Kann das Bündner Vorzeigemodell als Vorbild dienen?

  16.11.2021 Gesundheitswesen, Region

Das Regionalspital Unterengadin ist mit seiner integrierten Gesundheitsversorgung auf Erfolgskurs. Es ist in der Region stark verankert und schreibt seit Jahren schwarze Zahlen. Kann das Modell auf unsere Region übertragen werden?

ANITA MOSER
Die Regionen seien vergleichbar, beides seien touristisch geprägte Bergregionen, betonte Philipp Gunzinger, Präsident des Stiftungsrates und des Vorstandes des Gesundheitszentrums Unterengadin (CSEB). «Aber», betonte er, «man kann nie die eine Region identisch mit der anderen vergleichen. In der Modellentwicklung geht es immer auch darum, dass man die Rahmenbedingungen individuell analysiert, aufnimmt und entsprechend auch in den Entwicklungsmodellen hinterlegt.

Seit 2007 arbeiten im Unterengadin wichtige Anbieter in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Pflege und Wellness zusammen. Das sind das Regionalspital, der Rettungsdienst, die Clinica Curativa, Spitexdienste, Beratungsstelle, Pflegegruppen, zwei Pflegeheime sowie das Engadin Bad Scoul mit seinen angegliederten Sportanlagen. «Die Gesundheitsversorgung konnte auf diese Weise weiterentwickelt und koordiniert und noch bedürfnisgerechter gestaltet werden», so Gunzinger. Das CSEB bietet Sprechstunden für verschiedene Bereiche an, es hat ein breites Beratungsangebot und eine Kombination aus Komplementär- und Schulmedizin.

Wirtschaftlich erfolgreich
«Wir standen vor 16 Jahren vor der Situation, dass man das Regionalspital Scoul schliessen wollte», so Gunzinger. Die Defizite waren nicht mehr zu stemmen. Und aus der Not heraus entstand dieses integrierte Versorgungsmodell. Trägerschaft sind die vier Gemeinden Schuls, Samnaun, Valsot und Zernez.

Der Aufbau hat zwei Jahre gedauert. «Wir haben Schritt für Schritt, einen Betrieb nach dem anderen zusammengeführt», so Gunzinger. «Klein, aber fein» sei das Spital in Schuls mit 30 Betten – und mit Geburtshilfe und operativer Gynäkologie. Und es schreibt schwarze Zahlen, obwohl beispielsweise die Geburtshilfe stark defizitär ist. Einnahmen generiert die CSEB durch verschiedene Angebote, wie die Clinica Curativa oder die integrative Medizin. Das Angebot der CSEB sei auf die einheimische Bevölkerung ausgerichtet, spreche aber auch Menschen an, die von auswärts kommen oder die ihre Ferien in der Region verbringen.

Der Kanton Graubünden bezahlt rund 1,5 Millionen Franken jährlich für sogenannte Vorhalteleistungen. Das Defizit – es betrug gemäss Gunzinger im Jahr 2019 rund 900’000 Franken – übernehmen die vier Trägergemeinden «Die Diskussionen zur Defizitübernahme war nie ein Thema an den Gemeindeversammlungen», erzählte Gunzinger. «Man sieht die positiven Effekte. die Arbeitsplätze, das Steueraufkommen, die Auswirkungen auf Handel, Gewerbe und Tourismus usw. Wenn man sich das alles vor Augen führt, dann ist das bedeutend mehr als die Defizitbeiträge, welche die vier Gemeinden jetzt übernehmen», so Gunzinger. Und weiter: «Das Unterengadin spricht in der Gesundheitspolitik mit einer Stimme, was die Wirksamkeit erhöht und auch den Kontakt mit den Behörden und Partnern vereinfacht.»

Er sehe für die Region Simmental-Saanenland grosses Potenzial. «Geht auf den Weg, wie wir das gemacht haben, individuell angepasst auf eure Region. Es ist eine Riesenchance, ihr habt das Potenzial, nutzt es, erhaltet, was ihr habt, baut es aus, vernetzt es mit anderen Bereichen der Regionalentwicklung».

