«Ich gehe zufrieden aus diesem Amt»

  27.04.2021 Interview, Ski

Nach zwölf Jahren als Leiter der Skischule Gstaad wird Jan Brand Ende des Monats sein Amt abgegeben. Was ihn zu diesem Entscheid bewogen hat, was ihm fehlen wird und was nicht und wie seine Prognose für den Schneesport in Zukunft aussieht, darüber berichtet er im Interview.

JENNY STERCHI

Jan Brand, warum ist jetzt Schluss als Skischulleiter?
Es hat kein ausschlaggebendes Moment gegeben, das mich zur Aufgabe gezwungen hätte. Es sind viele Einflüsse, die mich zu diesem Entschluss gebracht haben. Zum einen wusste ich schon länger, dass ich gern noch berufliche Erfahrungen auf einem anderen Gebiet machen möchte. Und jetzt, mit beinahe 40, finde ich den Zeitpunkt passend. Als ich die Aufgabe der Skischulleitung in Gstaad übernommen habe, war ich mit 29 Jahren noch sehr jung. Ich gehe zufrieden aus diesem Amt und darüber bin ich sehr froh. Zum anderen ist die Intensität, die dieser Posten einem abverlangt, ziemlich hoch. Ich habe doch hier und da Abnützungserscheinungen an mir wahrgenommen. Und nicht zuletzt bin ich in der komfortablen Lage gewesen, mit Michael Zimmermann einen Nachfolger zu haben, der sich in diesem Metier und in der Region auskennt. Auch das war für mich ein sehr wichtiger Punkt.

Bleiben Sie der Skischule als Schneesportlehrer erhalten?
Für mich kommt in den nächsten Wintern zuerst einmal meine Familie. Meine Frau und meine beiden Kinder mussten in den vergangenen Jahren im Winter auf mich verzichten, da ich als Skischulleiter von November bis April voll eingespannt war. Ich freue mich darauf, mit ihnen den Schneesport zu erleben. Dieser Wunsch hat sicher auch eine Rolle bei der Entscheidung gespielt, über die wir eingangs sprachen. Als Mitglied der Genossenschaft, die den Rahmen der Skischule Gstaad bildet, werde ich mich sicher weiterhin für die Entwicklung des Betriebs interessieren.

Hat sich der Wintersporttourismus im Saanenland in den letzten zwölf Jahren gewandelt?
Ja, es hat deutliche Veränderungen gegeben.

Und inwiefern?
Zum einen haben sich die Bedürfnisse der Gäste gewandelt. Der Anteil an Privatunterricht hat spürbar zugenommen. Das bildet den Wunsch des Skigastes nach individueller, massgeschneiderter Dienstleistung ab. Die Menschen suchen in ihren Schneesportferien weniger das standardisierte Angebot als viel mehr ein Höchstmass an Flexibilität. Dem ist mit Klassenunterricht nicht so gut beizukommen. Zum anderen sehen sich die Skischulen heute mit grossen Herausforderungen hinsichtlich des sich spürbar verändernden Klimas konfrontiert. In den letzten Jahren verbrachten wir und die Gäste wiederholt Weihnachten und Neujahr auf Kunstschnee. Stürme beeinträchtigten die Infrastruktur und somit auch den Betrieb in den Skischulen.

Worauf werden Sie gut verzichten können, sobald Sie nicht mehr im Amt sind?
Auf die Wintermonate, in denen mir die Zeit für meine Familie fehlte. Und auf das Personalmanagement. Das ist auch ein Bereich, der vom eben besprochenen Wandel betroffen ist. Im Vergleich zu meinen ersten Jahren als Skischulleiter forderten die Interessenten für die Skilehreranstellung in der letzten Zeit höhere Leistungen. Die Bedingungen mussten zunehmend attraktiver gestaltet werden, sei es unter dem Aspekt des Lohns oder der Unterbringung. Der Druck auf die Skischule, ein Schneesportlehrerteam aus 120 bis 130 Leuten für eine ganze Saison zusammenzustellen, ist zunehmend höher geworden in den letzten Jahren. Aber das ist vermutlich die Entwicklung der kommenden Generationen, denen zu begegnen ich lernen musste.

Was wird Ihnen fehlen?
Das wird sich erst zeigen. Ich verlasse die Skischulleitung mit positiver Einstellung. Und ich bin jemand, der in der Regel vorwärts schaut und offen das annimmt, was als Nächstes kommt. Daher müsste ich mit dieser Antwort bis nach dem nächsten Winter warten.

Zwölf Winter lang waren Sie unermüdlich für die Skischule Gstaad im Einsatz. Womit haben Sie sich während der letzten zwölf Sommer beschäftigt?
Zunächst habe ich jeweils die Überzeit kompensiert, die sich durch den Winter hindurch angehäuft hatte. Verschiedene Marketingprojekte und Innovationen liessen sich nur im Sommer planen, da für so etwas während des Tagesgeschäftes im Winter keine Zeit blieb. Ausserdem brauchte es den Sommer für die Planung der Infrastrukturen und des Personals. Und dann kamen in der Regel im August bereits die ersten Anfragen von Skigästen. Und die vier Wochen Betriebsferien finden auch Platz im Sommer.

Neben der Leitung der Skischule waren Sie auch aktiv beteiligt an der schweizerischen Schneesportlehrerausbildung. Werden Sie sich zukünftig auch hier noch beteiligen?
Nein, mein Amt als Experte in den Ausbildungskursen habe ich 2014 nach sieben Jahren niedergelegt. Im Vorstand des Dachverbandes von Swiss Snowsports werde ich jedoch bleiben, denn der Schneesport und seine Entwicklung werden ein wichtiges Thema in meinem Leben bleiben.

