Zwei Touristiker säen Herbstblumen

  22.10.2021 Tourismus, Kolumne

Flurin Riedi (FR): Bruno, du bist Hotelier und Jäger. Genau der richtige Experte für den Herbsttourismus. Was braucht es, um Gäste ins Saanenland zu locken?
Bruno Kernen (BK): Ob die Gäste im Herbst in die Berge kommen, ist total wetterbedingt. Also heute (er schaut zum Fenster hinaus, es regnet leicht) will gerade niemand kommen.
FR: Mit anderen Worten: Bei schönem Wetter läuft es so oder so.
BK: Ja. Und bei schlechten Wetter läuft immer dieselbe Platte: Heimatmuseum, Kirchenbesichtigung, Station. Uns fehlt ein eigentlicher Leuchtturm, insbesondere für schlechtes Wetter!
FR: Das Sportzentrum alleine reicht nicht?
BK: Das ist zu klein. Und übrigens ist das herbstliche Gstaad für unsere Gäste sowieso enttäuschend. Viele Läden geschlossen oder nicht dem Portemonnaie entsprechend.
FR: Lass mich mal über den Tellerrand gucken: Ich finde das Engadin eine super Herbstdestination. Doch was hat es Besseres zu bieten als wir? Ich behaupte nicht viel. Es liegt höher und ist deshalb ein Eiskeller. Also, lieber Bruno, das Engadin hat auch keinen Herbstleuchtturn.
BK: Hmm, meinst du?
FR: Auf jeden Fall macht das Engadin zwei Dinge sehr gut: Es vermarktet nicht nur St. Moritz, sondern die ganze Region und es preist seine gelb leuchtende Lärchen an. Eigentlich hat es uns Paul Valentin, Saanenlands Tourismusdirektor der 1950er- bis 1980er-Jahre, bereits vorgemacht. Er hatte nicht nur das Saanenland, sondern die ganze Region von Greyerz bis Lenk als das weisse Hochland vermarktet. Nun ja, am Namen arbeiten wir noch. Goldenes Hochland? Golden könnte mit Luxus in Verbindung gebracht werden, das wäre wohl gefährlich. Aber: Unsere Gäste können an Regentagen nach Broc in die Schoggifabrik oder nach Greyerz ins Giger-Museum, das müssen wir nicht selbst haben.
BK: Du hast mich noch nicht überzeugt. Wenn wir wirklich einen Leuchtturm möchten, dann müssten wir alle zusammenspannen und gemeinsam etwas erschaffen. Das Spiegelhaus war ein Glücksfall. Wir brauchen etwas, wovon die Leute sagen: «Da muss ich hin.»
FR: Ich komme trotzdem wieder auf das Engadin zurück. Es hat ja auch keinen Leuchtturm und ist trotzdem erfolgreich.
BK: Stimmt. Aber wir haben keine Lärchen. Bei uns wird es später bunt und es bleibt grüner als im Engadin.
FR: Hey, Bruno, du sitzt als Jäger auf dem Hochsitz und schaust den schönsten Sonnenaufgängen zu, das sollte doch reichen. Wir sollten uns von dieser Leuchtturmidee lösen und auch noch von etwas Zweitem: unserer Abhängigkeit von geöffneten Fünfsternhäusern und Boutiquen. Denn sag mal, braucht dein typischer Herbstgast diese Angebote?
BK: Nun ja, im Hotel Kernen haben wir vor allem Familien und spontan Reisende. Zu 80 Prozent aus dem Mittelland und der welschen Schweiz.
FR: Diese Kunden sitzen an ihrem Wohnort doch ständig im Nebel. Was würde das Bild von messerscharfen Bergen vor blauem Himmel und goldigen Landschaften auslösen?
BK: Du meinst ganz nach dem Motto «Ahifahre»? Nur dass das ein Zürcher wohl kaum versteht! Wie wäre es mit noch etwas Kultur dazu?
FR: Klar! Eine Gourmetwoche. Beeren, Pilze, einheimische Kartoffeln und Wild. Und wie wäre es mit einer Geschichte dazu? Über einen Jagdtag?
BK: Wir Jäger gäben Einblick in unsere Leidenschaft und erklären, dass die Tiere bis zum letzten Atemzug stressfrei leben. Wir Einheimischen als Türöffner für das Naturerlebnis. Neben den Gästen stehend übers Nebelmeer blicken. Sauerstoff einatmen. Das sind Aussichten mit viel Weitsicht, die einem manchmal im Alltag fehlt.
FR: Genau.
BK: Lass uns Naturkoryphäen wie Willi Aegerter und Bert Inäbnit fragen, ob sie Wanderungen über mehrere Klimastufen anbieten. Im Tal spazieren sie in mystischer Herbstatmosphäre los und tauchen kurz vor den Berggipfeln in den Winter ein.
FK: Und wie wärs, wenn die Gäste den Landwirten helfen? Sie packen die Käselaibe auf die Anhänger und transportieren sie von der Alp ins Käsereifungslager. So würden die Städter viel über die Herstellung unserer Naturprodukte erfahren.
BK: Derartige kreative Ideen sollten wir aber auch umsetzen!
FR: Es wird auf jeden Fall herausfordernd sein, diese Nischenprodukte zu gestalten. Nun ja, da ist der freie Markt wohl gefragt. Der Verkauf kann in jedem Fall über die Gstaad Card erfolgen – quasi als Vase für einen bunten Strauss von Angeboten.
BK: Aber Flurin, ein wetterunabhängiger leuchtender Turm wäre doch schon schön. So ein Erlebnisbad wie auf Rigi Kaltbad …

FLURIN RIEDI

TOURISMUSDIREKTOR [email protected]


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