehrer nur vorne stehen und reden, sind wirklich anstrengend. Aber ich würde es jemandem empfehlen, der das wirklich machen will und es nicht einfach als Brückenjahr plant.

Was ist das Resultat deines Austausches?
In der Berufsschule habe ich bereits gemerkt, dass ich meinen Wortschatz gut gebrauchen kann. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meinem Wortschatz noch immer meilenweit entfernt bin von jenem der Welschen, doch hier in der Deutschschweiz ist er recht fortgeschritten. Das finde ich gut.

Und abgesehen vom Französisch?
Ich habe eine neue Schule kennenlernen können und nicht dieselben bekannten Gesichter vor mir gehabt wie in den letzten neun Jahren. Und es klingt jetzt vielleicht übertrieben, aber die Welschen haben auch ein bisschen eine andere Kultur. Davon konnte ich viel lernen: Sie nehmen alles ruhiger und eher auf die leichte Schulter im Vergleich.

Du meinst, die Deutschschweiz ist im Vergleich stärker auf Leistung ausgerichtet?
Ja. Wir stehen viel stärker unter Zeitdruck und wollen immer die bestmögliche Leistung erbringen. Es ist auf jeden Fall gut, dies auch einmal anders zu lernen. Beim Arbeiten muss man ja auch einmal zurücktreten und es etwas lockerer nehmen.


Dan Müller hat vor drei Wochen sein zehntes Schuljahr in Château-dOex begonnen. Er wiederholt dort die neunte Klasse.

Dan, wie gut gelingt es dir bisher so, dein Französisch in Château-d’Oex zu verbessern?
Das ist schwer zu sagen nach so kurzer Zeit. Ich habe aber das Gefühl, dass ich schon viel mehr auf Französisch denke, beispielsweise beim Zählen. Aber manchmal ist es auch ein bisschen viel mit der Fremdsprache, dann fühlt sich der Kopf richtig überhitzt an und ich habe das Gefühl, dass er jetzt gleich platzt. Abgesehen davon geht es aber gut.

Fällt es dir denn allgemein schwer, an der neuen Schule mit der Fremdsprache den Anschluss zu finden?
Wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich einfach oft meinen Banknachbarn oder schaue einfach ab. Aber ich bin jetzt nicht hoffnungslos unter Wasser, sondern schlage mich einfach so durch. Es ist sehr anstrengend. Aber mir kommt extrem entgegen, dass mir meine Mutter sehr gut helfen kann. Ohne ihr gutes Französisch wäre es schon schwerer.

Machst du dieses zehnte Schuljahr ausschliesslich, um Französisch zu lernen oder hast du noch andere Gründe dafür?
Ich gebe mir in den anderen Fächern nicht weniger Mühe, aber ich konzentriere mich schon hauptsächlich auf das Französisch. Im Englisch beispielsweise mache ich genauso gut mit und lerne trotzdem auf die Prüfungen.

Das ist vorbildlich. Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, diesen Austausch zu machen?
Für die anschliessende Lehre muss ich besser Französisch sprechen können. Und auch für das spätere Leben ist es immer gut, diese Sprache zu beherrschen.

In welche Lehre zieht es dich denn?
Ich möchte das KV machen.

Dort kannst du gute Sprachkenntnisse wirklich gebrauchen. Und wie sieht es aus mit Freundschaften, findest du auch dort den Anschluss?
Ich verbringe im Moment noch einige Zeit mit den anderen Deutschschweizern, welche den Austausch machen. Ich weiss nicht, wie es sich noch entwickelt während dem Rest des Jahres, doch ich komme grundsätzlich gut aus mit meinen Klassenkameraden.

Gehen diese Deutschschweizer in dieselbe Klasse wie du?
Nein, ich bin allein. Aber ich esse mit ihnen zu Mittag und verbringe meine Pausen mit ihnen.

Ist es nicht kontraproduktiv, wenn du immer wieder Deutsch sprichst in der Schule?
Es geht. Es ist nicht wirklich kontraproduktiv. Manchmal ist es wirklich praktisch, einmal eine Pause zu haben von dem Französisch. Klar unterbrichst du deinen «Flow» etwas, aber ich habe ja in den Lektionen genug davon.

So wie es aussieht, bereitet dir der Sprung in eine Fremdsprache mit neuen Menschen und neuer Schule keine grosse Mühe.
Nein, es klingt etwas grob, aber: Nach einem Jahr sehe ich meine Klassenkollegen und die Schule sowieso nicht mehr. Deshalb kann ich aus diesem Austauschjahr das machen, was ich möchte und einfach mein Bestes geben.

 


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