Zwei Scherenschnittjubilare feiern zusammen 70 Jahre kreatives Schaffen

  18.09.2020 Kunst, Tradition, Nachbarschaft

Im Galerie-Restaurant Hüsy in Blankenburg wird am kommenden Sonntag eine Jubiläums-Scherenschnittausstellung eröffnet, die bis Mitte November dauert. Die Vernissage wird sich coronagerecht über eine längere Zeit hinziehen.

LOTTE BRENNER
Beide Jubilare, Regina Martin, die seit 40 Jahren aktive Scherenschneiderin und heute Präsidentin von Scherenschnitt Schweiz ist, und Hans-Jürgen Glatz, der als Wirt und Gastgeber sein «Hüsy» zur Hochburg des Scherenschnitts machte und selber auch seit 30 Jahren ein passionierter Scherenschneider ist, haben sich zusammengefunden. Beide fingen ganz bescheiden und behutsam mit einer kleinen Nagelschere an und beide wurden vom Fieber gepackt und fertigen nun Kunstwerk um Kunstwerk, schneiden ihre Eindrücke aus der Natur und dem ländlichen Alltag aus Papier und beglücken damit ein breites Publikum. Von weit her kommen die Gäste ins gemütliche «Hüsy» – einesteils wegen der interessanten Galerie, die stets Bilder zeigt, die lebendig, fröhlich, in eine andere, heile Welt führen, andernteils wegen der auserlesenen Küche. Denn Hans-Jürgen Glatz zeigt nicht nur im Scherenschneiden freudige Ausdauer, sondern er wirkt auch schon 45 Jahre lang ununterbrochen als Küchenchef.

Lange überlegt sich Regina Martin die Antwort auf die Frage, worin der Unterschied zwischen den Scherenschnitten von ihr und denjenigen von Glatz bestünde. Dann sagt sie: «Eigentlich in gar nichts. Und trotzdem sind die Bilder total anders und tragen die Handschrift eines jeden Einzelnen von uns.» Diese künstlerische Seelenverwandtschaft entdeckten die beiden vor rund zweieinhalb Jahren, als Regina Martin im «Hüsy» eine Saisonausstellung bestritt. Damals beschlossen sie, einmal zusammen auszustellen, was sie nun als Doppeljubiläumspaar in die Tat umsetzen.

Schicksalsweisende Erlebnisse
In der Schule Lauenen, die Regina Martin besuchte, war es Brauch, in der Adventszeit die Fenster mit pergamenthinterlegten Bildern zu gestalten. Die Pferdenarrin Regina schnitt damals keine Sterne, sondern Pferde. Zu Hause hing von Christian Schwizgebel ein Bild mit einem Pferd: Das war der Start in ihre Scherenschnittkarriere. Mit einer Nagelschere und Zeitungspapier tastete sie sich vorsichtig an diese Kunst heran und steigerte sich in eine Leidenschaft, die sie nicht mehr losliess.

Christian Schwizgebel war auch bei Hans-Jürgen Glatz massgebend. Seine Bilder boten erste Kontakte zum Scherenschneiden, als 1989 Glatz im «Klösterli» in Grund als Küchenchef arbeitete. Er bewunderte die Kunstwerke, die in den Galerien zu beinahe unerschwinglichen Preisen angeboten wurden. Damals wohnte er in Gsteig und versuchte sich, ebenfalls mit einer kleinen Nagelschere, in einigen Sujets. Vorerst kopierte er Figuren aus einem Hobbybuch von Christian Rubi, ganz einfache, ländliche Szenen, dann fing er an, selber zu zeichnen, und heute entstehen die Bilder teilweise aus Skizzen, groben Umrissen oder ganz frei. Es hat ihm den «Ärmel reingenommen». Geprägt wurde später sein Werdegang als Scherenschneider immer wieder auch von Ueli Hauswirth. Bald einmal bekam er kleine Aufträge für Wandschmuck oder Geschenke. Obschon der damalige Chef sich misstrauisch zeigte, fuhr Glatz unbeirrt fort. Wie er sagt, existieren alle dieser Erstlinge noch.

Einzug in die grosse Welt
Als Wirt im «Bären» in Zweisimmen schnitt Hans-Jürgen Glatz in jeder freien Minute. Damals fertigte er auch grosse Bilder an. Die Gstaader Gäste und Prominenz aus aller Welt wurden auf die «lüpfige» Volkskunst aufmerksam und so fand Glatz bald einmal guten Absatz seiner inzwischen fortgeschritten exakten Ausarbeitung von Scherenschnitten mit einheimischen Sujets. Unter anderem erwarb sich Bond-Darsteller Roger Moore eines der ganz grossen Bilder. Es folgte eine erste Ausstellung 1994 im Schwarzwald, im Heimatmuseum von Bräunlingen, dem Geburtsort von Glatz. Danach entstanden Ausstellungen in Frankreich und in Japan (im Rahmen des Kulturaustausches der diplomatischen Beziehungen Japan-Schweiz).

Als selbständiger Wirt machte Glatz 1997 sein Geschäftshaus «Hüsy» in Blankenburg zu einem regelrechten «Mekka des Scherenschnitts». Mit einer ersten Ausstellung mit der Elite der Schweizer Scherenschneider begann eine neue Ära. Bisher gab es ununterbrochen über 70 Ausstellungen, und diese Tradition soll weiterbestehen.

Gemeinsam in eine neue Zukunft
Dem Verein Scherenschnitt Schweiz gehört Hans-Jürgen Glatz seit 30 Jahren an, 13 Jahre davon im Vorstand, und Regina Martin ist gegenwärtig Präsidentin. Dem Verein steht Grosses bevor: In Château-d’Oex wird momentan ein Museum gebaut. Da sollen unter dem Motto «Brauchtum und Kultur» rund 100 Scherenschnitte aus der Schweiz als Dauerleihgabe ausgestellt werden, weitgehend aus der umfangreichen Sammlung, die bisher im «Hüsy» untergebracht ist. Die private Sammlung, etwa 600 historische Werke, verbleiben im «Hüsy».

Mit der beginnenden bedeutenden Ausstellung der beiden Jubilare erfährt die Scherenschnittkunst einen weiteren Höhepunkt. Doch auf Lorbeeren ausruhen wollen beide nicht. Unermüdlich wollen sie auch weiterhin die Kunst des Scherenschneidens in die weite Welt hinaustragen.

Die Ausstellung dauert vom 10. September bis 15. November 2020. Geöffnet: Mittwoch bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr im «Hüsy» Blankenburg.


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