Die Hühneraugen der Grossmutter

  08.06.2022 Kultur, Zweisimmen

Ein sehr schöner und exklusiver Saisonschluss gabs am Pfingstsamstag bei Zweisimmen Jazz mit dem Daniel Woodtli Trio. Beim Konzert in der katholischen Kirche Zweisimmen spannte das Trio einen grossen Bogen über die 20 Jahre seines Schaffens. Das Konzert wurde mitgeschnitten und soll als Jubiläums-LP und viertes Album der Band veröffentlicht werden. Die Uraufführung des eigens für dieses Konzert vom Bandleader geschriebenen Stücks «Spillgerten 2476» bildete dabei für das lokale Publikum den Höhepunkt des Konzertes.

Fürstlich eröffnet das Trio mit «Galeries des Princes» des belgischen Gitarristen Philip Catherine, welches er mit dem Trompeter Chet Baker spielte. Mit Nick Perrin und Daniel Woodtli verfügt das Daniel Woodtli Trio natürlich über diese Besetzung, hat das Publikum schon zu Beginn des Konzertes auf seiner Seite und wird dieses über das ganze Konzert in den Bann ziehen. Am Kontrabass spielt Lorenz Beyeler souverän und sorgt für den guten Rhythmus.

«Spillgerten 2476»
Das Trio spielt sehr gekonnt zusammen und harmoniert ausgezeichnet. Es hat sich bereits in der Primarschule des Jazz kennengelernt und zum Abschluss der Swiss Jazz School sein eigenes Bandprojekt gehabt. Seither sind die Musiker zusammen und haben drei Alben herausgegeben. Mit diesem Abend folgt jetzt das vierte. Als Dank für das Ermöglichen dieses Konzertes im für solche Musik idealen Raum der katholischen Kirche in Zweisimmen hat Daniel Woodtli dem Zweisimmen Jazz Club ein eigenes Stück gewidmet und diesem den Namen «Spillgerten 2476» gegeben. Dabei überlässt Woodtli nichts dem Zufall. Hat der doch seinem Albumcover-Fotografen und Cousin Tim Woodtli den Auftrag erteilt, am Nachmittag vor dem Konzert das Spillgertenmassiv aus nächster Nähe auf sein Bildaufnahmegerät zu bannen. Dieser nahm den Auftrag sehr ernst und hatte kurzerhand sein Fitnessprogramm von Basel in eine dreistündige Wanderung zur Frohmatthütte verlegt. Wir können nun gespannt darauf sein, was er dort oben festhalten konnte. Das gesamte Produkt werden wir in einigen Monaten nach dem Abmischen und Pressen und hoffentlich bis im nächsten Frühjahr käuflich erwerben können. Für die Anwesenden in der gut gefüllten Kirche wird das so oder so Ehrensache sein, so ein Ding zu erstehen. Denn wann kommt man heute schon mal auf eine echte Vinylplatte mit drauf? Wenns hoch kommt, gibts sogar eine 180-Gramm-Hochqualitativ-Pressung!

Und noch zur Komposition. Es wurde ein ziemlich mystisches Musikstück, welches einem die Ehrfurcht dieses Berges in Knochen und Mark treibt. Beginnt es doch sehr geruhsam mit den tollen Flügelhornklängen, bei denen man sich das Entschwinden der Nebel sehr gut vorstellen kann, dann geht es in sehr harmonische Klänge über mit einem wunderbaren Horn, unterlegt von zarten Gitarrenzupfern, einer Bridge in Form eines Basssolos, während der man noch ins Schwitzen kommt, wieder zum Thema zurückfindet und mit einem ziemlich schnellen Tempo abrupt gestoppt wird. Es lässt vieles offen. Aber es ist bestimmt etwa so, wie der Berg bekannt ist: schwer zu besteigen, zuoberst rasch zu jauchzen, um dann rasch wieder hinunterzukommen. Vorsorglich wird das Publikum noch rechtzeitig vor dem Aufstieg gewarnt. Denn es sei – wie man umgangssprachlich sagt – noch ein «eckliges» Stück zum Spielen!

Im Verlauf des Abends verrät Daniel Woodtli der Zuhörerschaft in einer seiner süffisanten Ansprachen, dass er, der Städter, als Kind eigentlich in einer sehr ländlichen Gegend mit vielen Tieren aufgewachsen sei. Dabei musste er auch auf die Hühner aufpassen. Manchmal habe ihn die Angst geplagt, dass er es vergessen würde, diesen das Futter zu streuen und dass sie dann ausgehungert auf dem «Bitz» liegen würden. Daraus ist das Stück «The Corn (The Eye of the Chicken)» entstanden, was ihn scheinbar auch immer an die Hühneraugen seiner Grossmutter erinnert.

Die Band spannt über das ganze Konzert einen grossen Bogen ihres 20-jährigen Schaffens und dabei darf natürlich das Titelstück des ersten Album, «Someday in April» von Nick Perrin, oder «Midnight Bells» von Daniel Woodtli, welches als Hommage an die Altstadt von Bern mit den vielen Kirchen und Glocken geschrieben wurde, nicht fehlen. Das Konzert beinhaltet viel Jazz sowie Flamencoklänge und führt hin bis zur Klassik. Zum Schluss des Konzertes spielt das Trio noch «Concierto de Aranjuez» aus dem populären Werk des spanischen Komponisten Joaquin Rodrigo.

Saisonschluss
Es war ein sehr würdiger Saisonabschluss in der katholischen Kirche, welcher durch ein äusserst aufmerksam zuhörendes Publikum in einem würdigen Rahmen stattfand. Dank gebührt dem Tontechniker Rolf Stauffacher für die Liveaufnahmen, Pascal Pompe und Daniela Gerber für die Bühnen- und Raumbeleuchtung, dem Personal und der römisch-katholischen Kirchgemeinde für die Unterstützung und die Gastfreundschaft, den Sponsoren und nicht zuletzt dem sehr treuen Jazzpublikum aus Zweisimmen, dem Saanenland und den vielen Musikinteressierten aus dem Unterland.

Dieses Konzert war also exklusiv. Es bleibt aber zu hoffen, dass die etwas in den Hintergrund geratene Combo dank des neuen Albums wieder vermehrt auf der Bühne anzutreffen sein wird, was auch der Herzenswunsch des Bandleaders Daniel Woodtli ist.

ZWEISIMMEN JAZZ, MARKUS BACHMANN

Konzerte von Zweisimmen Jazz gibts wieder im kommenden Winterhalbjahr. Der Startschuss fällt genau am Samstag, 19. November 2022. Das Programm wird den Mitgliedern wie gewohnt einen Monat im Voraus bekannt gegeben.


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