Massentests: Zwei von drei machen mit

  18.05.2021 Coronavirus, Schule

Alle Gemeinden des Saanenlandes sind der Einladung des Kantons gefolgt, an den Volksschulen wöchentliche Massentests durchzuführen. Doch die freiwilligen Tests werden nicht von allen gutgeheissen: Eines von drei Schulkindern macht nicht mit.

KEREM S. MAURER
Ausser St. Stephan haben alle sieben Gemeinden des Obersimmentals und des Saanenlandes den wöchentlichen Massentests an den Volksschulen zugestimmt. Laut Medienberichten haben sich im ganzen Kanton 37 Schulgemeinden dagegen ausgesprochen. Diese Massentests sollen helfen, «bisher unerkannte Ansteckungsketten zu unterbrechen», wie es in einem entsprechenden Schreiben heisst. Das übergeordnete Ziel dieser Corona-Massentests sei, «die Fallzahlen zu senken und damit die mühsamen Einschränkungen, insbesondere in der Schule, zu lockern». Gemäss einem Schreiben der Gemeinde Saanen an die betroffenen Eltern sind diese Speicheltests im Klassenverband «zumutbar, freiwillig und kostenlos». Hans Peter Schwenter, Präsident der Bildungskommission der Gemeinde Saanen, bezeichnet die Massentests als notwendiges Übel, aber: «Wir sind froh, damit einen Beitrag zur Eindämmung des Virus leisten zu können», sagt er und nennt noch einen weiteren Hintergrund dieser Massentestkampagne: «Wir setzen uns beim Kanton dafür ein, das Test- und Impfangebot für Erwachsene in unserem Verwaltungskreis zu verbessern», sagt er, und: «Hätte man die Massentests an Schulen abgelehnt, wäre dies kontraproduktiv gewesen.»

Je älter die Schüler, desto grösser die Testbereitschaft
Überraschend viele Eltern der jüngeren Schülerinnen und Schüler im Saanenland machen sich die Freiwilligkeit dieser Massentests zunutze und verzichten darauf, ihre Schützlinge daran teilnehmen zu lassen. Kinder von der ersten bis zur dritten Klasse lassen sich deutlich weniger testen, als ihre älteren Gspändli. Laut Eva Frautschi, Schulleiterin der Schule Saanen, lässt sich bis zur dritten Klasse nur rund eines von drei Schulkindern testen. Ab der dritten Klasse sind es zwei von drei. In der Basisstufe im Schulhaus Rütti sieht sich Schulleiterin Christine Oberli damit konfrontiert, dass sich in einer Klasse gar nur zwei Kinder testen lassen wollen. «Das sind zu wenig für den vom Kanton geforderten Pooltest, wozu es vier bis zehn Kinder braucht», erklärt sie auf Anfrage. Doch statt dass nun mehrere Klassen zum Testen zusammenlegt werden, haben sich die Eltern der beiden testwilligen Kinder dazu entschlossen, darauf zu verzichten. Tom Schild, Schulleiter Gsteig-Feutersoey, machte ähnliche Beobachtungen: «In der Oberstufe lassen sich 95% der Schülerinnen und Schüler testen. Nur einer von 18 ist dagegen.» Dieser Trend bestätigt sich gemäss Schulleiter Martin Stähli auch im Oberstufenzentrum Ebnit.

Coronagraben auch im Lehrerzimmer
Der Coronagraben, der seit gut einem Jahr die Gesellschaft in zwei Lager spaltet, zieht sich aber nicht nur durch die Schulzimmer. Auch die Lehrerschaft sei in Befürworter und Skeptiker der Test- und Impfkampagne des Bundes gespalten, sagen die befragten Schulleitenden unisono und weisen darauf hin, dass Lehrpersonen, die bekanntlich im Auftrag des Kantons arbeiten, keine andere Wahl haben, als sich dessen Vorgaben zu beugen und dass sie die Tests in ihren Klassen durchführen müssten. Aber: Auch den Lehrpersonen ist es freigestellt, ob sie selber sich testen lassen wollen oder nicht. Laut Martin Stähli lassen sich in seinem Umfeld über 90 Prozent der Lehrkräfte testen. Einige hätten sich sogar bereits gegen das Coronavirus impfen lassen.