Welchen Stellenwert wird der Beruf des Schneesportlehrers in Zukunft Ihrer Meinung nach einnehmen?
Die Pandemie macht die Antwort auf diese Frage sehr schwierig. Sie wird wie in vielen anderen Bereichen auch hier Spuren hinterlassen. Die Situation sinkender Schneesportlerzahlen wurde durch dieses Ereignis noch verschärft. Ich denke, dass der Stellenwert des Schneesportlehrers anhand Angebot und Nachfrage festgemacht werden wird. Die sich verändernden Bedürfnisse der Gäste, von denen wir bereits sprachen, haben auch Einfluss auf die Ausbildungsinhalte bei den Schneesportlehrern. In den letzten Jahren wurde die Vermittlung von Skitechnik und fahrerischen Fähigkeiten zunehmend durch erlebnisorientierten Unterricht ergänzt. Zur Aufwertung des Schneesportlehrerberufes, die angesichts immer kürzer werdender Wintersaisons nötig ist, werden Bikeprojekte von Swiss Snowsport lanciert, in denen die Schneesportlehrer auch während des Sommers im Tourismus arbeiten können.

Wann beginnt für einen Skischulleiter die Saison und wann ist sie zu Ende?
Nach der Saison ist vor der Saison. Die Saison endet in der Regel dann, wenn wirklich alle Anlagen geschlossen sind. Aufgrund der planerischen Aufgaben beginnt die Saison nicht mit der ersten präparierten Piste und der geöffneten Gondelbahn. Erste Kundenanfragen gehen bereits im Hochsommer ein, erste Anstellungsanfragen erreichen die Skischule kurz nach Saisonende.

Gibt es ein Erlebnis in den letzten zwölf Jahren, das Ihnen vermutlich immer im Kopf bleiben wird?
Das gibt es eine ganze Menge! Das Skischulbüro ist ein «Tollhaus», wo ganz unterschiedliche Mentalitäten und Gesellschaftsschichten aus der ganzen Welt zusammenkommen. Ich glaube, ich könnte fast ein Buch schreiben über etliche lustige, skurrile und ein paar traurige Geschichten von Gästen und Angestellten, die dort ein und aus gegangen sind. Einmal bedienten wir im Skischulbüro gleichzeitig zwei Kunden. Auf der linken Seite eine gut betuchte Dame, die in einer der teuersten Suiten in Gstaad logierte und den Skiunterricht mit mehreren Tausend Franken bezahlte, ohne eine Quittung zu verlangen. Auf der rechten Seite bedienten wir eine Dame aus eher ärmlichen Verhältnissen, die uns etwas traurig erklärte, dass sie sich trotz eines grosszügigen Rabattes unserseits eine Privatstunde mit einem Skilehrer leider nicht leisten könne. Eine andere Anekdote handelt von einem ausserplanmässigen Schneetransport. Kurz vor Weihnachten 2016 hatten wir zu wenig Schnee auf dem Skischulplatz, um die Skischule zu öffnen. Es hatte in der Rütti jeweils nur unter den Schneekanonen kleine Häufchen. Die Idee kam auf, dass man, wenn man diese Häufchen alle zusammenträgt, eventuell eine Anfängerpiste hinkriegt. Gesagt, getan. Unsere Landwirte nahmen kurzerhand ihre Traktoren und Transporter aus dem Winterschlaf und ein Bagger wurde aufgetrieben. Um bei Gästen und Grünen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen, starteten wir am Morgen um 4.30 Uhr. Um 9.00 Uhr war die Anfängerpiste vor dem Alphorn betriebsbereit. Das Staunen der Gäste und Skilehrer an diesem Morgen habe ich immer noch bestens in Erinnerung.

In welche Richtung geht es nun beruflich für Sie?
Ich werde ab dem 3. Mai bei Gstaad Saanenland Tourismus als Projektleiter Infrastrukturen eine neue Herausforderung annehmen.


WER IST DER NEUE SKISCHULLEITER?

Michael Zimmermann wird Anfang Mai das Amt des Leiters der Skischule Gstaad von Jan Brand übernehmen. In Spiez aufgewachsen, gab er bereits während der Wintersaison 2003/04 seine ersten Lektionen als Skilehrer in Gstaad. Seine Skilehrertätigkeit setzte er auch während seines Tourismusstudiums fort. Jan Brand, der schon damals die Skischule Gstaad leitete, gab ihm die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen, Abläufe und Mechanismen zu beobachten und den Betrieb einer Skischule zu verstehen. Daraufhin konnte Zimmermann auch kurzfristige Stellvertretungen in der Skischule Gstaad übernehmen. In den vergangenen acht Jahren gehörte er zum Demo-Team Saanenland Men. Daneben leitete er die Skischule in Saanenmöser (Alpinzentrum Gstaad Ski- und Snowboardschool GmbH) sieben Winter lang. Laut Jan Brand ist es eher selten, dass Skischulleiter die Schule wechseln. «Entweder wechseln sie nach ihrer Leitertätigkeit ganz die Branche oder sie bleiben bis zur Pensionierung.» Für Michael Zimmermann, der in der Oeschseite daheim und seit Kurzem Papa ist, eine tolle Gelegenheit, seine bestehenden Erfahrungen in einer anderen Skischule einzubringen. Für sein neues Amt hat sich Michael Zimmermann viel vorgenommen: «Jan Brand hat während seiner Zeit als Skischulleiter viel Neues und Gutes auf den Weg gebracht. Ich möchte den so gewachsenen Skischulbetrieb weiterführen und weiterentwickeln.»

JENNY STERCHI


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