Gesundheitscampus mit Spital
Mit einer Stimme sprechen will auch die GSS. «Wir möchten die Führung für eine integrierte Versorgung in der Region übernehmen», erklärte Stephan Hill, Präsident der Gesundheit Simme Saane, den knapp 40 anwesenden Personen am vergangenen Freitagabend im Landhaus Saanen. Etwa 30 Personen waren per Video zugeschaltet. Im Modell für den Gesundheitscampus Simme Saane integriert sind das Spital, Alterswohnen, die Spitex, die Maternité Alpine und subsidär die Medizentren. «Wir sind der Meinung, dass die vier Organisationen zusammenrücken sollten. Das heisst nicht, dass wir an den einzelnen Organisationen per se im operativen Bereich etwas verändern möchten», so Hill. Diese seien alle gut geführt. «Aber wir möchten eine einheitliche Steuerung, damit wir neue Angebote realisieren und damit wir besser koordinieren können.

In verschiedenen Bereichen sieht die GSS Potenzial: mit dem bestehenden medizinischen Kollegium, mit Belegärzten, in der ambulanten Versorgung durch das Spital mit der lokalen Ärzteschaft, mit Reha, mit neuen pflegerischen Angeboten, in der Ausbildung für FaGe_ und HF-Studierende und in der Job-Rotation. «Alterswohnen wäre für uns ein ganz wichtiger Bestandteil», betonte Hill. «Auf Diplompflegestufe HF sehen wir ein grosses Potenzial in der Zusammenarbeit. Die Studierenden dürfen ihre Praktika nicht in der gleichen Institution absolvieren und auch nicht in der gleichen Versorgungsform. Wenn wir uns unter einem Dach zusammenschliessen, könnten wir Personen finden, welche die Ausbildung absolvieren wollen und sie können alle ihre Praxiseinsätze bei uns machen. Das wäre eine tolle Chance für unsere Region.»

Gesundheitscampus ohne Spital
Das medizinische Angebot würde sich ohne Spital auf einen Notfall mit ambulanter Nachversorgung und ambulante Grund- und Unfallversorgung beschränken. Auf Ebene Spitex und Alterswohnen gebe es keine Veränderungen. Aber es bräuchte ein grösseres Ambulanzzentrum in Zweisimmen, wo die ambulante Versorgung angeboten würde. In diesem Szenario fehlt die Maternité Alpine. «Ohne Spital gibt es keine Geburtshilfe mehr in der Region», so Hill. Es gäbe dann auch keine wohnungsnahe stationäre Versorgung mehr, die Attraktivität für Hausärzte wäre in Gefahr, für die Bevölkerung würden höhere Transportkosten anfallen, die Attraktivität des Wirtschafts- und Tourismusstandortes wäre in Gefahr und der Fachkräftemangel auch in anderen Branchen könnte sich zuspitzen.

Finanzierung
Gemäss der Spital STS AG belaufe sich das Betriebsdefizit per Ende 2019 für den Standort Zweisimmen auf 5,53 Millionen Franken, informierte Stephan Hill (die Spital STS AG war an diesem Infoanlass nicht offiziell vertreten). Das Defizit würde mit dem Gesundheitscampus Simme Saane künftig wie folgt finanziert: Die Spital STS würde jährlich 2,5 Millionen Franken beisteuern, zwei Millionen Franken die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern und 1,5 Millionen Franken die Gemeinden. Pro Kopf sind das pro Jahr zwischen 40 und 110 Franken, im Schnitt rund 80 Franken.

Bei einer Schliessung des Spitals rechnet man gemäss einer Studie mit einem Wertschöpfungsverlust in anderen Branchen von rund sechs Millionen Franken und dass rund 14 Arbeitsstellen in anderen Branchen verloren gehen – zu den 70 Arbeitsstellen im Spital.

Die Konsultativabstimmung als wichtiges Signal
Der Gesundheitscampus Simme Saane entspreche der zukünftigen Gesundheitsstrategie des Kantons Bern, betonte Stephan Hill. An den kommenden Gemeindeversammlungen finden Konsultativabstimmungen statt. «Diese haben einen starken Signalcharakter für die Region, für die Versorgung der Region, aber auch zuhanden des Kantons», so Hill. Der Regierungsrat habe die Versorgungsnotwenigkeit des Spital Zweisimmen beschlossen, diese müsse jedoch regelmässig erneuert werden. «Wenn die Region das Signal nicht nach Bern schickt, ist es früher oder später fraglich, ob das Kantonsparlament den jährlichen Verpflichtungskredit von 1,5 Millionen Franken spricht und ob der Regierungsratsbeschluss erneuert wird», so Hill. «Um die Integrierte Versorgung sicherzustellen, brauchen wir das Spital», appellierte Hill. www.gssag.ch
www.cseb.ch


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