Schadet die Waldwirtschaft der Biodiversität?
03.11.2020 Region, Natur«Wenn Sie die Biodiversität nachhaltig unterstützen wollen, beziehen Sie Holz aus dem Schweizer Wald, essen Sie Schnitzel vom Schweizer Hirsch und zögern Sie nicht, auch Studien der WSL kritisch zu hinterfragen.» Das rät Philipp Egloff, Geschäftsführer der Berner Waldbesitzer (BWB).
Für eine unterhaltsame Lektüre kann ich Ihnen – abgesehen vom «Berner Wald» – die neueste Studie der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zu biodiversitätsschädigenden Subventionen in der Schweiz empfehlen. Die Autoren der Studie haben 162 Subventionen identifiziert, welche die Biodiversität in der Schweiz beeinträchtigen. Acht davon betreffen die Forstwirtschaft. Dazu zählt die Studie unter anderem die Schutzwaldbeiträge. Diese würden die Artenvielfalt indirekt schädigen, da die Schutzwaldpflege die Erschliessung von Gebieten ermögliche, die ohne Schutzwald nicht zugänglich wären. Sowieso seien aus ökologischer Sicht weniger Schutzwälder wünschenswert. Weniger Schutzwälder bedeute nämlich mehr Lawinenzüge, welche für die Artenvielfalt besonders wertvoll sind. Wenn man bedenkt, dass in einem Lawinenzug kaum Bäume aufwachsen können, müsste man fast daraus schliessen, dass allgemein weniger Wald wünschenswert ist.
Auch die Jungwaldpflegebeiträge seien potenziell schädlich, da im Rahmen der Anpassung der Wälder an den Klimawandel auch gebietsfremde Baumarten gefördert würden. Diese dominieren bereits heute auf 0,6% der Waldfläche. Vor allem schädige die Forstwirtschaft die Artenvielfalt aber durch ihre auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Forstpraxis. Durch die Förderung der forstwirtschaftlichen Nutzung mangle es in der Schweiz an lichten Wäldern … aber auch an Altholz. Ein Widerspruch?
Ganz sicher sind sich die Autoren nicht. «Nicht quantifizierbar – konnte nicht ermittelt werden – konnte im Rahmen dieser Studie nicht eruiert werden», heisst es da immer wieder. So überwiegt der Anteil an nicht bestimmbaren Anteilen der schädlichen Auswirkungen, welche die staatliche Unterstützung der Waldbewirtschaftung mutmasslich auf die Biodiversität ausübt. Die Dichte an Widersprüchen, Unklarheiten und Mutmassungen ist für eine steuerfinanzierte, «wissenschaftliche» Studie verblüffend. Für die Expertenworkshops, auf welchen die Studie basiert, wurde anscheinend nicht gründlich rekrutiert.
Die Lösungsvorschläge muten simpel an: Staatliche Beiträge sollen an einen ökologischen Leistungsausweis gekoppelt werden. Die Forstwirtschaft solle mehr auf Geschäftsmodelle setzen, welche die Biodiversität fördern. Wenn jeder Specht 20 Franken Miete pro Jahr und Spechtloch bezahlt, können die Waldbesitzer ihr stehendes Totholz nämlich auch ohne Subventionen vermarkten und damit endlich wieder einen Gewinn erwirtschaften (eigene Interpretation). Dass die meisten Forstbetriebe noch nicht auf diesen vielversprechenden Geschäftszweig aufgesprungen sind, liege vor allem an der mangelhaften Ausbildung der Forstfachleute an den Försterschulen in Lyss und Maienfeld. Deshalb werde auch dort geholzt, wo es nicht rentieren würde. Es wurde ihnen halt nichts anderes beigebracht.
Gemäss den Studienautoren könne die Wirtschaftlichkeit der Forstbetriebe ganz einfach durch eine bessere Auslastung der Mitarbeitenden, der Maschinen und der Anlagen gesteigert werden, was nicht zwangsläufig eine verstärkte Holzentnahme bedinge. Eine höhere Auslastung der Ressourcen ohne Produktionssteigerung ist also der Weg zum wirtschaftlichen Erfolg. Es wäre wohl nicht ungeschickt gewesen, hätten die Autoren eine forstliche Fachperson zu Rate gezogen. Beim Lesen der Studie erhält man den Eindruck, dass diese an der WSL Mangelware sind. Vielleicht sind die Distanzen zwischen den Büros auch einfach zu gross. Sonst hätten die Kollegen vom Landesforstinventar einige Unstimmigkeiten aus der Welt schaffen können.
Das vierte Landesforstinventar, dessen Resultate ebenfalls in diesem Jahr veröffentlicht wurde, zeichnet nämlich ein anderes Bild von der Lage der Biodiversität im Schweizer Wald. Demnach haben Baumartenvielfalt und Strukturvielfalt insbesondere in den Tieflagen zugenommen, wo der Wald aktiv bewirtschaftet wird. Der Anteil an naturfernen Fichtenreinbeständen hat hier weiter abgenommen. Auch der mutmassliche Mangel an Altholz kann das LFI nicht bestätigen: Die Holzvorräte in den Schweizer Wäldern gehören zu den höchsten in Europa. Jährlich wächst mehr Holz nach als genutzt wird. In den Berggebieten, wo die Nutzung rückgängig ist, werden die Wälder dichter und artenärmer. Gleichzeitig beziehen die Schweizerinnen und Schweizer immer noch ca. die Hälfte ihres Holzbedarfs im Ausland, wo die Standards der Waldbewirtschaftung durchgehend tiefer sind als bei uns.
Aus Sicht führender Waldbauexperten stellen vor allem die überhöhten Wildbestände eine Bedrohung für die Baumartenvielfalt im Schweizer Wald dar. So hat die Hirschpopulation in den letzten 30 Jahren schweizweit um 75 Prozent zugenommen. Im Kanton Bern ist die Zunahme beim Rotwild um ein Vielfaches höher. Die Situation ist vor allem in den Berggebieten gravierend, wo auf bis zu zwei Dritteln der Waldfläche eine natürliche Verjüngung mit standortgerechten Baumarten nicht möglich ist.
Was lernen wir daraus? Wenn Sie die Biodiversität nachhaltig unterstützen wollen, beziehen Sie Holz aus dem Schweizer Wald, essen Sie Schnitzel vom Schweizer Hirsch und zögern Sie nicht, auch Studien der WSL kritisch zu hinterfragen.
PHILIPP EGLOFF, GESCHÄFTSFÜHRER BWB
Editorial in der Zeitschrift «Berner Wald»