«Eaux de Thonon» zu Besuch in der Region Gstaad
27.02.2023 , Nachbarschaft, GstaadEin französisches Programm will Seeadler, Europas grösste Greifvögel, wieder ansiedeln. Zwei Jungvögel kamen auf der Suche nach neuem Lebensraum in die Schweiz. Einer von ihnen, ein Weibchen namens «Eaux de Thonon», hält sich derzeit in der Region Gstaad ...
Ein französisches Programm will Seeadler, Europas grösste Greifvögel, wieder ansiedeln. Zwei Jungvögel kamen auf der Suche nach neuem Lebensraum in die Schweiz. Einer von ihnen, ein Weibchen namens «Eaux de Thonon», hält sich derzeit in der Region Gstaad auf.
KEREM S. MAURER
Eine Meldung des Westschweizer Fernsehen RTS vom 6. Februar verhiess Ungewöhnliches: Ein junger Seeadler soll sich in der Region Gstaad niedergelassen haben. Das ist aus verschiedenen Gründen aussergewöhnlich: Erstens sind Seeadler hierzulande sehr selten und zweitens halten sie sich vorzugsweise an grossflächigen Feuchtgebieten, bewaldeten Binnenseen und Küsten auf.
In Westeuropa ausgerottet
Im Rahmen der allgemein praktizierten Verfolgung von Greifvögeln seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Seeadler in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebietes verfolgt und getötet, bis sie im frühen 20. Jahrhundert in ganz Westeuropa ausgerottet waren. Dank umfassender Schutzmassnahmen hat sich der europäische Bestand spektakulär erholt und wird gegenwärtig auf 15’000 Brutpaare geschätzt.
Französisches Wiederansiedlungsprogramm
Der Franzose Jacques-Olivier Travers, Leiter und Gründer von «Les Aigles du Léman» – dem Adlerpark in Sciez sur Léman auf der französischen Seite des Genfersees –, berichtet auf Anfrage, er wolle Seeadler in Westeuropa wieder ansiedeln. Im Rahmen seines Programms wurden im letzten Herbst vier Jungvögel ausgewildert. Einer von ihnen mit dem Namen «Crédit Agricole» hält sich an den Gestaden des Neuenburgersees auf und ein Weibchen, das am 10. April 2022 im Park geschlüpft ist und den Namen «Eaux de Thonon» trägt, hat sich bis zum Ende der letzten Woche in der Region Gstaad aufgehalten (siehe Karte). «Alle unsere Tiere werden mit GPS-Sendern ausgestattet, damit wir immer wissen, wo sie sind», erklärt Travers und ergänzt: «Das Netz ist im Alpenraum nicht überall gleich gut, sodass ‹Eaux de Thonon› immer wieder vom Bildschirm verschwindet.» Um die Tiere zu schützen, werden ihre Aufenthaltsdaten nicht publik gemacht.
Einziger Zuchterfolg in der Schweiz
Das «Sankt Galler Tagblatt» berichtete im April 2014 von zwei geschlüpften Seeadlern im Greifvogelpark Buchs. Auf Anfrage dieser Zeitung hiess es, dass dies die einzigen Zuchterfolge in der Schweiz gewesen seien. Diese Tatsache erstaunt Roland Luder, Biologe und Ornithologe aus der Lenk, nicht: «Seeadler waren nie in der Schweiz ansässig und haben auch nie bei uns gebrütet», weiss er. Ein weiterer Hinweis dafür ist auch das Fehlen der Seeadler auf der Roten Liste der Brutvögel vom Bundesamt für Umwelt (BAFU).
Was sucht ein Seeadler in den Bergen?
Dass sich junge Seeadler auf der Suche nach neuem Lebensraum auch mal in die Alpen verirren, ist für Hans Schmid, Mitarbeiter Monitoring bei der Vogelwarte Sempach, denkbar. Er erinnert sich an einen Seeadler, der sich 1984 während Monaten eine Zeit lang in der Region Hoch-Ybrig aufgehalten hat. «Junge Seeadler fressen gerne Aas. Und wenn sie sich von verunfalltem Wild ernähren, kann es schon vorkommen, dass sie in den Alpen verweilen. Aber dauerhaft niederlassen werden sich Seeadler in den Alpen nicht. Sie bevorzugen offene Landschaften mit grossen Gewässern.» Auch Roland Luder sieht für «Eaux de Thonons» Zukunft in unserer Region eher schwarz. «Sie wird auf der Suche nach geeigneterem Lebensraum wohl bald weiterziehen», vermutet er und befürchtet, dass sich das Seeadlerweibchen hier womöglich nicht zurechtfindet, schwächer wird und allenfalls verunfallt oder stirbt.
Noch 80 junge Seeadler sollen folgen
Jacques-Olivier Travers verrät, dass im Rahmen seines Programms in den kommenden Jahren noch weitere 80 junge Seeadler ausgewildert werden sollen.
FOTO: ADOBE STOCK
SEEADLER STECKBRIEF
Seeadler können bis zu achtzig Zentimeter gross, sieben Kilo schwer und dreissig Jahre alt werden. Am liebsten fressen sie Fisch und Wasservögel, aber auch kleine Säugetiere und Aas stehen auf dem Speiseplan. Sie leben in Nord- und Mitteleuropa, in Teilen Asiens, Grönlands und in Sibirien. Der europäische Bestand zeigte in den letzten 30 Jahren eine spektakuläre Erholung und wird aktuell auf rund 15’000 Brutpaare geschätzt. Seeadler leben in unterschiedlichen Lebensräumen wie Wälder, Tundra und Steppenlandschaften. Die Nähe von Wasser spielt aber eine zentrale Rolle. Seeadler bleiben ein Leben lang mit ihrem Partner zusammen und sie haben verschiedene Horste, die sie abwechselnd bewohnen. Sie legen im Frühjahr mindestens drei Eier, die Eltern brüten gemeinsam. Nach rund 40 Tagen schlüpfen die Jungen und bleiben etwa drei Monate im Nest. Danach werden sie noch etwa zwei Monate von den Eltern betreut.
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