«Aufwand übersteigt den Nutzen»
Man will so schnell wie möglich zurück zur Normalität, das Virus eindämmen, die Pandemie endlich hinter sich lassen. Um diese Ziele zu erreichen, soll – wenn es nach dem Bund geht – so viel wie möglich getestet und geimpft werden. Doch nicht alle finden diese Strategie sinnvoll. Es gibt auch jene, die nicht alle von Bund und Kanton geforderten Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gutheissen. Ein Blick auf die Zahlen der nicht-testwilligen Schulkinder zeigt, dass sich im Durchschnitt rund jedes dritte Kind nicht testen lässt.

Warum hat sich die Gemeinde St. Stephan gegen Massentests an den Schulen ausgesprochen? Beat Zahler, Gemeindeverwalter von St. Stephan, beantwortet diese Frage so: «Nach der Vornahme einer Güterabwägung hat der Gemeinderat nach Anhörung der Schulkommission beschlossen, auf die Teilnahme an den freiwilligen Massentestungen zu verzichten.» Weiter schreibt er in einer Stellungnahme, dass die Kosten, der Aufwand und die psychische Belastung der Kinder durch die Tests den Nutzen bei weitem übersteigen. Ausserdem hätte eine Bittschrift gezeigt, dass viele Eltern die Durchführung von Massentests ablehnten. Der Gemeinderat von St. Stephan setze viel mehr auf die Eigenverantwortung der Eltern und Lehrkräfte und «auf die bewährten und in der Schule St. Stephan sorgfältig umgesetzten Hygienemassnahmen», so Zahler weiter. Zudem könne man in Apotheken Gratis-Selbsttests beziehen.

«Offensive am falschen Ort»
Und was sagen Eltern im Saanenland, die nicht wollen, dass ihre Kinder massengetestet werden? Vera Steiner, Mutter von zwei Schulkindern (8 und 10 Jahre), die ins Gstaader Rüttischulhaus zur Schule gehen, lässt ihre Kinder nicht testen. Sie erklärt, dass sich ihre ältere Tochter aufgrund ihres Asperger-Autismus tiefergehend mit dem Corona-Thema auseinandergesetzt und daraufhin für sich entschieden habe, bei den Massentests nicht mitmachen zu wollen. Ihre jüngere Schwester habe daraufhin mitgezogen. Die Mutter steht hinter dem Entscheid ihrer Kinder. «Zum jetzigen Zeitpunkt, in dem die Ansteckungszahlen stark rückläufig sind, sehe ich den Sinn solcher Massentests an der Schule nicht mehr ein», sagt sie auf Anfrage. Noch vor zwei Monaten, als noch niemand wusste, wie sich die dritte Welle entwickeln würde, hätte sie eine solche Massnahme noch befürwortet. Vera Steiner will nicht in den «Coronaleugner- und Verschwörungstheoretikertopf» geworfen werden und betont, dass sie die Pandemie von Anfang sehr ernst genommen habe. «Ich selber gehöre einer Risikogruppe an und bin bereits geimpft», betont sie. Doch sie hat Zweifel an den Massnahmen. Wenn man bedenke, dass die Wissenschaft vor gar nicht allzu langer Zeit verlauten liess, Kinder unter zwölf Jahren seien keine massgeblichen Pandemietreiber, ist für sie diese Massentestmassnahme «eine Offensive am falschen Ort». Ähnlich sieht dies auch Anita Huwiler, die zwei Kinder in Saanen zur Schule schickt. «Ich habe generell eine kritische Einstellung zu all diesen Coronamassnahmen», gibt sie zu und sieht insbesondere an den Schulen keinen entsprechenden Handlungsbedarf. Beide Mütter weisen darauf hin, dass es in den Schulen sehr gut funktionierende Schutzkonzepte gebe, an die sich die Kinder vorbildlich hielten. Mehr sei ihrer Ansicht nach nicht nötig.


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