Besuch von der Friedensgemeinde San José de Apartadó

  07.11.2022 Gesellschaft, Gesellschaft

Die Friedensgemeinde von San José de Apartadó ist eine kleinbäuerliche Gemeinschaft in Kolumbien, die sich mit aktiver Gewaltfreiheit gegen den Krieg stellt, indem sie sich weigert, die bewaffneten Akteure im Konflikt zu unterstützen.

Trotz mehrfacher Vertreibung und anhaltender Gefahren und Gewalt hat die Gemeinschaft beschlossen, in der Region zu bleiben, ihr Land weiterhin zu bebauen und zu entlegenen Weilern zurückzukehren. Für Bergbauunternehmen und bewaffnete Akteure in der nordkolumbianischen Region stellt die Friedensgemeinde ein Haupthindernis in der Ausdehnung ihrer Aktivitäten und Interessen dar.

Die Gründung und Fortführung der Friedensgemeinde basiert auf Prinzipien des Humanitären Völkerrechts, auf einer basisdemokratischen Organisation und einer solidarischen Ökonomie. Schutzmassnahmen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, internationale Begleitung und ein nationales und internationales Solidaritätsnetz sind Teil ihrer Schutzstrategie.

Durch die Arbeit der Amnesty Gruppe Saanenland hörte ich bereits als Schulkind von San José de Apartadó. Im Rahmen meiner Maturaarbeit befasste ich mich erstmals eingehender mit dieser Art von Widerstand und nach meinen ersten Studienjahren besuchte ich die Gemeinde im Jahr 2013. Nun sind knapp 10 Jahre vergangen und am 24. November 2016 wurde der interne bewaffnete Konflikt zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla FARC-EP mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens formell beendet.

Was hat sich für die Menschen in der Friedensgemeinde seit der Unterzeichnung der Friedensverträge 2016 verändert?
Roviro Lopez, Mitglied des Gemeinderates von San José de Apartadó, durfte ich am vergangenen Donnerstag im Politforum in Bern treffen. Er berichtete, dass sich die Welle von Gewalt seit dem Friedensabkommen tatsächlich etwas gelegt habe. In den umliegenden Gemeinden gab es dennoch weitere Morde. Die Menschen in der Gemeinde werden Tag und Nacht überwacht und bedroht. Die Gewalt ist nicht mehr so roh und offensichtlich, sondern sie äussert sich auf eine andere, subtilere Art. Bis 2016 hatte die Guerillagruppe FARC das Territorium, in welchem die Gemeinde liegt, kontrolliert. Nach der Demobilisierung wurde das Gebiet von den Paramilitärs bzw. von den Autodefensas Gaitanistas de Colombia, auch bekannt als «Clan del Golfo» übernommen. Der Clan del Golfo hat sich nach dem Friedensabkommen zur dominierenden kriminellen Kraft in Kolumbien entwickelt und arbeitet eng mit dem Sinaloa-Kartell in Mexiko zusammen. Die entlegene Region im Nordwesten des Landes, nahe der Grenze zu Panama, die geografisch an die Departements Antioquia, Chocó und Córdoba grenzt, und inmitten der sich die Friedensgemeinde befindet, ist für den illegalen Handel sehr beliebt. Sie bietet Zugang zur Pazifikund Karibikküste. Die widerständige Gemeinde ist der paramilitärischen Gruppe ein Dorn im Auge. Man könnte jetzt meinen, dass das Gebiet von den staatlichen Sicherheitskräften völlig verlassen wurde und lediglich von den paramilitärischen Gruppen kontrolliert wird. Roviro Lopez entgegnete dem aber, dass das Departement Antioquia im Land eine der stärksten Militärpräsenzen hat. Das bedeutet, dass die Regierung die Anwesenheit des Clan del Golfos toleriert, oder – noch wahrscheinlicher - dass das Militär von deren Geschäften profitiert und mit ihnen zusammenarbeitet.

Die Interessen der Konzerne in der Region
Mit der Unterstützung der Paramilitärs üben zudem auch die Bergbauunternehmen, die über verschiedene Holdings und Konzerne durch internationale Unternehmen mitfinanziert werden, Druck auf die Gemeinde aus. Auch für sie ist die Region interessant. Mit der Unterstützung der paramilitärischen Gruppierung können sie praktisch alle ihre Interessen durchsetzen. Bereits jetzt hat sich ein Unternehmen auf dem Gebiet der Gemeinde breit gemacht und Land besetzt, das eigentlich zur Gemeinde gehört. Zudem häufen sich nach einem Attentat auf Roviro Lopez und seine Kollegen im 2017 die Drohungen und Übergriffe auf Mitglieder der Gemeinde.

Die internationale Solidarität und Aufmerksamkeit sind der wichtigste Schutz, den die Gemeinde hat. Sie geben ihnen Kraft und verhinderten Gewaltübergriffe. Ein grosses Merci geht daher an die Kirchgemeinde Saanen-Gsteig, die die Arbeit der internationalen Schutzbegleiter:innen von Peace Brigades International vor Ort finanziell unterstützt.

Hoffnung für die Zukunft
Seit August hat Kolumbien nun eine neue Regierung, die frischen Wind in das Land bringen könnte. Dennoch ist es sehr schwierig, innerhalb der kurzen Amtszeit ein System zu ändern, das nun seit über 50 Jahren in einem Bürgerkriegszustand lebt. Dennoch hat Sayda Arteaga, die Bibliothekarin der Gemeinde, die zusammen mit Roviro Lopez in Bern auf Besuch war, Hoffnung, dass auch die zukünftigen Generationen in der Friedensgemeinde aufwachsen und leben können.

LEA SCHLUNEGGER

Mehr Informationen: www.peacebrigades.ch


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote